Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
deren geometrischen Grundformen, Promorphologie, an welche sich unmittelbar die Betrachtung der nicht geometrisch bestimmbaren äus- seren Formen derselben anschliessen wird. (Viertes Buch.)
Die Morphogenie oder die Entwickelungsgeschichte (im weite- sten Sinne) als die Formenlehre des werdenden Organismus, zerfällt ebenfalls in zwei Disciplinen, welche nach unserer Anschauung nächst- verwandt und eng verbunden sind, obwohl sie gewöhnlich als weit getrennte Wissenschaften behandelt werden. I) Die erste derselben untersucht die Entwickelungsgeschichte der Individuen und kann demgemäss als Ontogenie bezeichnet werden. Gewöhnlich wird sie "Embryologie" genannt, obwohl dieser Begriff viel zu enge, und nur auf die höheren Organismen anwendbar ist. (Fünftes Buch.) II) Der andere Zweig der Morphogenie ist die Entwickelungsgeschichte der Stämme oder Phylogenie und untersucht die zusammenhängende Formenkette aller derjenigen organischen Individuen, die von einer und derselben gemeinsamen Stammform sich abgezweigt haben. Da so wesentlich die Erkenntniss der Verwandtschaft der organischen Formen ihre Aufgabe ist, könnte sie auch Genealogie der Organismen, und da ihr wesentliches empirisches Substrat die Petrefactenkunde ist, "wissenschaftliche Palaeontologie" genannt werden. (Sechstes Buch.)
Das gegenseitige Verhältniss dieser vier Disciplinen, welche wir als die Hauptzweige der Morphologie der Organismen betrachten, ist bisher, theils wegen der einseitig herrschenden analytischen Er- kenntniss-Methoden, theils wegen des allgemeinen Glaubens an das Species-Dogma, meist vollständig verkannt worden. Unsere Auffas- sung desselben dürfte durch folgendes Schema übersichtlich erläutert werden:
Morphologie der Organismen (im engeren Sinne, nach Ausschluss der statischen Chemie).
Anatomie oder Morphologie im engsten Sinne. (Gesammtwissenschaft von der voll- endeten Form der Organismen.
Morphogenie oder Entwickelungsgeschichte. (Gesammtwissenschaft von der wer- denden Form der Organismen.
Tectologie (oder Structur- lehre).
Promorphologie (oder Grundformen- lehre).
Ontogenie (oder Embryologie).
Phylogenie (oder Palaeon- tologie)
Wissenschaft von der Zusammen- setzung der Orga- nismen aus orga- nischen Individuen verschiedener Ord- nung.
Wissenschaft von den äusseren For- men der organi- schen Individuen und deren stereo- metrischen Grund- formen.
Entwickelungsge- schichte der orga- nischen Individuen (Onta).
Entwickelungsge- schichte der orga- nischen Stämme (Phyla).
Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
deren geometrischen Grundformen, Promorphologie, an welche sich unmittelbar die Betrachtung der nicht geometrisch bestimmbaren äus- seren Formen derselben anschliessen wird. (Viertes Buch.)
Die Morphogenie oder die Entwickelungsgeschichte (im weite- sten Sinne) als die Formenlehre des werdenden Organismus, zerfällt ebenfalls in zwei Disciplinen, welche nach unserer Anschauung nächst- verwandt und eng verbunden sind, obwohl sie gewöhnlich als weit getrennte Wissenschaften behandelt werden. I) Die erste derselben untersucht die Entwickelungsgeschichte der Individuen und kann demgemäss als Ontogenie bezeichnet werden. Gewöhnlich wird sie „Embryologie“ genannt, obwohl dieser Begriff viel zu enge, und nur auf die höheren Organismen anwendbar ist. (Fünftes Buch.) II) Der andere Zweig der Morphogenie ist die Entwickelungsgeschichte der Stämme oder Phylogenie und untersucht die zusammenhängende Formenkette aller derjenigen organischen Individuen, die von einer und derselben gemeinsamen Stammform sich abgezweigt haben. Da so wesentlich die Erkenntniss der Verwandtschaft der organischen Formen ihre Aufgabe ist, könnte sie auch Genealogie der Organismen, und da ihr wesentliches empirisches Substrat die Petrefactenkunde ist, „wissenschaftliche Palaeontologie“ genannt werden. (Sechstes Buch.)
