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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
Acyttarien, insbesondere der Polythalamien, hätten auf diesen Weg
hinführen können. Keine Abtheilung des Thier- und Pflanzen-Reiches
ist aber in dieser Beziehung instructiver, an Formen reicher und leich-
ter auf ganz bestimmte stereometrische Grundformen reducirbar, als
diejenige der Radiolarien. Der eingehenden Beschäftigung mit dieser
gestaltenreichsten aller Organismen-Gruppen verdanken wir es haupt-
sächlich, dass wir zur Unterscheidung der im Folgenden aufgestellten
Grundformen geführt wurden. Diese Grundformen sind hier zum
grossen Theil in solcher Reinheit verkörpert und mit so mathematischer
Strenge ausgeführt, dass ein einziger Blick auf eine naturgetreue Ab-
bildung genügt, um sich von dem unzweifelhaften Character der be-
stimmten stereometrischen Grundform sofort zu überzeugen. Da die
Radiolarienklasse in dieser Beziehung die lehrreichste von allen
Organismen-Gruppen, zugleich aber noch sehr wenig in weiteren
Kreisen bekannt ist, so erlauben wir uns hier, speciell auf die natur-
getreuen Abbildungen zu verweisen, welche von den verschiedensten
Radiolarien-Formen durch Ehrenberg, Johannes Müller und uns
selbst gegeben worden sind. 1)

VIII. Promorphologie und Orismologie.

Der hohe Werth, welchen wir einer scharfen stereometrischen
Bestimmung der organischen Grundformen zuschreiben müssen, und
welcher uns bewegt, die Promorphologie als selbstständige coordinirte
Wissenschaft der Tectologie an die Seite zu stellen, ist unseres Er-
achtens vorzüglich in der theoretischen Wichtigkeit der damit verbun-
denen monistischen Erkenntniss begründet, dass die äusseren Formen
der Organismen nicht willkührliche Phantasiegebilde eines anthro-
pomorphen Schöpfers, sondern mechanische Producte einer Summe von
wirkenden Ursachen sind, und dass dieselben ebenso mit absoluter
Nothwendigkeit aus der tectologischen Zusammensetzung ihrer con-
stituirenden Bestandtheile folgen, wie die anorganische Krystallform
aus der atomistischen Zusammensetzung der krystallisirenden Materie
und deren Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Insbesondere sind

1) Ehrenberg, Mikrogeologie. Leipzig 1854. Johannes Müller, Ab-
handlungen der Berliner Akademie. 1858. E. Haeckel, Monographie der
Radiolarien. Berlin 1862. Die Abbildungen von Radiolarien aller Familien,
welche ich in dem Atlas von 35 Kupfertafeln gegeben habe, der meine Mono-
graphie begleitet, sind mittelst der Camera lucida nach der Natur entworfen und
liefern concrete Beispiele für fast alle Grundformen, welche ich im System des
folgenden Capitels anführen werde. Ich habe daher dieselben in Klammern
(Rad.) citirt.

Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
Acyttarien, insbesondere der Polythalamien, hätten auf diesen Weg
hinführen können. Keine Abtheilung des Thier- und Pflanzen-Reiches
ist aber in dieser Beziehung instructiver, an Formen reicher und leich-
ter auf ganz bestimmte stereometrische Grundformen reducirbar, als
diejenige der Radiolarien. Der eingehenden Beschäftigung mit dieser
gestaltenreichsten aller Organismen-Gruppen verdanken wir es haupt-
sächlich, dass wir zur Unterscheidung der im Folgenden aufgestellten
Grundformen geführt wurden. Diese Grundformen sind hier zum
grossen Theil in solcher Reinheit verkörpert und mit so mathematischer
Strenge ausgeführt, dass ein einziger Blick auf eine naturgetreue Ab-
bildung genügt, um sich von dem unzweifelhaften Character der be-
stimmten stereometrischen Grundform sofort zu überzeugen. Da die
Radiolarienklasse in dieser Beziehung die lehrreichste von allen
Organismen-Gruppen, zugleich aber noch sehr wenig in weiteren
Kreisen bekannt ist, so erlauben wir uns hier, speciell auf die natur-
getreuen Abbildungen zu verweisen, welche von den verschiedensten
Radiolarien-Formen durch Ehrenberg, Johannes Müller und uns
selbst gegeben worden sind. 1)

