Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Umbildende Wirkung des Kampfes um's Dasein. sentlich von der ursprünglichen Stammform unterscheidet. Lassen Sieuns zum Beispiel eine Anzahl von Pflanzen einer und derselben Art betrachten, die an einem sehr trockenen Standort zusammenwachsen. Da die Haare der Blätter für die Aufnahme von Feuchtigkeit aus der Luft sehr nützlich sind, und da die Behaarung der Blätter sehr verän- derlich ist, so werden an diesem ungünstigen Standorte, wo die Pflan- zen direct mit dem Mangel an Wasser kämpfen und dann noch einen Wettkampf unter einander um die Erlangung des Wassers bestehen, die Jndividuen mit den dichtest behaarten Blättern bevorzugt sein. Diese werden allein aushalten, während die andern, mit kahleren Blättern, zu Grunde gehen; die behaarteren werden sich fortpflanzen und die Abkömmlinge derselben werden sich durchschnittlich durch dichte und starke Behaarung mehr auszeichnen als es bei den Jndividuen der ersten Generation der Fall war. Geht dieser Prozeß an einem und demselben Orte mehrere Generationen fort, so entsteht schließlich eine solche Häufung des Characters, eine solche Vermehrung der Haare auf der Blattoberfläche, daß eine ganz neue Art vorzuliegen scheint. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in Folge der Wechselbezie- hungen aller Theile jedes Organismus zu einander in der Regel nicht ein einzelner Theil sich verändern kann, ohne zugleich Aenderungen in andern Theilen nach sich zu ziehen. Wenn also im letzten Beispiel die Zahl der Haare auf den Blättern bedeutend zunimmt, so wird dadurch wahrscheinlich Nahrungsmaterial andern Theilen entzogen; das Material, welches zur Blüthenbildung oder vielleicht Samenbil- dung verwendet werden könnte, wird verringert, und es wird dann al- so die geringere Größe der Blüthe oder des Samens die mittelbare oder indirecte Folge des Kampfes um's Dasein werden, welcher zunächst nur eine Veränderung der Blätter bewirkte. Es wirkt also in diesem Falle der Kampf um das Dasein züchtend und umbildend. Das Rin- gen der verschiedenen Jndividuen um die Erlangung der nothwendigen Existenzbedingungen, oder im weitesten Sinne gefaßt, die Wechselbe- ziehungen der Organismen mit ihrer gesammten Umgebung, bewirken Umbildende Wirkung des Kampfes um’s Daſein. ſentlich von der urſpruͤnglichen Stammform unterſcheidet. Laſſen Sieuns zum Beiſpiel eine Anzahl von Pflanzen einer und derſelben Art betrachten, die an einem ſehr trockenen Standort zuſammenwachſen. Da die Haare der Blaͤtter fuͤr die Aufnahme von Feuchtigkeit aus der Luft ſehr nuͤtzlich ſind, und da die Behaarung der Blaͤtter ſehr veraͤn- derlich iſt, ſo werden an dieſem unguͤnſtigen Standorte, wo die Pflan- zen direct mit dem Mangel an Waſſer kaͤmpfen und dann noch einen Wettkampf unter einander um die Erlangung des Waſſers beſtehen, die Jndividuen mit den dichteſt behaarten Blaͤttern bevorzugt ſein. Dieſe werden allein aushalten, waͤhrend die andern, mit kahleren Blaͤttern, zu Grunde gehen; die behaarteren werden ſich fortpflanzen und die Abkoͤmmlinge derſelben werden ſich durchſchnittlich durch dichte und ſtarke Behaarung mehr auszeichnen als es bei den Jndividuen der erſten Generation der Fall war. Geht dieſer Prozeß an einem und demſelben Orte mehrere Generationen fort, ſo entſteht ſchließlich eine ſolche Haͤufung des Characters, eine ſolche Vermehrung der Haare auf der Blattoberflaͤche, daß eine ganz neue Art vorzuliegen ſcheint. Dabei