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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen.
liche Morphologie kann nur durch die innigste gegenseitige Ergänzung und
Wechselwirkung der Anatomie und der Morphogenie ihr eigentliches Ziel
erreichen.

VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen.

Wir haben im Vorhergehenden den Begriff der Morphogenie oder
Entwickelungsgeschichte der Organismen in seinem weitesten Sinne
gefasst, indem wir die Gesammtwissenschaft von den werdenden Or-
ganismen darunter verstanden. In dem gewöhnlichen Sinne des Worts
versteht man aber unter Entwickelungsgeschichte nur diejenige der In-
dividuen oder die sogenannte Embryologie, welche besser als Onto-
genie
bezeichnet wird. Nach unserer eigenen Auffassung ist diese
Disciplin jedoch nur ein Theil, ein Zweig der Morphogenie und diesem
steht als anderer coordinirter Hauptzweig der letzteren die Entwicke-
lungsgeschichte der Stämme (Phyla) oder die Phylogenie gegenüber,
eine Wissenschaft, deren wesentlichste Grundlage die Palaeontologie
ist. Entgegen dem gewöhnlichen Sprachgebrauche würden wir also die
Entwickelungsgeschichte in die beiden Zweige der Embryologie und
der Palaeontologie zu spalten haben. Wir halten diese beiden Haupt-
zweige der Morphogenie für nächstverwandte Disciplinen, welche zu
einander die innigsten und nächsten Beziehungen haben, und welche
nur durch gemeinsames Zusammenwirken und gegenseitiges Erläutern
hoffen können, ihr gemeinsames Ziel, eine Erklärung des organischen
Werdens zu erreichen. Nach der gewöhnlichen biologischen Anschauungs-
weise sind nun aber die Embryologie und die Palaeontologie ganz
verschiedenartige und weit von einander entfernte Zweige der Biologie,
die nichts als das Object des Organismus mit einander gemein haben.
Wir werden daher unsere entgegengesetzte Anschauung, welche im
fünften und sechsten Abschnitt ausführlich begründet werden wird, hier
zunächst dadurch zu erläutern haben, dass wir den Begriff der Em-
bryologie (Ontogenie) und der Palaeontologie (Phylogenie) nach Um-
fang und Inhalt scharf bestimmen.

Die Entwickelungsgeschichte der Individuen oder die Onto-
genie ist derjenige Hauptzweig der Morphogenie, welcher von der ge-
wöhnlichen Biologie heutzutage allein als "Entwickelungsgeschichte"
betrachtet und mit dem unpassenden Namen der Embryologie be-
legt wird. Wenn der Ausdruck "Embryo" einen bestimmten Be-
griff bezeichnen soll, so kann darunter, wie unten im sechsten
Buche gezeigt werden wird, nur "der Organismus innerhalb der
Eihüllen
" verstanden werden, und die häufig gebrauchte Bezeichnung
der "freien Embryonen" für gewisse Larvenformen niederer Thiere ist
eine Contradictio in adjecto. Sobald der Embryo die Eihüllen durch-
brochen und verlassen hat, ist er nicht mehr Embryo, sondern ent-

VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen.
liche Morphologie kann nur durch die innigste gegenseitige Ergänzung und
Wechselwirkung der Anatomie und der Morphogenie ihr eigentliches Ziel
erreichen.

VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen.

Wir haben im Vorhergehenden den Begriff der Morphogenie oder
Entwickelungsgeschichte der Organismen in seinem weitesten Sinne
gefasst, indem wir die Gesammtwissenschaft von den werdenden Or-
ganismen darunter verstanden. In dem gewöhnlichen Sinne des Worts
versteht man aber unter Entwickelungsgeschichte nur diejenige der In-
dividuen oder die sogenannte Embryologie, welche besser als Onto-
genie
bezeichnet wird. Nach unserer eigenen Auffassung ist diese
Disciplin jedoch nur ein Theil, ein Zweig der Morphogenie und diesem
steht als anderer coordinirter Hauptzweig der letzteren die Entwicke-
lungsgeschichte der Stämme (Phyla) oder die Phylogenie gegenüber,
eine Wissenschaft, deren wesentlichste Grundlage die Palaeontologie
ist. Entgegen dem gewöhnlichen Sprachgebrauche würden wir also die
Entwickelungsgeschichte in die beiden Zweige der Embryologie und
der Palaeontologie zu spalten haben. Wir halten diese beiden Haupt-
zweige der Morphogenie für nächstverwandte Disciplinen, welche zu
einander die innigsten und nächsten Beziehungen haben, und welche
nur durch gemeinsames Zusammenwirken und gegenseitiges Erläutern
hoffen können, ihr gemeinsames Ziel, eine Erklärung des organischen
Werdens zu erreichen. Nach der gewöhnlichen biologischen Anschauungs-
weise sind nun aber die Embryologie und die Palaeontologie ganz
verschiedenartige und weit von einander entfernte Zweige der Biologie,
die nichts als das Object des Organismus mit einander gemein haben.
Wir werden daher unsere entgegengesetzte Anschauung, welche im
fünften und sechsten Abschnitt ausführlich begründet werden wird, hier
zunächst dadurch zu erläutern haben, dass wir den Begriff der Em-
bryologie (Ontogenie) und der Palaeontologie (Phylogenie) nach Um-
fang und Inhalt scharf bestimmen.

