seiten der menschlichen Natur besonders entwickelt, gleichsam künstlich gezüchtet, und pflanzen sich nun nach den Vererbungsgesetzen mit immer verstärkter Kraft und Einseitigkeit durch die Reihe der Gene- rationen fort.
Wie sich in der Generationsfolge mancher Dynastien, z. B. der sächsisch-thüringischen Fürsten, der Medicäer, die edle Vorliebe für die höchsten menschlichen Thätigkeiten, für Wissenschaft und Kunst, und in Folge dessen die schönste Lichtseite der menschlichen Natur, humaner Eifer für Freiheit, Wohlstand und Bildung des ganzen Volkes durch viele Generationen erblich überträgt und erhält, wie dagegen in vielen anderen Dynastien Jahrhunderte hindurch eine besondere Neigung für das Kriegshandwerk, für Unterdrückung der menschlichen Freiheit und für andere rohe Gewaltthätigkeiten vererbt wird, ist aus der Völ- kergeschichte Jhnen hinreichend bekannt. Ebenso vererben sich in manchen Familien viele Generationen hindurch ganz bestimmte Fähig- keiten für einzelne Geistesthätigkeiten, z. B. Mathematik, Dichtkunst, Tonkunst, bildende Kunst, Medicin, Naturforschung, Philosophie u. s. w. Jn der Familie Bach hat es nicht weniger als 22 hervor- ragende musikalische Talente gegeben. Natürlich beruht die Verer- bung solcher Geisteseigenthümlichkeiten, wie die Vererbung der Geistes- eigenschaften überhaupt, auf dem materiellen Vorgang der Zeugung. Es ist hier die Lebenserscheinung, die Kraftäußerung unmittelbar (wie überall in der Natur) verbunden mit bestimmten Mischungsverhält- nissen des Stoffes, und die Mischung des Stoffes ist es, welche bei der Zeugung übertragen wird.
Bevor wir nun die verschiedenen und zum Theil sehr interessanten und bedeutenden Gesetze der Vererbung näher untersuchen, wollen wir über die eigentliche Natur dieses Vorganges uns verständigen. Man pflegt vielfach die Erblichkeitserscheinungen als etwas ganz Räthselhaf- tes anzusehen, als eigenthümliche Vorgänge, welche durch die Natur- wissenschaft nicht ergründet, in ihren Ursachen und eigentlichem Wesen nicht erfaßt werden könnten. Man pflegt gerade hier sehr allgemein übernatürliche Einwirkungen anzunehmen. Es läßt sich aber schon
Materielle Vererbung geiſtiger Eigenſchaften.
ſeiten der menſchlichen Natur beſonders entwickelt, gleichſam kuͤnſtlich gezuͤchtet, und pflanzen ſich nun nach den Vererbungsgeſetzen mit immer verſtaͤrkter Kraft und Einſeitigkeit durch die Reihe der Gene- rationen fort.
Wie ſich in der Generationsfolge mancher Dynaſtien, z. B. der ſaͤchſiſch-thuͤringiſchen Fuͤrſten, der Medicaͤer, die edle Vorliebe fuͤr die hoͤchſten menſchlichen Thaͤtigkeiten, fuͤr Wiſſenſchaft und Kunſt, und in Folge deſſen die ſchoͤnſte Lichtſeite der menſchlichen Natur, humaner Eifer fuͤr Freiheit, Wohlſtand und Bildung des ganzen Volkes durch viele Generationen erblich uͤbertraͤgt und erhaͤlt, wie dagegen in vielen anderen Dynaſtien Jahrhunderte hindurch eine beſondere Neigung fuͤr das Kriegshandwerk, fuͤr Unterdruͤckung der menſchlichen Freiheit und fuͤr andere rohe Gewaltthaͤtigkeiten vererbt wird, iſt aus der Voͤl- kergeſchichte Jhnen hinreichend bekannt. Ebenſo vererben ſich in manchen Familien viele Generationen hindurch ganz beſtimmte Faͤhig- keiten fuͤr einzelne Geiſtesthaͤtigkeiten, z. B. Mathematik, Dichtkunſt, Tonkunſt, bildende Kunſt, Medicin, Naturforſchung, Philoſophie u. ſ. w. Jn der Familie Bach hat es nicht weniger als 22 hervor- ragende muſikaliſche Talente gegeben. Natuͤrlich beruht die Verer- bung ſolcher Geiſteseigenthuͤmlichkeiten, wie die Vererbung der Geiſtes- eigenſchaften uͤberhaupt, auf dem materiellen Vorgang der Zeugung. Es iſt hier die Lebenserſcheinung, die Kraftaͤußerung unmittelbar (wie uͤberall in der Natur) verbunden mit beſtimmten Miſchungsverhaͤlt- niſſen des Stoffes, und die Miſchung des Stoffes iſt es, welche bei der Zeugung uͤbertragen wird.
