Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Morphologische Individualität der Organismen.
der Blattstellung der Phanerogamen u. s. w. als eine primitive Eigen-
thümlichkeit derselben zu betrachten und die vorher angeführten Fälle
von zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger
(quirliger) Blattstellung als abgeleitete Formen, welche durch secun-
dären Zerfall laufender, continuirlicher Spiralen in abgesetzte, ge-
schlossene Ringe entstanden seien. Indessen ist es vielleicht richtiger,
umgekehrt die letzteren als die eigentlichen ursprünglichen Grund-
formen zu betrachten, welche aus einer gesetzmässigen Verbindung
von Antimeren und Metameren (in ähnlicher Weise wie bei den
"Strahlthieren" z. B. den Echinodermen) gebildet sind. Die Blatt-
stellungs-Spiralen würden dann als abgeleitete Formen zu betrachten
sein, secundär entstanden durch besondere Wachsthums-Verhältnisse
der sich streckenden Metameren, welche in besonderen Beziehungen
zu den Antimeren der benachbarten Metameren stehen. Wir glauben,
dass für eine richtige Auffassung dieser schwierigen und verwickelten
Verhältnisse die Vergleichung der analogen einfacheren Verbindung
von Antimeren und Metameren bei den Strahlthieren sehr wichtig ist.
Bei den meisten Echinodermen insbesondere finden wir in ganz ana-
loger Weise, wie bei den meisten phanerogamen Personen, mehrere
Antimeren (gewöhnlich fünf) und zahlreiche Metameren (hinter ein-
anderliegende Abschnitte der Hauptaxe, Stengelglieder etc.) zu einer
complicirt gebauten Person verbunden. Das ursprüngliche, homotypische
Verhältniss bei den Echinodermen ist aber immer die reguläre Zu-
sammensetzung aus fünf Antimeren, deren Stücke in geschlossene, hinter
einander liegende Kreise geordnet sind, wie bei den meisten Ge-
schlechts-Personen (Blüthen) der Phanerogamen; und nur ausnahms-
weise, und offenbar erst in Folge secundärer Entwickelung, laufen
diese Kreise in einander, indem sie sich zu continuirlichen Spiralen
verbinden, z. B. bei den spiraligen Reihen von Stachelhöckern vieler
Echiniden, von Kelchtafeln vieler Crinoiden etc. Ebenso dürften viel-
leicht die Spiralen der Blattstellungen bei den meisten geschlechtslosen
Personen (Blattsprossen) der Phanerogamen zu erklären sein.

Wir führen die Antimeren oder Gegenstücke als morphologische
Individuen dritter Ordnung auf, weil die echten, eigentlichen Anti-
meren in allen Fällen Organ-Complexe darstellen, also Einheiten, welche
aus einer Vielheit von Form-Individuen zweiter Ordnung bestehen.
Vielleicht dürfte es in mehrfacher Beziehung richtiger erscheinen, die
Rangordnung der beiden Individualitäten zu wechseln und die Anti-
meren
als die morphologischen Individuen zweiter, die Organe
als die morphologischen Individuen dritter Ordnung aufzustellen.
Hierfür könnte namentlich angeführt werden, dass auch bei vielen
Organismen, welche noch keine distincten Organe besitzen, dennoch
der Körper (eine einfache Plastide) bereits aus Antimeren zusammen-

Morphologische Individualität der Organismen.
der Blattstellung der Phanerogamen u. s. w. als eine primitive Eigen-
thümlichkeit derselben zu betrachten und die vorher angeführten Fälle
von zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger
(quirliger) Blattstellung als abgeleitete Formen, welche durch secun-
dären Zerfall laufender, continuirlicher Spiralen in abgesetzte, ge-
schlossene Ringe entstanden seien. Indessen ist es vielleicht richtiger,
umgekehrt die letzteren als die eigentlichen ursprünglichen Grund-
formen zu betrachten, welche aus einer gesetzmässigen Verbindung
von Antimeren und Metameren (in ähnlicher Weise wie bei den
„Strahlthieren“ z. B. den Echinodermen) gebildet sind. Die Blatt-
stellungs-Spiralen würden dann als abgeleitete Formen zu betrachten
sein, secundär entstanden durch besondere Wachsthums-Verhältnisse
der sich streckenden Metameren, welche in besonderen Beziehungen
zu den Antimeren der benachbarten Metameren stehen. Wir glauben,
dass für eine richtige Auffassung dieser schwierigen und verwickelten
Verhältnisse die Vergleichung der analogen einfacheren Verbindung
von Antimeren und Metameren bei den Strahlthieren sehr wichtig ist.
