Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
ob sie einer von Beiden, -- und im letzteren Falle, welcher von Bei- den sie subordinirt ist.
Thatsächlich machen sich hier nun sehr verschiedenartige Auffas- sungen geltend. In der Biologie wird gewöhnlich, ja fast immer, die Chemie der Organismen als ein Theil der organischen Functions- lehre, der Physiologie betrachtet; und die übliche Definition der Phy- siologie bestimmt sie als die "Physik und Chemie der Organismen." In physiologischen Lehrbüchern und Lehrvorträgen spielt die Chemie eine eben so hervorragende Rolle, als die Physik. Dagegen wird die organische Chemie von der Morphologie nur selten, oder nur ganz beiläufig als eine innerhalb ihres Umfanges stehende Hülfswissenschaft in Anspruch genommen. Ganz anders gestaltet sich dagegen die Stel- lung der Chemie in der Abiologie, indem hier, wie erwähnt, gewöhn- lich Chemie, Physik und Morphologie (Krystallographie etc.) als coor- dinirte Disciplinen auftreten. Freilich lässt sich hier auch die Che- mie als ein Inhaltstheil der Physik betrachten, indem man dieselbe als eine "Physik der Atome" auffasst. Die Beurtheilung dieses Verhält- nisses wird verschieden ausfallen, je nachdem man den herrschenden atomistischen oder den entgegengesetzten dynamischen Ausichten von der fundamentalen Constitution der Materie huldigt.
Nach unserer Auffassung darf die Chemie, wenn man sie, wie dies in der Biologie thatsächlich geschieht, weder als übergeordnet noch als coordinirt der Statik und Dynamik anerkennen will, nicht aus- schliesslich einer von diesen beiden Disciplinen untergeordnet werden. Vielmehr müssen wir dann die Chemie ebenfalls in einen statischen und in einen dynamischen Zweig spalten, von denen jener der Mor- phologie, dieser der Physik zufällt. Die statische Chemie, welche sich dann der Morphologie unterordnet, ist die Chemie der Sub- strate, und begnügt sich mit der analytischen Erkenntniss der chemischen Zusammensetzung des Naturkörpers, dessen Form Object der Betrachtung ist. Auf dem anorganischen Wissenschaftsge- biete gehört hierher z. B. der chemische Theil der Mineralogie, fer- ner die Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem organischen Wissenschaftsgebiete dagegen ist diese statische Chemie derjenige Theil der "organischen" (fälschlich "physiologisch" genannten) Chemie, welcher häufig als "de- scriptive Chemie" bezeichnet und als "Chemie der Substrate" von der Physiologie, vollkommen mit Unrecht, in Anspruch genommen wird. Denn es ist klar, dass dieser statische Theil der Chemie entschieden zur Morphologie gerechnet werden muss; thatsächlich wird derselbe auch vielfältig von der Morphologie als wesentlicher Inhaltstheil benutzt, sel- ten aber ausdrücklich als solcher in Anspruch genommen. Victor Carus, dessen Behandlung der Morphologie sich so hoch über die allgemein
Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
ob sie einer von Beiden, — und im letzteren Falle, welcher von Bei- den sie subordinirt ist.
Thatsächlich machen sich hier nun sehr verschiedenartige Auffas- sungen geltend. In der Biologie wird gewöhnlich, ja fast immer, die Chemie der Organismen als ein Theil der organischen Functions- lehre, der Physiologie betrachtet; und die übliche Definition der Phy- siologie bestimmt sie als die „Physik und Chemie der Organismen.“ In physiologischen Lehrbüchern und Lehrvorträgen spielt die Chemie eine eben so hervorragende Rolle, als die Physik. Dagegen wird die organische Chemie von der Morphologie nur selten, oder nur ganz beiläufig als eine innerhalb ihres Umfanges stehende Hülfswissenschaft in Anspruch genommen. Ganz anders gestaltet sich dagegen die Stel- lung der Chemie in der Abiologie, indem hier, wie erwähnt, gewöhn- lich Chemie, Physik und Morphologie (Krystallographie etc.) als coor- dinirte Disciplinen auftreten. Freilich lässt sich hier auch die Che- mie als ein Inhaltstheil der Physik betrachten, indem man dieselbe als eine „Physik der Atome“ auffasst. Die Beurtheilung dieses Verhält- nisses wird verschieden ausfallen, je nachdem man den herrschenden atomistischen oder den entgegengesetzten dynamischen Ausichten von der fundamentalen Constitution der Materie huldigt.