Bevor wir nun die verſchiedenen und zum Theil ſehr intereſſanten und bedeutenden Geſetze der Vererbung naͤher unterſuchen, wollen wir uͤber die eigentliche Natur dieſes Vorganges uns verſtaͤndigen. Man pflegt vielfach die Erblichkeitserſcheinungen als etwas ganz Raͤthſelhaf- tes anzuſehen, als eigenthuͤmliche Vorgaͤnge, welche durch die Natur- wiſſenſchaft nicht ergruͤndet, in ihren Urſachen und eigentlichem Weſen nicht erfaßt werden koͤnnten. Man pflegt gerade hier ſehr allgemein uͤbernatuͤrliche Einwirkungen anzunehmen. Es laͤßt ſich aber ſchon
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Materielle Vererbung geiſtiger Eigenſchaften.
ſeiten der menſchlichen Natur beſonders entwickelt, gleichſam kuͤnſtlich
gezuͤchtet, und pflanzen ſich nun nach den Vererbungsgeſetzen mit
immer verſtaͤrkter Kraft und Einſeitigkeit durch die Reihe der Gene-
rationen fort.
Wie ſich in der Generationsfolge mancher Dynaſtien, z. B. der
ſaͤchſiſch-thuͤringiſchen Fuͤrſten, der Medicaͤer, die edle Vorliebe fuͤr
die hoͤchſten menſchlichen Thaͤtigkeiten, fuͤr Wiſſenſchaft und Kunſt, und
in Folge deſſen die ſchoͤnſte Lichtſeite der menſchlichen Natur, humaner
Eifer fuͤr Freiheit, Wohlſtand und Bildung des ganzen Volkes durch
viele Generationen erblich uͤbertraͤgt und erhaͤlt, wie dagegen in vielen
anderen Dynaſtien Jahrhunderte hindurch eine beſondere Neigung
fuͤr das Kriegshandwerk, fuͤr Unterdruͤckung der menſchlichen Freiheit
und fuͤr andere rohe Gewaltthaͤtigkeiten vererbt wird, iſt aus der Voͤl-
kergeſchichte Jhnen hinreichend bekannt. Ebenſo vererben ſich in
manchen Familien viele Generationen hindurch ganz beſtimmte Faͤhig-
keiten fuͤr einzelne Geiſtesthaͤtigkeiten, z. B. Mathematik, Dichtkunſt,
Tonkunſt, bildende Kunſt, Medicin, Naturforſchung, Philoſophie
u. ſ. w. Jn der Familie Bach hat es nicht weniger als 22 hervor-
ragende muſikaliſche Talente gegeben. Natuͤrlich beruht die Verer-
bung ſolcher Geiſteseigenthuͤmlichkeiten, wie die Vererbung der Geiſtes-
eigenſchaften uͤberhaupt, auf dem materiellen Vorgang der Zeugung.
Es iſt hier die Lebenserſcheinung, die Kraftaͤußerung unmittelbar (wie
uͤberall in der Natur) verbunden mit beſtimmten Miſchungsverhaͤlt-
niſſen des Stoffes, und die Miſchung des Stoffes iſt es, welche bei der
Zeugung uͤbertragen wird.
Bevor wir nun die verſchiedenen und zum Theil ſehr intereſſanten
und bedeutenden Geſetze der Vererbung naͤher unterſuchen, wollen wir
uͤber die eigentliche Natur dieſes Vorganges uns verſtaͤndigen. Man
pflegt vielfach die Erblichkeitserſcheinungen als etwas ganz Raͤthſelhaf-
tes anzuſehen, als eigenthuͤmliche Vorgaͤnge, welche durch die Natur-
wiſſenſchaft nicht ergruͤndet, in ihren Urſachen und eigentlichem Weſen
nicht erfaßt werden koͤnnten. Man pflegt gerade hier ſehr allgemein
uͤbernatuͤrliche Einwirkungen anzunehmen. Es laͤßt ſich aber ſchon
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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