Bei den meisten Echinodermen insbesondere finden wir in ganz ana-
loger Weise, wie bei den meisten phanerogamen Personen, mehrere
Antimeren (gewöhnlich fünf) und zahlreiche Metameren (hinter ein-
anderliegende Abschnitte der Hauptaxe, Stengelglieder etc.) zu einer
complicirt gebauten Person verbunden. Das ursprüngliche, homotypische
Verhältniss bei den Echinodermen ist aber immer die reguläre Zu-
sammensetzung aus fünf Antimeren, deren Stücke in geschlossene, hinter
einander liegende Kreise geordnet sind, wie bei den meisten Ge-
schlechts-Personen (Blüthen) der Phanerogamen; und nur ausnahms-
weise, und offenbar erst in Folge secundärer Entwickelung, laufen
diese Kreise in einander, indem sie sich zu continuirlichen Spiralen
verbinden, z. B. bei den spiraligen Reihen von Stachelhöckern vieler
Echiniden, von Kelchtafeln vieler Crinoiden etc. Ebenso dürften viel-
leicht die Spiralen der Blattstellungen bei den meisten geschlechtslosen
Personen (Blattsprossen) der Phanerogamen zu erklären sein.

Wir führen die Antimeren oder Gegenstücke als morphologische
Individuen dritter Ordnung auf, weil die echten, eigentlichen Anti-
meren in allen Fällen Organ-Complexe darstellen, also Einheiten, welche
aus einer Vielheit von Form-Individuen zweiter Ordnung bestehen.
Vielleicht dürfte es in mehrfacher Beziehung richtiger erscheinen, die
Rangordnung der beiden Individualitäten zu wechseln und die Anti-
meren
als die morphologischen Individuen zweiter, die Organe
als die morphologischen Individuen dritter Ordnung aufzustellen.
Hierfür könnte namentlich angeführt werden, dass auch bei vielen
Organismen, welche noch keine distincten Organe besitzen, dennoch
der Körper (eine einfache Plastide) bereits aus Antimeren zusammen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0349" n="310"/><fw place="top" type="header">Morphologische Individualität der Organismen.</fw><lb/>
der Blattstellung der Phanerogamen u. s. w. als eine primitive Eigen-<lb/>
thümlichkeit derselben zu betrachten und die vorher angeführten Fälle<lb/>
von zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger<lb/>
(quirliger) Blattstellung als abgeleitete Formen, welche durch secun-<lb/>
dären Zerfall laufender, continuirlicher Spiralen in abgesetzte, ge-<lb/>
schlossene Ringe entstanden seien. Indessen ist es vielleicht richtiger,<lb/>
umgekehrt die letzteren als die eigentlichen ursprünglichen Grund-<lb/>
formen zu betrachten, welche aus einer gesetzmässigen Verbindung<lb/>
von Antimeren und Metameren (in ähnlicher Weise wie bei den<lb/>
&#x201E;Strahlthieren&#x201C; z. B. den Echinodermen) gebildet sind. Die Blatt-<lb/>
stellungs-Spiralen würden dann als abgeleitete Formen zu betrachten<lb/>
sein, secundär entstanden durch besondere Wachsthums-Verhältnisse<lb/>
der sich streckenden Metameren, welche in besonderen Beziehungen<lb/>
zu den Antimeren der benachbarten Metameren stehen. Wir glauben,<lb/>
dass für eine richtige Auffassung dieser schwierigen und verwickelten<lb/>
Verhältnisse die Vergleichung der analogen einfacheren Verbindung<lb/>
von Antimeren und Metameren bei den Strahlthieren sehr wichtig ist.<lb/>
Bei den meisten Echinodermen insbesondere finden wir in ganz ana-<lb/>
loger Weise, wie bei den meisten phanerogamen Personen, mehrere<lb/>
Antimeren (gewöhnlich fünf) und zahlreiche Metameren (hinter ein-<lb/>
anderliegende Abschnitte der Hauptaxe, Stengelglieder etc.) zu einer<lb/>
complicirt gebauten Person verbunden. Das ursprüngliche, homotypische<lb/>
Verhältniss bei den Echinodermen ist aber immer die reguläre Zu-<lb/>
sammensetzung aus fünf Antimeren, deren Stücke in geschlossene, hinter<lb/>
einander liegende <hi rendition="#g">Kreise</hi> geordnet sind, wie bei den meisten Ge-<lb/>
schlechts-Personen (Blüthen) der Phanerogamen; und nur ausnahms-<lb/>
weise, und offenbar erst in Folge secundärer Entwickelung, laufen<lb/>
diese Kreise in einander, indem sie sich zu continuirlichen <hi rendition="#g">Spiralen</hi><lb/>
verbinden, z. B. bei den spiraligen Reihen von Stachelhöckern vieler<lb/>
Echiniden, von Kelchtafeln vieler Crinoiden etc. Ebenso dürften viel-<lb/>
