Die einzigen Zellfusionen oder Zellstöcke, welche im Pflanzenreiche vorkommen und den Primitivröhren der zusammengesetzten thierischen Mus- keln und Nerven entsprechen, sind (abgesehen von den bei niederen Pflan- zen häufigen Copulationen von Zellen) die sogenannten "Gefässe" der höheren oder Gefässpflanzen (Gefäss-Cryptogamen und alle Phanerogamen). Sie zerfallen allgemein in "Milchsaftgefässe" und "Spiralgefässe", von denen die ersteren bleibend mit einem milchigen Safte, die letzteren bald nach ihrer Entstehung nur noch mit Luft gefüllt sind. Die Spiralgefässe der Pflanzen entstehen dadurch, dass an einer Reihe hinter einander gelegener Zellen die trennenden Zwischenwände resorbirt werden, so dass das Plasma der verschmolzenen Zellen unmittelbar sich vereinigt.
B. Organe zweiter Ordnung: Einfache oder homoplastische Organe. (Gleichartige Plastiden-Gemeinden oder homogene Plastiden-Complexe.) Homoplasten. "Gewebe" im engsten Sinne.
Als eine zweite Ordnung von Organen betrachten wir diejenigen, welche von Vielen als einfache Gewebe, oder selbst als "Gewebe" schlechtweg, besser als "einfache Organe" bezeichnet werden, und welche man noch bestimmter "homoplastische Organe" nennen kann. Diese stimmen mit denen der ersten Ordnung, den Zellenstöcken darin überein, dass sie nur aus Plastiden von einerlei Art oder, wie man gewöhnlich sagt, aus einem einzigen Gewebe gebildet wer- den. Sie unterscheiden sich aber von den Cytocormen darin, dass die Form des Organs hier nicht zunächst durch die Verbindung der Plastiden selbst bedingt wird, sondern scheinbar unabhängig davon durch die Bau-Verhältnisse des ganzen Organismus, den sogenannten "Bauplan." Es können daher diese homoplastischen Organe in der verschiedensten Form auftreten, obgleich sie aus einer und derselben Zellenart gebildet sind, wie z. B. die verschiedenen Knorpel, die ver- schiedenen Moosblätter einer und derselben Species, -- während die Cytocormen, die aus einerlei Art Zellen bestehen, allein schon wegen ihrer constanten Verbindungsweise bei einer und derselben Species an den verschiedensten Orten meist in einer und derselben Form auftre- ten, z. B. Muskel- und Nervenfasern. Bei diesen Organen erster Ord- nung wird also die äussere Form des Organs an und für sich schon durch die Verbindungsweise der verschmelzenden Zellen bedingt, während sie bei den Organen zweiter Ordnung von dieser Verbin- dungsweise unabhängig ist und durch die gröberen Structur-Verhält- nisse des ganzen Organismus bedingt wird.
Die Plastiden, welche homoplastische Organe zusammensetzen, kön- nen sowohl kernlose (Cytoden) als kernhaltige (Zellen) sein, wobei die innigere Verbindung der Elemente, welche durch den Mangel der Membran bedingt wird, für die Formbildung des homoplastischen Or-
Morphologische Individualität der Organismen.
Die einzigen Zellfusionen oder Zellstöcke, welche im Pflanzenreiche vorkommen und den Primitivröhren der zusammengesetzten thierischen Mus- keln und Nerven entsprechen, sind (abgesehen von den bei niederen Pflan- zen häufigen Copulationen von Zellen) die sogenannten „Gefässe“ der höheren oder Gefässpflanzen (Gefäss-Cryptogamen und alle Phanerogamen). Sie zerfallen allgemein in „Milchsaftgefässe“ und „Spiralgefässe“, von denen die ersteren bleibend mit einem milchigen Safte, die letzteren bald nach ihrer Entstehung nur noch mit Luft gefüllt sind. Die Spiralgefässe der Pflanzen entstehen dadurch, dass an einer Reihe hinter einander gelegener Zellen die trennenden Zwischenwände resorbirt werden, so dass das Plasma der verschmolzenen Zellen unmittelbar sich vereinigt.
B. Organe zweiter Ordnung: Einfache oder homoplastische Organe. (Gleichartige Plastiden-Gemeinden oder homogene Plastiden-Complexe.) Homoplasten. „Gewebe“ im engsten Sinne.