iſt zu beruͤckſichtigen, daß in Folge der Wechſelbezie- hungen aller Theile jedes Organismus zu einander in der Regel nicht ein einzelner Theil ſich veraͤndern kann, ohne zugleich Aenderungen in andern Theilen nach ſich zu ziehen. Wenn alſo im letzten Beiſpiel die Zahl der Haare auf den Blaͤttern bedeutend zunimmt, ſo wird dadurch wahrſcheinlich Nahrungsmaterial andern Theilen entzogen; das Material, welches zur Bluͤthenbildung oder vielleicht Samenbil- dung verwendet werden koͤnnte, wird verringert, und es wird dann al- ſo die geringere Groͤße der Bluͤthe oder des Samens die mittelbare oder indirecte Folge des Kampfes um’s Daſein werden, welcher zunaͤchſt nur eine Veraͤnderung der Blaͤtter bewirkte. Es wirkt alſo in dieſem Falle der Kampf um das Daſein zuͤchtend und umbildend. Das Rin- gen der verſchiedenen Jndividuen um die Erlangung der nothwendigen Exiſtenzbedingungen, oder im weiteſten Sinne gefaßt, die Wechſelbe- ziehungen der Organismen mit ihrer geſammten Umgebung, bewirken <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0151" n="130"/><fw place="top" type="header">Umbildende Wirkung des Kampfes um’s Daſein.</fw><lb/> ſentlich von der urſpruͤnglichen Stammform unterſcheidet. 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Umbildende Wirkung des Kampfes um’s Daſein.
ſentlich von der urſpruͤnglichen Stammform unterſcheidet. Laſſen Sie
uns zum Beiſpiel eine Anzahl von Pflanzen einer und derſelben Art
betrachten, die an einem ſehr trockenen Standort zuſammenwachſen.
Da die Haare der Blaͤtter fuͤr die Aufnahme von Feuchtigkeit aus der
Luft ſehr nuͤtzlich ſind, und da die Behaarung der Blaͤtter ſehr veraͤn-
derlich iſt, ſo werden an dieſem unguͤnſtigen Standorte, wo die Pflan-
zen direct mit dem Mangel an Waſſer kaͤmpfen und dann noch einen
Wettkampf unter einander um die Erlangung des Waſſers beſtehen,
die Jndividuen mit den dichteſt behaarten Blaͤttern bevorzugt ſein.
Dieſe werden allein aushalten, waͤhrend die andern, mit kahleren
Blaͤttern, zu Grunde gehen; die behaarteren werden ſich fortpflanzen
und die Abkoͤmmlinge derſelben werden ſich durchſchnittlich durch dichte
und ſtarke Behaarung mehr auszeichnen als es bei den Jndividuen
der erſten Generation der Fall war. Geht dieſer Prozeß an einem
und demſelben Orte mehrere Generationen fort, ſo entſteht ſchließlich
eine ſolche Haͤufung des Characters, eine ſolche Vermehrung der
Haare auf der Blattoberflaͤche, daß eine ganz neue Art vorzuliegen
ſcheint. Dabei iſt zu beruͤckſichtigen, daß in Folge der Wechſelbezie-
hungen aller Theile jedes Organismus zu einander in der Regel nicht
ein einzelner Theil ſich veraͤndern kann, ohne zugleich Aenderungen
in andern Theilen nach ſich zu ziehen. Wenn alſo im letzten Beiſpiel
die Zahl der Haare auf den Blaͤttern bedeutend zunimmt, ſo wird
dadurch wahrſcheinlich Nahrungsmaterial andern Theilen entzogen;
das Material, welches zur Bluͤthenbildung oder vielleicht Samenbil-
dung verwendet werden koͤnnte, wird verringert, und es wird dann al-
ſo die geringere Groͤße der Bluͤthe oder des Samens die mittelbare oder
indirecte Folge des Kampfes um’s Daſein werden, welcher zunaͤchſt
nur eine Veraͤnderung der Blaͤtter bewirkte. Es wirkt alſo in dieſem
Falle der Kampf um das Daſein zuͤchtend und umbildend. Das Rin-
gen der verſchiedenen Jndividuen um die Erlangung der nothwendigen
Exiſtenzbedingungen, oder im weiteſten Sinne gefaßt, die Wechſelbe-
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