leicht die Spiralen der Blattstellungen bei den meisten geschlechtslosen<lb/>
Personen (Blattsprossen) der Phanerogamen zu erklären sein.</p><lb/>
            <p>Wir führen die Antimeren oder Gegenstücke als morphologische<lb/>
Individuen <hi rendition="#g">dritter</hi> Ordnung auf, weil die echten, eigentlichen Anti-<lb/>
meren in allen Fällen Organ-Complexe darstellen, also Einheiten, welche<lb/>
aus einer Vielheit von Form-Individuen zweiter Ordnung bestehen.<lb/>
Vielleicht dürfte es in mehrfacher Beziehung richtiger erscheinen, die<lb/>
Rangordnung der beiden Individualitäten zu wechseln und die <hi rendition="#g">Anti-<lb/>
meren</hi> als die morphologischen Individuen <hi rendition="#g">zweiter,</hi> die <hi rendition="#g">Organe</hi><lb/>
als die morphologischen Individuen <hi rendition="#g">dritter</hi> Ordnung aufzustellen.<lb/>
Hierfür könnte namentlich angeführt werden, dass auch bei vielen<lb/>
Organismen, welche noch keine distincten Organe besitzen, dennoch<lb/>
der Körper (eine einfache Plastide) bereits aus Antimeren zusammen-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0349] Morphologische Individualität der Organismen. der Blattstellung der Phanerogamen u. s. w. als eine primitive Eigen- thümlichkeit derselben zu betrachten und die vorher angeführten Fälle von zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blattstellung als abgeleitete Formen, welche durch secun- dären Zerfall laufender, continuirlicher Spiralen in abgesetzte, ge- schlossene Ringe entstanden seien. Indessen ist es vielleicht richtiger, umgekehrt die letzteren als die eigentlichen ursprünglichen Grund- formen zu betrachten, welche aus einer gesetzmässigen Verbindung von Antimeren und Metameren (in ähnlicher Weise wie bei den „Strahlthieren“ z. B. den Echinodermen) gebildet sind. Die Blatt- stellungs-Spiralen würden dann als abgeleitete Formen zu betrachten sein, secundär entstanden durch besondere Wachsthums-Verhältnisse der sich streckenden Metameren, welche in besonderen Beziehungen zu den Antimeren der benachbarten Metameren stehen. Wir glauben, dass für eine richtige Auffassung dieser schwierigen und verwickelten Verhältnisse die Vergleichung der analogen einfacheren Verbindung von Antimeren und Metameren bei den Strahlthieren sehr wichtig ist. Bei den meisten Echinodermen insbesondere finden wir in ganz ana- loger Weise, wie bei den meisten phanerogamen Personen, mehrere Antimeren (gewöhnlich fünf) und zahlreiche Metameren (hinter ein- anderliegende Abschnitte der Hauptaxe, Stengelglieder etc.) zu einer complicirt gebauten Person verbunden. Das ursprüngliche, homotypische Verhältniss bei den Echinodermen ist aber immer die reguläre Zu- sammensetzung aus fünf Antimeren, deren Stücke in geschlossene, hinter einander liegende Kreise geordnet sind, wie bei den meisten Ge- schlechts-Personen (Blüthen) der Phanerogamen; und nur ausnahms- weise, und offenbar erst in Folge secundärer Entwickelung, laufen diese Kreise in einander, indem sie sich zu continuirlichen Spiralen verbinden, z. B. bei den spiraligen Reihen von Stachelhöckern vieler Echiniden, von Kelchtafeln vieler Crinoiden etc. Ebenso dürften viel- leicht die Spiralen der Blattstellungen bei den meisten geschlechtslosen Personen (Blattsprossen) der Phanerogamen zu erklären sein. Wir führen die Antimeren oder Gegenstücke als morphologische Individuen dritter Ordnung auf, weil die echten, eigentlichen Anti- meren in allen Fällen Organ-Complexe darstellen, also Einheiten, welche aus einer Vielheit von Form-Individuen zweiter Ordnung bestehen. Vielleicht dürfte es in mehrfacher Beziehung richtiger erscheinen, die Rangordnung der beiden Individualitäten zu wechseln und die Anti- meren als die morphologischen Individuen zweiter, die Organe als die morphologischen Individuen dritter Ordnung aufzustellen. Hierfür könnte namentlich angeführt werden, dass auch bei vielen Organismen, welche noch keine distincten Organe besitzen, dennoch der Körper (eine einfache Plastide) bereits aus Antimeren zusammen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/349
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/349>, abgerufen am 23.11.2024.