VIII. Promorphologie und Orismologie.

Der hohe Werth, welchen wir einer scharfen stereometrischen
Bestimmung der organischen Grundformen zuschreiben müssen, und
welcher uns bewegt, die Promorphologie als selbstständige coordinirte
Wissenschaft der Tectologie an die Seite zu stellen, ist unseres Er-
achtens vorzüglich in der theoretischen Wichtigkeit der damit verbun-
denen monistischen Erkenntniss begründet, dass die äusseren Formen
der Organismen nicht willkührliche Phantasiegebilde eines anthro-
pomorphen Schöpfers, sondern mechanische Producte einer Summe von
wirkenden Ursachen sind, und dass dieselben ebenso mit absoluter
Nothwendigkeit aus der tectologischen Zusammensetzung ihrer con-
stituirenden Bestandtheile folgen, wie die anorganische Krystallform
aus der atomistischen Zusammensetzung der krystallisirenden Materie
und deren Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Insbesondere sind

1) Ehrenberg, Mikrogeologie. Leipzig 1854. Johannes Müller, Ab-
handlungen der Berliner Akademie. 1858. E. Haeckel, Monographie der
Radiolarien. Berlin 1862. Die Abbildungen von Radiolarien aller Familien,
welche ich in dem Atlas von 35 Kupfertafeln gegeben habe, der meine Mono-
graphie begleitet, sind mittelst der Camera lucida nach der Natur entworfen und
liefern concrete Beispiele für fast alle Grundformen, welche ich im System des
folgenden Capitels anführen werde. Ich habe daher dieselben in Klammern
(Rad.) citirt.
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[396/0435] Begriff und Aufgabe der Promorphologie. Acyttarien, insbesondere der Polythalamien, hätten auf diesen Weg hinführen können. Keine Abtheilung des Thier- und Pflanzen-Reiches ist aber in dieser Beziehung instructiver, an Formen reicher und leich- ter auf ganz bestimmte stereometrische Grundformen reducirbar, als diejenige der Radiolarien. Der eingehenden Beschäftigung mit dieser gestaltenreichsten aller Organismen-Gruppen verdanken wir es haupt- sächlich, dass wir zur Unterscheidung der im Folgenden aufgestellten Grundformen geführt wurden. Diese Grundformen sind hier zum grossen Theil in solcher Reinheit verkörpert und mit so mathematischer Strenge ausgeführt, dass ein einziger Blick auf eine naturgetreue Ab- bildung genügt, um sich von dem unzweifelhaften Character der be- stimmten stereometrischen Grundform sofort zu überzeugen. Da die Radiolarienklasse in dieser Beziehung die lehrreichste von allen Organismen-Gruppen, zugleich aber noch sehr wenig in weiteren Kreisen bekannt ist, so erlauben wir uns hier, speciell auf die natur- getreuen Abbildungen zu verweisen, welche von den verschiedensten Radiolarien-Formen durch Ehrenberg, Johannes Müller und uns selbst gegeben worden sind. 1) VIII. Promorphologie und Orismologie. Der hohe Werth, welchen wir einer scharfen stereometrischen Bestimmung der organischen Grundformen zuschreiben müssen, und welcher uns bewegt, die Promorphologie als selbstständige coordinirte Wissenschaft der Tectologie an die Seite zu stellen, ist unseres Er- achtens vorzüglich in der theoretischen Wichtigkeit der damit verbun- denen monistischen Erkenntniss begründet, dass die äusseren Formen der Organismen nicht willkührliche Phantasiegebilde eines anthro- pomorphen Schöpfers, sondern mechanische Producte einer Summe von wirkenden Ursachen sind, und dass dieselben ebenso mit absoluter Nothwendigkeit aus der tectologischen Zusammensetzung ihrer con- stituirenden Bestandtheile folgen, wie die anorganische Krystallform aus der atomistischen Zusammensetzung der krystallisirenden Materie und deren Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Insbesondere sind 1) Ehrenberg, Mikrogeologie. Leipzig 1854. Johannes Müller, Ab- handlungen der Berliner Akademie. 1858. E. Haeckel, Monographie der Radiolarien. Berlin 1862. Die Abbildungen von Radiolarien aller Familien, welche ich in dem Atlas von 35 Kupfertafeln gegeben habe, der meine Mono- graphie begleitet, sind mittelst der Camera lucida nach der Natur entworfen und liefern concrete Beispiele für fast alle Grundformen, welche ich im System des folgenden Capitels anführen werde. Ich habe daher dieselben in Klammern (Rad.) citirt.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/435>, abgerufen am 01.06.2024.