gesetzt, ausgebildet und artikulirt wurden. Die Entwickelung der ar- tikulirten Sprache war nun wieder der stärkste Hebel für eine weiter fortschreitende Entwickelung des Organismus und vor Allem des Ge- hirns, und so verwandelten sich allmählich und langsam die Affen- menschen in echte Menschen. Die wirkliche Abstammung der nieder- sten und rohesten Urmenschen von den höchst entwickelten Affen wurde also von Lamarck bereits auf das bestimmteste behauptet, und durch eine Reihe der wichtigsten Beweisgründe unterstützt.
Als der bedeutendste der französischen Naturphilosophen gilt ge- wöhnlich nicht Lamarck, sondern Etienne Geoffroy St. Hi- laire (der Aeltere), geb. 1771, derjenige, für welchen auch Goe- the sich besonders interessirte, und den wir oben bereits als den ent- schiedensten Gegner Cuvier's kennen gelernt haben. Er entwickelte seine Jdeen von der Umbildung der organischen Species bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, veröffentlichte dieselben aber erst im Jahre 1828, und vertheidigte sie dann in den folgenden Jahren, be- sonders 1830, tapfer gegen Cuvier. Geoffroy S. Hilaire nahm im Wesentlichen die Descendenztheorie Lamarck's an, glaubte jedoch, daß die Umbildung der Thier- und Pflanzenarten weniger durch die eigene Thätigkeit des Organismus, (durch Gewohnheit, Uebung, Ge- brauch oder Nichtgebrauch der Organe) bewirkt werde, als vielmehr durch den "Monde ambiant", d. h. durch die beständige Verände- rung der Außenwelt, insbesondere der Atmosphäre. Er faßt den Or- ganismus gegenüber den Lebensbedingungen der Außenwelt mehr passiv oder leidend auf, Lamarck dagegen mehr activ oder handelnd. Geoffroy glaubt z. B., daß bloß durch Verminderung der Kohlen- säure in der Atmosphäre aus eidechsenartigen Reptilien die Vögel ent- standen seien, indem durch den größeren Sauerstoffgehalt der Ath- mungsprozeß lebhafter und energischer wurde. Dadurch entstand eine höhere Bluttemperatur, eine gesteigerte Nerven- und Muskelthä- tigkeit, aus den Schuppen der Reptilien wurden die Federn der Vö- gel u. s. w. Auch dieser Vorstellung liegt ein richtiger Gedanke zu Grunde. Aber wenn auch gewiß die Veränderung der Atmosphäre
Naturphiloſophie von Geoffroy S. Hilaire.
geſetzt, ausgebildet und artikulirt wurden. Die Entwickelung der ar- tikulirten Sprache war nun wieder der ſtaͤrkſte Hebel fuͤr eine weiter fortſchreitende Entwickelung des Organismus und vor Allem des Ge- hirns, und ſo verwandelten ſich allmaͤhlich und langſam die Affen- menſchen in echte Menſchen. Die wirkliche Abſtammung der nieder- ſten und roheſten Urmenſchen von den hoͤchſt entwickelten Affen wurde alſo von Lamarck bereits auf das beſtimmteſte behauptet, und durch eine Reihe der wichtigſten Beweisgruͤnde unterſtuͤtzt.