Als eine zweite Ordnung von Organen betrachten wir diejenigen, welche von Vielen als einfache Gewebe, oder selbst als „Gewebe“ schlechtweg, besser als „einfache Organe“ bezeichnet werden, und welche man noch bestimmter „homoplastische Organe“ nennen kann. Diese stimmen mit denen der ersten Ordnung, den Zellenstöcken darin überein, dass sie nur aus Plastiden von einerlei Art oder, wie man gewöhnlich sagt, aus einem einzigen Gewebe gebildet wer- den. Sie unterscheiden sich aber von den Cytocormen darin, dass die Form des Organs hier nicht zunächst durch die Verbindung der Plastiden selbst bedingt wird, sondern scheinbar unabhängig davon durch die Bau-Verhältnisse des ganzen Organismus, den sogenannten „Bauplan.“ Es können daher diese homoplastischen Organe in der verschiedensten Form auftreten, obgleich sie aus einer und derselben Zellenart gebildet sind, wie z. B. die verschiedenen Knorpel, die ver- schiedenen Moosblätter einer und derselben Species, — während die Cytocormen, die aus einerlei Art Zellen bestehen, allein schon wegen ihrer constanten Verbindungsweise bei einer und derselben Species an den verschiedensten Orten meist in einer und derselben Form auftre- ten, z. B. Muskel- und Nervenfasern. Bei diesen Organen erster Ord- nung wird also die äussere Form des Organs an und für sich schon durch die Verbindungsweise der verschmelzenden Zellen bedingt, während sie bei den Organen zweiter Ordnung von dieser Verbin- dungsweise unabhängig ist und durch die gröberen Structur-Verhält- nisse des ganzen Organismus bedingt wird.
Die Plastiden, welche homoplastische Organe zusammensetzen, kön- nen sowohl kernlose (Cytoden) als kernhaltige (Zellen) sein, wobei die innigere Verbindung der Elemente, welche durch den Mangel der Membran bedingt wird, für die Formbildung des homoplastischen Or-
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Morphologische Individualität der Organismen.
Die einzigen Zellfusionen oder Zellstöcke, welche im Pflanzenreiche
vorkommen und den Primitivröhren der zusammengesetzten thierischen Mus-
keln und Nerven entsprechen, sind (abgesehen von den bei niederen Pflan-
zen häufigen Copulationen von Zellen) die sogenannten „Gefässe“ der
höheren oder Gefässpflanzen (Gefäss-Cryptogamen und alle Phanerogamen).
Sie zerfallen allgemein in „Milchsaftgefässe“ und „Spiralgefässe“, von denen
die ersteren bleibend mit einem milchigen Safte, die letzteren bald nach
ihrer Entstehung nur noch mit Luft gefüllt sind. Die Spiralgefässe der Pflanzen
entstehen dadurch, dass an einer Reihe hinter einander gelegener Zellen
die trennenden Zwischenwände resorbirt werden, so dass das Plasma der
verschmolzenen Zellen unmittelbar sich vereinigt.
B. Organe zweiter Ordnung:
Einfache oder homoplastische Organe.
(Gleichartige Plastiden-Gemeinden oder homogene Plastiden-Complexe.)
Homoplasten. „Gewebe“ im engsten Sinne.
Als eine zweite Ordnung von Organen betrachten wir diejenigen,
welche von Vielen als einfache Gewebe, oder selbst als „Gewebe“
schlechtweg, besser als „einfache Organe“ bezeichnet werden, und
welche man noch bestimmter „homoplastische Organe“ nennen
kann. Diese stimmen mit denen der ersten Ordnung, den Zellenstöcken
darin überein, dass sie nur aus Plastiden von einerlei Art oder,
wie man gewöhnlich sagt, aus einem einzigen Gewebe gebildet wer-
den. Sie unterscheiden sich aber von den Cytocormen darin, dass
die Form des Organs hier nicht zunächst durch die Verbindung der
Plastiden selbst bedingt wird, sondern scheinbar unabhängig davon
durch die Bau-Verhältnisse des ganzen Organismus, den sogenannten
„Bauplan.“ Es können daher diese homoplastischen Organe in der
verschiedensten Form auftreten, obgleich sie aus einer und derselben
Zellenart gebildet sind, wie z. B. die verschiedenen Knorpel, die ver-
schiedenen Moosblätter einer und derselben Species, — während die
Cytocormen, die aus einerlei Art Zellen bestehen, allein schon wegen
ihrer constanten Verbindungsweise bei einer und derselben Species an
den verschiedensten Orten meist in einer und derselben Form auftre-
ten, z. B. Muskel- und Nervenfasern. Bei diesen Organen erster Ord-
nung wird also die äussere Form des Organs an und für sich schon
durch die Verbindungsweise der verschmelzenden Zellen bedingt,
während sie bei den Organen zweiter Ordnung von dieser Verbin-
dungsweise unabhängig ist und durch die gröberen Structur-Verhält-
nisse des ganzen Organismus bedingt wird.
Die Plastiden, welche homoplastische Organe zusammensetzen, kön-
nen sowohl kernlose (Cytoden) als kernhaltige (Zellen) sein, wobei die
innigere Verbindung der Elemente, welche durch den Mangel der
Membran bedingt wird, für die Formbildung des homoplastischen Or-
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/337>, abgerufen am 25.11.2024.
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