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Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

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ständigen Moneren als auch diese ersten histologischen
Sonderungs-Vorgänge bei der individuellen Entwickelung
der höheren Organismen von fundamentaler Bedeutung.
Ebenso die Physiologie wie die Morphologie, ebenso die
Phylogenie wie die Ontogenie können daraus die wichtig¬
sten Schlüsse ziehen. Denn sie zeigen uns erstens, wie
das Leben anfänglich mit der Bildung einer homogenen,
form- und structurlosen Masse beginnt, die in sich so
gleichartig ist, wie ein Krystall; sie erläutern uns zweitens,
wie eine solche Cytode trotz des Mangels aller Organe
doch sämmtliche "Lebens-Erscheinungen": Ernährung und
Fortpflanzung, Empfindung und Bewegung zu vollziehen
im Stande ist: sie liefern uns damit drittens den klaren
Beweis, dass das "Leben" auch im engeren Sinne nicht an
einen bestimmt geformten und morphologisch gesonderten
Körper mit verschiedenen Organen, sondern an eine form¬
lose Substanz von bestimmter physikalischer Beschaffenheit
und chemischer Zusammensetzung gebunden ist; und sie
lehren uns viertens, wie eine solche, blos aus Plasson be¬
stehende Cytode sich durch Sonderung von Kern und Pro¬
toplasma in eine echte "Zelle" verwandeln kann.

Für die Zellen-Theorie ergiebt sich daraus zunächst
der wichtige Folgeschluss, dass die "Zelle" nicht, wie man
gewöhnlich annahm, der einfachste, älteste und niederste
Elementar-Organismus ist, sondern dass der echten, kern¬
haltigen "Zelle" die niedere, kernlose "Cytode" voraus¬
gehen muss. Cytoden und Zellen sind die beiden Haupt¬
formen der "Elementar-Organismen" oder "Lebenseinheiten."
Mit der Cytode, blos aus Plasson bestehend, hat das
organische Leben auf unserem Erdball begonnen; indem

ständigen Moneren als auch diese ersten histologischen
Sonderungs-Vorgänge bei der individuellen Entwickelung
der höheren Organismen von fundamentaler Bedeutung.
Ebenso die Physiologie wie die Morphologie, ebenso die
Phylogenie wie die Ontogenie können daraus die wichtig¬
sten Schlüsse ziehen. Denn sie zeigen uns erstens, wie
das Leben anfänglich mit der Bildung einer homogenen,
form- und structurlosen Masse beginnt, die in sich so
gleichartig ist, wie ein Krystall; sie erläutern uns zweitens,
wie eine solche Cytode trotz des Mangels aller Organe
doch sämmtliche „Lebens-Erscheinungen“: Ernährung und
Fortpflanzung, Empfindung und Bewegung zu vollziehen
im Stande ist: sie liefern uns damit drittens den klaren
Beweis, dass das „Leben“ auch im engeren Sinne nicht an
einen bestimmt geformten und morphologisch gesonderten
Körper mit verschiedenen Organen, sondern an eine form¬
lose Substanz von bestimmter physikalischer Beschaffenheit
und chemischer Zusammensetzung gebunden ist; und sie
lehren uns viertens, wie eine solche, blos aus Plasson be¬
stehende Cytode sich durch Sonderung von Kern und Pro¬
toplasma in eine echte „Zelle“ verwandeln kann.

Für die Zellen-Theorie ergiebt sich daraus zunächst
der wichtige Folgeschluss, dass die „Zelle“ nicht, wie man
gewöhnlich annahm, der einfachste, älteste und niederste
Elementar-Organismus ist, sondern dass der echten, kern¬
haltigen „Zelle“ die niedere, kernlose „Cytode“ voraus¬
gehen muss. Cytoden und Zellen sind die beiden Haupt¬
formen der „Elementar-Organismen“ oder „Lebenseinheiten.“
Mit der Cytode, blos aus Plasson bestehend, hat das
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[30/0036] ständigen Moneren als auch diese ersten histologischen Sonderungs-Vorgänge bei der individuellen Entwickelung der höheren Organismen von fundamentaler Bedeutung. Ebenso die Physiologie wie die Morphologie, ebenso die Phylogenie wie die Ontogenie können daraus die wichtig¬ sten Schlüsse ziehen. Denn sie zeigen uns erstens, wie das Leben anfänglich mit der Bildung einer homogenen, form- und structurlosen Masse beginnt, die in sich so gleichartig ist, wie ein Krystall; sie erläutern uns zweitens, wie eine solche Cytode trotz des Mangels aller Organe doch sämmtliche „Lebens-Erscheinungen“: Ernährung und Fortpflanzung, Empfindung und Bewegung zu vollziehen im Stande ist: sie liefern uns damit drittens den klaren Beweis, dass das „Leben“ auch im engeren Sinne nicht an einen bestimmt geformten und morphologisch gesonderten Körper mit verschiedenen Organen, sondern an eine form¬ lose Substanz von bestimmter physikalischer Beschaffenheit und chemischer Zusammensetzung gebunden ist; und sie lehren uns viertens, wie eine solche, blos aus Plasson be¬ stehende Cytode sich durch Sonderung von Kern und Pro¬ toplasma in eine echte „Zelle“ verwandeln kann. Für die Zellen-Theorie ergiebt sich daraus zunächst der wichtige Folgeschluss, dass die „Zelle“ nicht, wie man gewöhnlich annahm, der einfachste, älteste und niederste Elementar-Organismus ist, sondern dass der echten, kern¬ haltigen „Zelle“ die niedere, kernlose „Cytode“ voraus¬ gehen muss. Cytoden und Zellen sind die beiden Haupt¬ formen der „Elementar-Organismen“ oder „Lebenseinheiten.“ Mit der Cytode, blos aus Plasson bestehend, hat das organische Leben auf unserem Erdball begonnen; indem

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/36>, abgerufen am 21.11.2024.