Als der bedeutendſte der franzoͤſiſchen Naturphiloſophen gilt ge- woͤhnlich nicht Lamarck, ſondern Etienne Geoffroy St. Hi- laire (der Aeltere), geb. 1771, derjenige, fuͤr welchen auch Goe- the ſich beſonders intereſſirte, und den wir oben bereits als den ent- ſchiedenſten Gegner Cuvier’s kennen gelernt haben. Er entwickelte ſeine Jdeen von der Umbildung der organiſchen Species bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, veroͤffentlichte dieſelben aber erſt im Jahre 1828, und vertheidigte ſie dann in den folgenden Jahren, be- ſonders 1830, tapfer gegen Cuvier. Geoffroy S. Hilaire nahm im Weſentlichen die Deſcendenztheorie Lamarck’s an, glaubte jedoch, daß die Umbildung der Thier- und Pflanzenarten weniger durch die eigene Thaͤtigkeit des Organismus, (durch Gewohnheit, Uebung, Ge- brauch oder Nichtgebrauch der Organe) bewirkt werde, als vielmehr durch den „Monde ambiant“, d. h. durch die beſtaͤndige Veraͤnde- rung der Außenwelt, insbeſondere der Atmoſphaͤre. Er faßt den Or- ganismus gegenuͤber den Lebensbedingungen der Außenwelt mehr paſſiv oder leidend auf, Lamarck dagegen mehr activ oder handelnd. Geoffroy glaubt z. B., daß bloß durch Verminderung der Kohlen- ſaͤure in der Atmoſphaͤre aus eidechſenartigen Reptilien die Voͤgel ent- ſtanden ſeien, indem durch den groͤßeren Sauerſtoffgehalt der Ath- mungsprozeß lebhafter und energiſcher wurde. Dadurch entſtand eine hoͤhere Bluttemperatur, eine geſteigerte Nerven- und Muskelthaͤ- tigkeit, aus den Schuppen der Reptilien wurden die Federn der Voͤ- gel u. ſ. w. Auch dieſer Vorſtellung liegt ein richtiger Gedanke zu Grunde. Aber wenn auch gewiß die Veraͤnderung der Atmoſphaͤre
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Naturphiloſophie von Geoffroy S. Hilaire.
geſetzt, ausgebildet und artikulirt wurden. Die Entwickelung der ar-
tikulirten Sprache war nun wieder der ſtaͤrkſte Hebel fuͤr eine weiter
fortſchreitende Entwickelung des Organismus und vor Allem des Ge-
hirns, und ſo verwandelten ſich allmaͤhlich und langſam die Affen-
menſchen in echte Menſchen. Die wirkliche Abſtammung der nieder-
ſten und roheſten Urmenſchen von den hoͤchſt entwickelten Affen wurde
alſo von Lamarck bereits auf das beſtimmteſte behauptet, und durch
eine Reihe der wichtigſten Beweisgruͤnde unterſtuͤtzt.
Als der bedeutendſte der franzoͤſiſchen Naturphiloſophen gilt ge-
woͤhnlich nicht Lamarck, ſondern Etienne Geoffroy St. Hi-
laire (der Aeltere), geb. 1771, derjenige, fuͤr welchen auch Goe-
the ſich beſonders intereſſirte, und den wir oben bereits als den ent-
ſchiedenſten Gegner Cuvier’s kennen gelernt haben. Er entwickelte
ſeine Jdeen von der Umbildung der organiſchen Species bereits gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts, veroͤffentlichte dieſelben aber erſt im
Jahre 1828, und vertheidigte ſie dann in den folgenden Jahren, be-
ſonders 1830, tapfer gegen Cuvier. Geoffroy S. Hilaire nahm
im Weſentlichen die Deſcendenztheorie Lamarck’s an, glaubte jedoch,
daß die Umbildung der Thier- und Pflanzenarten weniger durch die
eigene Thaͤtigkeit des Organismus, (durch Gewohnheit, Uebung, Ge-
brauch oder Nichtgebrauch der Organe) bewirkt werde, als vielmehr
durch den „Monde ambiant“, d. h. durch die beſtaͤndige Veraͤnde-
rung der Außenwelt, insbeſondere der Atmoſphaͤre. Er faßt den Or-
ganismus gegenuͤber den Lebensbedingungen der Außenwelt mehr
paſſiv oder leidend auf, Lamarck dagegen mehr activ oder handelnd.
Geoffroy glaubt z. B., daß bloß durch Verminderung der Kohlen-
ſaͤure in der Atmoſphaͤre aus eidechſenartigen Reptilien die Voͤgel ent-
ſtanden ſeien, indem durch den groͤßeren Sauerſtoffgehalt der Ath-
mungsprozeß lebhafter und energiſcher wurde. Dadurch entſtand
eine hoͤhere Bluttemperatur, eine geſteigerte Nerven- und Muskelthaͤ-
tigkeit, aus den Schuppen der Reptilien wurden die Federn der Voͤ-
gel u. ſ. w. Auch dieſer Vorſtellung liegt ein richtiger Gedanke zu
Grunde. Aber wenn auch gewiß die Veraͤnderung der Atmoſphaͤre
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/115>, abgerufen am 16.02.2025.
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