Nach unserer Auffassung darf die Chemie, wenn man sie, wie dies in der Biologie thatsächlich geschieht, weder als übergeordnet noch als coordinirt der Statik und Dynamik anerkennen will, nicht aus- schliesslich einer von diesen beiden Disciplinen untergeordnet werden. Vielmehr müssen wir dann die Chemie ebenfalls in einen statischen und in einen dynamischen Zweig spalten, von denen jener der Mor- phologie, dieser der Physik zufällt. Die statische Chemie, welche sich dann der Morphologie unterordnet, ist die Chemie der Sub- strate, und begnügt sich mit der analytischen Erkenntniss der chemischen Zusammensetzung des Naturkörpers, dessen Form Object der Betrachtung ist. Auf dem anorganischen Wissenschaftsge- biete gehört hierher z. B. der chemische Theil der Mineralogie, fer- ner die Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem organischen Wissenschaftsgebiete dagegen ist diese statische Chemie derjenige Theil der „organischen“ (fälschlich „physiologisch“ genannten) Chemie, welcher häufig als „de- scriptive Chemie“ bezeichnet und als „Chemie der Substrate“ von der Physiologie, vollkommen mit Unrecht, in Anspruch genommen wird. Denn es ist klar, dass dieser statische Theil der Chemie entschieden zur Morphologie gerechnet werden muss; thatsächlich wird derselbe auch vielfältig von der Morphologie als wesentlicher Inhaltstheil benutzt, sel- ten aber ausdrücklich als solcher in Anspruch genommen. Victor Carus, dessen Behandlung der Morphologie sich so hoch über die allgemein
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Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
ob sie einer von Beiden, — und im letzteren Falle, welcher von Bei-
den sie subordinirt ist.
Thatsächlich machen sich hier nun sehr verschiedenartige Auffas-
sungen geltend. In der Biologie wird gewöhnlich, ja fast immer,
die Chemie der Organismen als ein Theil der organischen Functions-
lehre, der Physiologie betrachtet; und die übliche Definition der Phy-
siologie bestimmt sie als die „Physik und Chemie der Organismen.“
In physiologischen Lehrbüchern und Lehrvorträgen spielt die Chemie
eine eben so hervorragende Rolle, als die Physik. Dagegen wird die
organische Chemie von der Morphologie nur selten, oder nur ganz
beiläufig als eine innerhalb ihres Umfanges stehende Hülfswissenschaft
in Anspruch genommen. Ganz anders gestaltet sich dagegen die Stel-
lung der Chemie in der Abiologie, indem hier, wie erwähnt, gewöhn-
lich Chemie, Physik und Morphologie (Krystallographie etc.) als coor-
dinirte Disciplinen auftreten. Freilich lässt sich hier auch die Che-
mie als ein Inhaltstheil der Physik betrachten, indem man dieselbe
als eine „Physik der Atome“ auffasst. Die Beurtheilung dieses Verhält-
nisses wird verschieden ausfallen, je nachdem man den herrschenden
atomistischen oder den entgegengesetzten dynamischen Ausichten von
der fundamentalen Constitution der Materie huldigt.
Nach unserer Auffassung darf die Chemie, wenn man sie, wie dies
in der Biologie thatsächlich geschieht, weder als übergeordnet noch
als coordinirt der Statik und Dynamik anerkennen will, nicht aus-
schliesslich einer von diesen beiden Disciplinen untergeordnet werden.
Vielmehr müssen wir dann die Chemie ebenfalls in einen statischen
und in einen dynamischen Zweig spalten, von denen jener der Mor-
phologie, dieser der Physik zufällt. Die statische Chemie, welche
sich dann der Morphologie unterordnet, ist die Chemie der Sub-
strate, und begnügt sich mit der analytischen Erkenntniss der
chemischen Zusammensetzung des Naturkörpers, dessen Form
Object der Betrachtung ist. Auf dem anorganischen Wissenschaftsge-
biete gehört hierher z. B. der chemische Theil der Mineralogie, fer-
ner die Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Wassers, der
atmosphärischen Luft etc. Auf dem organischen Wissenschaftsgebiete
dagegen ist diese statische Chemie derjenige Theil der „organischen“
(fälschlich „physiologisch“ genannten) Chemie, welcher häufig als „de-
scriptive Chemie“ bezeichnet und als „Chemie der Substrate“ von der
Physiologie, vollkommen mit Unrecht, in Anspruch genommen wird.
Denn es ist klar, dass dieser statische Theil der Chemie entschieden
zur Morphologie gerechnet werden muss; thatsächlich wird derselbe auch
vielfältig von der Morphologie als wesentlicher Inhaltstheil benutzt, sel-
ten aber ausdrücklich als solcher in Anspruch genommen. Victor Carus,
dessen Behandlung der Morphologie sich so hoch über die allgemein
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/53>, abgerufen am 21.11.2024.
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