dem Namen der Statik oder der Morphonomie zu bezeichnen, und den Begriff der Morphologie (im engeren Sinne) auf die Formenlehre nach Ausschluss der statischen Chemie zu beschränken. Dann würde dem entsprechend der Begriff der Physik auf die Functionslehre im engeren Sinne (nach Ausschluss der dynamischen Chemie) zu beschränken sein, während wir unter Dynamik oder Phoronomie die Physik im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Processe) verstehen würden. Die gegenseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Disciplinen wür- den durch folgendes Schema übersichtlich dargestellt werden können:
Gesammtwissenschaft von den leblosen und belebten Naturkörpern der Erde.
Chemie
Morphonomie oder Statik (Morphologie im weiteren Sinne)
Phoronomie oder Dynamik (Physik im weiteren Sinne)
Morphologie (im engeren Sinne)
[Chemie der Substrate]
[Chemie der Processe]
Physik (im engeren Sinne)
IV. Morphologie und Physiologie.
Nachdem wir das Verhältnis der Morphologie im Allgemeinen zur Physik und zur Chemie bestimmt haben, ohne auf den Unterschied der organischen und anorganischen Naturkörper Rücksicht zu nehmen, kehren wir zurück zur Betrachtung des Verhältnisses, welches dieser Unterschied in den genannten Wissenschaften bedingt. Hierbei er- scheint es sehr lehrreich, die entsprechenden Wissenschaftsgebiete des organischen und des anorganischen Körperreichs vergleichend in Pa- rallele zu stellen, weil die einfacheren Verhältnisse der Anorgane uns viele Beziehungen klar enthüllen, welche durch die complicirteren Be- schaffenheiten der Organismen vielfach verdeckt werden. Die Abiolo- gie kann hier, wie in vielen anderen Fällen, der Biologie als Leuchte auf ihrem dunkelen und schwierigen Pfade dienen.
Wie wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern der Erde in die drei Hauptzweige der Chemie, Statik (Morphologie) und Dynamik (Physik) gespalten haben, so ist diese Eintheilung auch auf die vom Ge- sichtspunkte des "Lebens" aus unterschiedenen beiden Disciplinen der Biologie (Organismenlehre) und Abiologie (Anorganenlehre) anwendbar. Es werden sich die so entstehenden kleineren Zweige in beiden Wissen- schaften vollkommen coordinirt gegenüberstehen. Wenn wir nun, gemäss dem unter No. II. im letzten Abschnitt entwickelten Standpunkt, Chemie, Morphologie und Physik als drei coordinirte Hauptwissenschaften betrach-
Haeckel, Generelle Morphologie. 2
IV. Morphologie und Physiologie.
dem Namen der Statik oder der Morphonomie zu bezeichnen, und den Begriff der Morphologie (im engeren Sinne) auf die Formenlehre nach Ausschluss der statischen Chemie zu beschränken. Dann würde dem entsprechend der Begriff der Physik auf die Functionslehre im engeren Sinne (nach Ausschluss der dynamischen Chemie) zu beschränken sein, während wir unter Dynamik oder Phoronomie die Physik im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Processe) verstehen würden. Die gegenseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Disciplinen wür- den durch folgendes Schema übersichtlich dargestellt werden können:
Gesammtwissenschaft von den leblosen und belebten Naturkörpern der Erde.
Chemie
Morphonomie oder Statik (Morphologie im weiteren Sinne)
Phoronomie oder Dynamik (Physik im weiteren Sinne)
Morphologie (im engeren Sinne)
[Chemie der Substrate]
[Chemie der Processe]
Physik (im engeren Sinne)
IV. Morphologie und Physiologie.
Nachdem wir das Verhältnis der Morphologie im Allgemeinen zur Physik und zur Chemie bestimmt haben, ohne auf den Unterschied der organischen und anorganischen Naturkörper Rücksicht zu nehmen, kehren wir zurück zur Betrachtung des Verhältnisses, welches dieser Unterschied in den genannten Wissenschaften bedingt. Hierbei er- scheint es sehr lehrreich, die entsprechenden Wissenschaftsgebiete des organischen und des anorganischen Körperreichs vergleichend in Pa- rallele zu stellen, weil die einfacheren Verhältnisse der Anorgane uns viele Beziehungen klar enthüllen, welche durch die complicirteren Be- schaffenheiten der Organismen vielfach verdeckt werden. Die Abiolo- gie kann hier, wie in vielen anderen Fällen, der Biologie als Leuchte auf ihrem dunkelen und schwierigen Pfade dienen.
