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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren.

Die verschiedene Art und Weise, in welcher die Antimeren zur
Bildung des ganzen Körpers zusammentreten, ist für den characteristi-
schen Habitus, den man mit den Ausdrücken des "bilateralen" und
des "strahligen" Typus bezeichnet, von der grössten Wichtigkeit. Bei
den echten Bilateralthieren, den Dipleuren, deren Körper nur aus
zwei Antimeren ("symmetrischen Körperhälften") besteht (Wirbel-,
Glieder- und Weich-Thieren), legen sich die beiden Gegenstücke mit
zwei einander zugekehrten Flächen, in einer Ebene (Mittelebene) an
einander. Bei den echten "Strahlthieren" dagegen, sowohl ganz regu-
lären (Medusen, Asteriden) als bilateral symmetrischen (Ctenophoren,
Spatangiden), bei denen mehr als zwei Antimeren ("Radial-Segmente"
oder "Strahlen") zum Körper zusammentreten, berühren sich dieselben
in einer Linie, der Haupt- oder Längsaxe und haben also sämmtlich
eine Kante gemeinsam. Selten nur, z. B. bei vielen Radiolarien,
deren Grundform die Kugel oder ein reguläres oder ein endosphä-
risches Polyeder ist, berühren sich die Antimeren nur in einem ein-
zigen Punkte und haben demgemäss nur diesen Punkt gemeinsam.

Eigenthümliche Verschiedenheiten bezüglich der Antimeren-Zu-
sammensetzung der Person oder des Form-Individuums im engeren
Sinne zeigen unter den phanerogamen Pflanzen häufig die geschlechts-
losen Personen (Blattsprosse etc.) und die Geschlechts-Individuen
(Blüthen-Sprosse). Die letzteren, als die morphologisch höher ent-
wickelten und differenzirten, weisen uns meistens ganz dieselbe regel-
mässige und leicht erkennbare Zusammensetzung aus Antimeren auf,
wie die allermeisten Thier-Personen. Es entsprechen z. B. in dieser
Beziehung vollkommen die "regulären" Echinodermen (Asteriden etc.)
den regelmässigen fünfzähligen Blüthen (Primulaceen, Oxalideen etc.),
die "irregulären" Echinodermen (Spatangiden etc.) den unregelmässigen
fünfzähligen Blüthen (Papilionaceen, Labiaten, Umbelliferen etc.). Auch
ist die Mannichfaltigkeit in der Art dieser Zusammensetzung, welche
die characteristische Physiognomie der Blumen bestimmt, nicht minder
gross, als bei den Thieren. Bei den Blattsprossen dagegen, den ge-
schlechtslosen Individuen der Phanerogamen, sind diese Compositions-
Verhältnisse, welche sich in der Blattstellung aussprechen, im Ganzen
seltener eben so einfach, regelmässig und deutlich, wie bei den
Blüthen. Es ist dies der Fall bei den Axorganen mit zweizeiliger,
gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blatt-
stellung. Sehr häufig treten hier aber statt dessen sehr complicirte
Verhältnisse auf, welche schwierig auf die einfache Zusammensetzung
des geschlechtslosen Sprosses aus gegenständigen Antimeren zurück-
zuführen sind. Insbesondere wird die letztere häufig dadurch versteckt,
dass die Blattorgane in einer enger oder weiter gewundenen Spirale an
der Axe heraufsteigen. Man pflegt gewöhnlich die Spiraltendenz in

III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren.

Die verschiedene Art und Weise, in welcher die Antimeren zur
Bildung des ganzen Körpers zusammentreten, ist für den characteristi-
schen Habitus, den man mit den Ausdrücken des „bilateralen“ und
des „strahligen“ Typus bezeichnet, von der grössten Wichtigkeit. Bei
den echten Bilateralthieren, den Dipleuren, deren Körper nur aus
zwei Antimeren („symmetrischen Körperhälften“) besteht (Wirbel-,
Glieder- und Weich-Thieren), legen sich die beiden Gegenstücke mit
zwei einander zugekehrten Flächen, in einer Ebene (Mittelebene) an
einander. Bei den echten „Strahlthieren“ dagegen, sowohl ganz regu-
lären (Medusen, Asteriden) als bilateral symmetrischen (Ctenophoren,
Spatangiden), bei denen mehr als zwei Antimeren („Radial-Segmente“
oder „Strahlen“) zum Körper zusammentreten, berühren sich dieselben
in einer Linie, der Haupt- oder Längsaxe und haben also sämmtlich
eine Kante gemeinsam. Selten nur, z. B. bei vielen Radiolarien,
deren Grundform die Kugel oder ein reguläres oder ein endosphä-
risches Polyeder ist, berühren sich die Antimeren nur in einem ein-
zigen Punkte und haben demgemäss nur diesen Punkt gemeinsam.