Die Entwickelungsgeschichte der Individuen oder die Onto-
genie ist derjenige Hauptzweig der Morphogenie, welcher von der ge-
wöhnlichen Biologie heutzutage allein als „Entwickelungsgeschichte“
betrachtet und mit dem unpassenden Namen der Embryologie be-
legt wird. Wenn der Ausdruck „Embryo“ einen bestimmten Be-
griff bezeichnen soll, so kann darunter, wie unten im sechsten
Buche gezeigt werden wird, nur „der Organismus innerhalb der
Eihüllen
“ verstanden werden, und die häufig gebrauchte Bezeichnung
der „freien Embryonen“ für gewisse Larvenformen niederer Thiere ist
eine Contradictio in adjecto. Sobald der Embryo die Eihüllen durch-
brochen und verlassen hat, ist er nicht mehr Embryo, sondern ent-

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[53/0092] VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen. liche Morphologie kann nur durch die innigste gegenseitige Ergänzung und Wechselwirkung der Anatomie und der Morphogenie ihr eigentliches Ziel erreichen. VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen. Wir haben im Vorhergehenden den Begriff der Morphogenie oder Entwickelungsgeschichte der Organismen in seinem weitesten Sinne gefasst, indem wir die Gesammtwissenschaft von den werdenden Or- ganismen darunter verstanden. In dem gewöhnlichen Sinne des Worts versteht man aber unter Entwickelungsgeschichte nur diejenige der In- dividuen oder die sogenannte Embryologie, welche besser als Onto- genie bezeichnet wird. Nach unserer eigenen Auffassung ist diese Disciplin jedoch nur ein Theil, ein Zweig der Morphogenie und diesem steht als anderer coordinirter Hauptzweig der letzteren die Entwicke- lungsgeschichte der Stämme (Phyla) oder die Phylogenie gegenüber, eine Wissenschaft, deren wesentlichste Grundlage die Palaeontologie ist. Entgegen dem gewöhnlichen Sprachgebrauche würden wir also die Entwickelungsgeschichte in die beiden Zweige der Embryologie und der Palaeontologie zu spalten haben. Wir halten diese beiden Haupt- zweige der Morphogenie für nächstverwandte Disciplinen, welche zu einander die innigsten und nächsten Beziehungen haben, und welche nur durch gemeinsames Zusammenwirken und gegenseitiges Erläutern hoffen können, ihr gemeinsames Ziel, eine Erklärung des organischen Werdens zu erreichen. Nach der gewöhnlichen biologischen Anschauungs- weise sind nun aber die Embryologie und die Palaeontologie ganz verschiedenartige und weit von einander entfernte Zweige der Biologie, die nichts als das Object des Organismus mit einander gemein haben. Wir werden daher unsere entgegengesetzte Anschauung, welche im fünften und sechsten Abschnitt ausführlich begründet werden wird, hier zunächst dadurch zu erläutern haben, dass wir den Begriff der Em- bryologie (Ontogenie) und der Palaeontologie (Phylogenie) nach Um- fang und Inhalt scharf bestimmen. Die Entwickelungsgeschichte der Individuen oder die Onto- genie ist derjenige Hauptzweig der Morphogenie, welcher von der ge- wöhnlichen Biologie heutzutage allein als „Entwickelungsgeschichte“ betrachtet und mit dem unpassenden Namen der Embryologie be- legt wird. Wenn der Ausdruck „Embryo“ einen bestimmten Be- griff bezeichnen soll, so kann darunter, wie unten im sechsten Buche gezeigt werden wird, nur „der Organismus innerhalb der Eihüllen“ verstanden werden, und die häufig gebrauchte Bezeichnung der „freien Embryonen“ für gewisse Larvenformen niederer Thiere ist eine Contradictio in adjecto. Sobald der Embryo die Eihüllen durch- brochen und verlassen hat, ist er nicht mehr Embryo, sondern ent-

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/92>, abgerufen am 21.11.2024.