Wie wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern der Erde in die drei Hauptzweige der Chemie, Statik (Morphologie) und Dynamik (Physik) gespalten haben, so ist diese Eintheilung auch auf die vom Ge- sichtspunkte des „Lebens“ aus unterschiedenen beiden Disciplinen der Biologie (Organismenlehre) und Abiologie (Anorganenlehre) anwendbar. Es werden sich die so entstehenden kleineren Zweige in beiden Wissen- schaften vollkommen coordinirt gegenüberstehen. Wenn wir nun, gemäss dem unter No. II. im letzten Abschnitt entwickelten Standpunkt, Chemie, Morphologie und Physik als drei coordinirte Hauptwissenschaften betrach-
Haeckel, Generelle Morphologie. 2
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IV. Morphologie und Physiologie.
dem Namen der Statik oder der Morphonomie zu bezeichnen, und den
Begriff der Morphologie (im engeren Sinne) auf die Formenlehre nach
Ausschluss der statischen Chemie zu beschränken. Dann würde dem
entsprechend der Begriff der Physik auf die Functionslehre im engeren
Sinne (nach Ausschluss der dynamischen Chemie) zu beschränken sein,
während wir unter Dynamik oder Phoronomie die Physik im weitesten
Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Processe) verstehen würden.
Die gegenseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Disciplinen wür-
den durch folgendes Schema übersichtlich dargestellt werden können:
Gesammtwissenschaft
von den leblosen und belebten Naturkörpern
der Erde.
Chemie
Morphonomie
oder Statik
(Morphologie im weiteren Sinne) Phoronomie
oder Dynamik
(Physik im weiteren Sinne)
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(im engeren Sinne) [Chemie der
Substrate] [Chemie der
Processe] Physik
(im engeren Sinne)
IV. Morphologie und Physiologie.
Nachdem wir das Verhältnis der Morphologie im Allgemeinen zur
Physik und zur Chemie bestimmt haben, ohne auf den Unterschied
der organischen und anorganischen Naturkörper Rücksicht zu nehmen,
kehren wir zurück zur Betrachtung des Verhältnisses, welches dieser
Unterschied in den genannten Wissenschaften bedingt. Hierbei er-
scheint es sehr lehrreich, die entsprechenden Wissenschaftsgebiete des
organischen und des anorganischen Körperreichs vergleichend in Pa-
rallele zu stellen, weil die einfacheren Verhältnisse der Anorgane uns
viele Beziehungen klar enthüllen, welche durch die complicirteren Be-
schaffenheiten der Organismen vielfach verdeckt werden. Die Abiolo-
gie kann hier, wie in vielen anderen Fällen, der Biologie als Leuchte
auf ihrem dunkelen und schwierigen Pfade dienen.
Wie wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern der Erde
in die drei Hauptzweige der Chemie, Statik (Morphologie) und Dynamik
(Physik) gespalten haben, so ist diese Eintheilung auch auf die vom Ge-
sichtspunkte des „Lebens“ aus unterschiedenen beiden Disciplinen der
Biologie (Organismenlehre) und Abiologie (Anorganenlehre) anwendbar.
Es werden sich die so entstehenden kleineren Zweige in beiden Wissen-
schaften vollkommen coordinirt gegenüberstehen. Wenn wir nun, gemäss
dem unter No. II. im letzten Abschnitt entwickelten Standpunkt, Chemie,
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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