Eigenthümliche Verschiedenheiten bezüglich der Antimeren-Zu-
sammensetzung der Person oder des Form-Individuums im engeren
Sinne zeigen unter den phanerogamen Pflanzen häufig die geschlechts-
losen Personen (Blattsprosse etc.) und die Geschlechts-Individuen
(Blüthen-Sprosse). Die letzteren, als die morphologisch höher ent-
wickelten und differenzirten, weisen uns meistens ganz dieselbe regel-
mässige und leicht erkennbare Zusammensetzung aus Antimeren auf,
wie die allermeisten Thier-Personen. Es entsprechen z. B. in dieser
Beziehung vollkommen die „regulären“ Echinodermen (Asteriden etc.)
den regelmässigen fünfzähligen Blüthen (Primulaceen, Oxalideen etc.),
die „irregulären“ Echinodermen (Spatangiden etc.) den unregelmässigen
fünfzähligen Blüthen (Papilionaceen, Labiaten, Umbelliferen etc.). Auch
ist die Mannichfaltigkeit in der Art dieser Zusammensetzung, welche
die characteristische Physiognomie der Blumen bestimmt, nicht minder
gross, als bei den Thieren. Bei den Blattsprossen dagegen, den ge-
schlechtslosen Individuen der Phanerogamen, sind diese Compositions-
Verhältnisse, welche sich in der Blattstellung aussprechen, im Ganzen
seltener eben so einfach, regelmässig und deutlich, wie bei den
Blüthen. Es ist dies der Fall bei den Axorganen mit zweizeiliger,
gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blatt-
stellung. Sehr häufig treten hier aber statt dessen sehr complicirte
Verhältnisse auf, welche schwierig auf die einfache Zusammensetzung
des geschlechtslosen Sprosses aus gegenständigen Antimeren zurück-
zuführen sind. Insbesondere wird die letztere häufig dadurch versteckt,
dass die Blattorgane in einer enger oder weiter gewundenen Spirale an
der Axe heraufsteigen. Man pflegt gewöhnlich die Spiraltendenz in

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[309/0348] III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren. Die verschiedene Art und Weise, in welcher die Antimeren zur Bildung des ganzen Körpers zusammentreten, ist für den characteristi- schen Habitus, den man mit den Ausdrücken des „bilateralen“ und des „strahligen“ Typus bezeichnet, von der grössten Wichtigkeit. Bei den echten Bilateralthieren, den Dipleuren, deren Körper nur aus zwei Antimeren („symmetrischen Körperhälften“) besteht (Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren), legen sich die beiden Gegenstücke mit zwei einander zugekehrten Flächen, in einer Ebene (Mittelebene) an einander. Bei den echten „Strahlthieren“ dagegen, sowohl ganz regu- lären (Medusen, Asteriden) als bilateral symmetrischen (Ctenophoren, Spatangiden), bei denen mehr als zwei Antimeren („Radial-Segmente“ oder „Strahlen“) zum Körper zusammentreten, berühren sich dieselben in einer Linie, der Haupt- oder Längsaxe und haben also sämmtlich eine Kante gemeinsam. Selten nur, z. B. bei vielen Radiolarien, deren Grundform die Kugel oder ein reguläres oder ein endosphä- risches Polyeder ist, berühren sich die Antimeren nur in einem ein- zigen Punkte und haben demgemäss nur diesen Punkt gemeinsam. Eigenthümliche Verschiedenheiten bezüglich der Antimeren-Zu- sammensetzung der Person oder des Form-Individuums im engeren Sinne zeigen unter den phanerogamen Pflanzen häufig die geschlechts- losen Personen (Blattsprosse etc.) und die Geschlechts-Individuen (Blüthen-Sprosse). Die letzteren, als die morphologisch höher ent- wickelten und differenzirten, weisen uns meistens ganz dieselbe regel- mässige und leicht erkennbare Zusammensetzung aus Antimeren auf, wie die allermeisten Thier-Personen. Es entsprechen z. B. in dieser Beziehung vollkommen die „regulären“ Echinodermen (Asteriden etc.) den regelmässigen fünfzähligen Blüthen (Primulaceen, Oxalideen etc.), die „irregulären“ Echinodermen (Spatangiden etc.) den unregelmässigen fünfzähligen Blüthen (Papilionaceen, Labiaten, Umbelliferen etc.). Auch ist die Mannichfaltigkeit in der Art dieser Zusammensetzung, welche die characteristische Physiognomie der Blumen bestimmt, nicht minder gross, als bei den Thieren. Bei den Blattsprossen dagegen, den ge- schlechtslosen Individuen der Phanerogamen, sind diese Compositions- Verhältnisse, welche sich in der Blattstellung aussprechen, im Ganzen seltener eben so einfach, regelmässig und deutlich, wie bei den Blüthen. Es ist dies der Fall bei den Axorganen mit zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blatt- stellung. Sehr häufig treten hier aber statt dessen sehr complicirte Verhältnisse auf, welche schwierig auf die einfache Zusammensetzung des geschlechtslosen Sprosses aus gegenständigen Antimeren zurück- zuführen sind. Insbesondere wird die letztere häufig dadurch versteckt, dass die Blattorgane in einer enger oder weiter gewundenen Spirale an der Axe heraufsteigen. Man pflegt gewöhnlich die Spiraltendenz in

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/348>, abgerufen am 24.11.2024.