Das gegenseitige Verhältniss dieser vier Disciplinen, welche wir als die Hauptzweige der Morphologie der Organismen betrachten, ist bisher, theils wegen der einseitig herrschenden analytischen Er- kenntniss-Methoden, theils wegen des allgemeinen Glaubens an das Species-Dogma, meist vollständig verkannt worden. Unsere Auffas- sung desselben dürfte durch folgendes Schema übersichtlich erläutert werden:
Morphologie der Organismen (im engeren Sinne, nach Ausschluss der statischen Chemie).
Anatomie oder Morphologie im engsten Sinne. (Gesammtwissenschaft von der voll- endeten Form der Organismen.⃒
Morphogenie oder Entwickelungsgeschichte. (Gesammtwissenschaft von der wer- denden Form der Organismen.
Tectologie (oder Structur- lehre).⃒
Promorphologie (oder Grundformen- lehre).⃒
Ontogenie (oder Embryologie).⃒
Phylogenie (oder Palaeon- tologie)
Wissenschaft von der Zusammen- setzung der Orga- nismen aus orga- nischen Individuen verschiedener Ord- nung.
Wissenschaft von den äusseren For- men der organi- schen Individuen und deren stereo- metrischen Grund- formen.⃒
Entwickelungsge- schichte der orga- nischen Individuen (Onta).
Entwickelungsge- schichte der orga- nischen Stämme (Phyla).
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Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
deren geometrischen Grundformen, Promorphologie, an welche sich
unmittelbar die Betrachtung der nicht geometrisch bestimmbaren äus-
seren Formen derselben anschliessen wird. (Viertes Buch.)
Die Morphogenie oder die Entwickelungsgeschichte (im weite-
sten Sinne) als die Formenlehre des werdenden Organismus, zerfällt
ebenfalls in zwei Disciplinen, welche nach unserer Anschauung nächst-
verwandt und eng verbunden sind, obwohl sie gewöhnlich als weit
getrennte Wissenschaften behandelt werden. I) Die erste derselben
untersucht die Entwickelungsgeschichte der Individuen und
kann demgemäss als Ontogenie bezeichnet werden. Gewöhnlich wird
sie „Embryologie“ genannt, obwohl dieser Begriff viel zu enge, und
nur auf die höheren Organismen anwendbar ist. (Fünftes Buch.) II) Der
andere Zweig der Morphogenie ist die Entwickelungsgeschichte
der Stämme oder Phylogenie und untersucht die zusammenhängende
Formenkette aller derjenigen organischen Individuen, die von einer
und derselben gemeinsamen Stammform sich abgezweigt haben. Da so
wesentlich die Erkenntniss der Verwandtschaft der organischen Formen
ihre Aufgabe ist, könnte sie auch Genealogie der Organismen,
und da ihr wesentliches empirisches Substrat die Petrefactenkunde ist,
„wissenschaftliche Palaeontologie“ genannt werden. (Sechstes
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Das gegenseitige Verhältniss dieser vier Disciplinen, welche wir
als die Hauptzweige der Morphologie der Organismen betrachten,
ist bisher, theils wegen der einseitig herrschenden analytischen Er-
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sung desselben dürfte durch folgendes Schema übersichtlich erläutert
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Morphologie der Organismen
(im engeren Sinne, nach Ausschluss der statischen Chemie).
Anatomie
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(Gesammtwissenschaft von der voll-
endeten Form der Organismen.⃒ Morphogenie
oder Entwickelungsgeschichte.
(Gesammtwissenschaft von der wer-
denden Form der Organismen.
Tectologie
(oder Structur-
lehre).⃒ Promorphologie
(oder Grundformen-
lehre).⃒ Ontogenie
(oder Embryologie).⃒ Phylogenie
(oder Palaeon-
tologie)
Wissenschaft von
der Zusammen-
setzung der Orga-
nismen aus orga-
nischen Individuen
verschiedener Ord-
nung. Wissenschaft von
den äusseren For-
men der organi-
schen Individuen
und deren stereo-
metrischen Grund-
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schichte der orga-
nischen Individuen
(Onta). Entwickelungsge-
schichte der orga-
nischen Stämme
(Phyla).
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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