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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Labyrinthläufer oder Labyrinthuleen. Kieselzellen oder Diatomeen.
nen Plasmodien, dasjenige von Aethalium septicum, welches im
Sommer als sogenannte "Lohblüthe" in Form einer schöngelben, oft
mehrere Fuß breiten, salbenartigen Schleimmasse netzförmig die Lohhau-
fen und Lohbeete der Gerber durchzieht. Die schleimigen frei kriechen-
den Jugendzustände dieser Myxomyceten, welche meistens auf faulenden
Pflanzenstoffen, Baumrinden u. s. w. in feuchten Wäldern leben,
werden mit gleichem Recht oder Unrecht von den Zoologen für Thiere,
wie die reifen und ruhenden blasenförmigen Fruchtzustände von den
Botanikern für Pflanzen erklärt.

Nicht weniger räthselhafter Natur sind ebenfalls die Protisten der
fünften Klasse, die Labyrinthläufer (Labyrithuleae), welche erst
kürzlich von Cienkowsky an Pfählen im Seewasser entdeckt wurden.
Es sind spindelförmige, meistens dottergelb gefärbte Zellen, welche bald
in dichten Haufen zu Klumpen vereinigt sitzen, bald in höchst eigen-
thümlicher Weise sich umherbewegen. Sie bilden dann in noch uner-
klärter Weise ein netzförmiges Gerüst von labyrinthisch verschlungenen
Strängen, und in der starren "Fadenbahn" dieses Gerüstes rutschen
sie umher. Der Gestalt nach würde man die Zellen der Labyrinthu-
leen für einfachste Pflanzen, der Bewegung nach für einfachste Thiere
halten. Jn der That sind sie weder Thiere noch Pflanzen.

Den Labyrinthuleen vielleicht nächstverwandt sind die Kiesel-
zellen
(Diatomeae), eine sechste Protistenklasse. Diese Urwesen,
welche jetzt meistens für Pflanzen, aber von einigen berühmten Natur-
forschern noch heute für Thiere gehalten werden, bevölkern in unge-
heuren Massen und in einer unendlichen Mannichfaltigkeit der zierlichsten
Formen das Meer und die süßen Gewässer. Meist sind es mikrosko-
pisch kleine Zellen, welche entweder einzeln oder in großer Menge ver-
einigt leben, und entweder festgewachsen sind oder sich in eigenthüm-
licher Weise rutschend, schwimmend oder kriechend, umherbewegen.
Jhr weicher Zellenleib, der durch einen charakteristischen Farbstoff
bräunlich gelb gefärbt ist, wird stets von einer festen und starren Kie-
selschale umschlossen, welche die zierlichsten und mannichfaltigsten For-
men besitzt. Diese Kieselhülle ist nur durch eine oder ein paar Spalten

Labyrinthlaͤufer oder Labyrinthuleen. Kieſelzellen oder Diatomeen.
nen Plasmodien, dasjenige von Aethalium septicum, welches im
Sommer als ſogenannte „Lohbluͤthe“ in Form einer ſchoͤngelben, oft
mehrere Fuß breiten, ſalbenartigen Schleimmaſſe netzfoͤrmig die Lohhau-
fen und Lohbeete der Gerber durchzieht. Die ſchleimigen frei kriechen-
den Jugendzuſtaͤnde dieſer Myxomyceten, welche meiſtens auf faulenden
Pflanzenſtoffen, Baumrinden u. ſ. w. in feuchten Waͤldern leben,
werden mit gleichem Recht oder Unrecht von den Zoologen fuͤr Thiere,
wie die reifen und ruhenden blaſenfoͤrmigen Fruchtzuſtaͤnde von den
Botanikern fuͤr Pflanzen erklaͤrt.

Nicht weniger raͤthſelhafter Natur ſind ebenfalls die Protiſten der
fuͤnften Klaſſe, die Labyrinthlaͤufer (Labyrithuleae), welche erſt
kuͤrzlich von Cienkowsky an Pfaͤhlen im Seewaſſer entdeckt wurden.
Es ſind ſpindelfoͤrmige, meiſtens dottergelb gefaͤrbte Zellen, welche bald
in dichten Haufen zu Klumpen vereinigt ſitzen, bald in hoͤchſt eigen-
thuͤmlicher Weiſe ſich umherbewegen. Sie bilden dann in noch uner-
klaͤrter Weiſe ein netzfoͤrmiges Geruͤſt von labyrinthiſch verſchlungenen
Straͤngen, und in der ſtarren „Fadenbahn“ dieſes Geruͤſtes rutſchen
ſie umher. Der Geſtalt nach wuͤrde man die Zellen der Labyrinthu-
leen fuͤr einfachſte Pflanzen, der Bewegung nach fuͤr einfachſte Thiere
halten. Jn der That ſind ſie weder Thiere noch Pflanzen.

Den Labyrinthuleen vielleicht naͤchſtverwandt ſind die Kieſel-
zellen
(Diatomeae), eine ſechſte Protiſtenklaſſe. Dieſe Urweſen,
welche jetzt meiſtens fuͤr Pflanzen, aber von einigen beruͤhmten Natur-
forſchern noch heute fuͤr Thiere gehalten werden, bevoͤlkern in unge-
heuren Maſſen und in einer unendlichen Mannichfaltigkeit der zierlichſten
Formen das Meer und die ſuͤßen Gewaͤſſer. Meiſt ſind es mikroſko-
piſch kleine Zellen, welche entweder einzeln oder in großer Menge ver-
einigt leben, und entweder feſtgewachſen ſind oder ſich in eigenthuͤm-
licher Weiſe rutſchend, ſchwimmend oder kriechend, umherbewegen.
Jhr weicher Zellenleib, der durch einen charakteriſtiſchen Farbſtoff
braͤunlich gelb gefaͤrbt iſt, wird ſtets von einer feſten und ſtarren Kie-
ſelſchale umſchloſſen, welche die zierlichſten und mannichfaltigſten For-
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[334/0359] Labyrinthlaͤufer oder Labyrinthuleen. Kieſelzellen oder Diatomeen. nen Plasmodien, dasjenige von Aethalium septicum, welches im Sommer als ſogenannte „Lohbluͤthe“ in Form einer ſchoͤngelben, oft mehrere Fuß breiten, ſalbenartigen Schleimmaſſe netzfoͤrmig die Lohhau- fen und Lohbeete der Gerber durchzieht. Die ſchleimigen frei kriechen- den Jugendzuſtaͤnde dieſer Myxomyceten, welche meiſtens auf faulenden Pflanzenſtoffen, Baumrinden u. ſ. w. in feuchten Waͤldern leben, werden mit gleichem Recht oder Unrecht von den Zoologen fuͤr Thiere, wie die reifen und ruhenden blaſenfoͤrmigen Fruchtzuſtaͤnde von den Botanikern fuͤr Pflanzen erklaͤrt. Nicht weniger raͤthſelhafter Natur ſind ebenfalls die Protiſten der fuͤnften Klaſſe, die Labyrinthlaͤufer (Labyrithuleae), welche erſt kuͤrzlich von Cienkowsky an Pfaͤhlen im Seewaſſer entdeckt wurden. Es ſind ſpindelfoͤrmige, meiſtens dottergelb gefaͤrbte Zellen, welche bald in dichten Haufen zu Klumpen vereinigt ſitzen, bald in hoͤchſt eigen- thuͤmlicher Weiſe ſich umherbewegen. Sie bilden dann in noch uner- klaͤrter Weiſe ein netzfoͤrmiges Geruͤſt von labyrinthiſch verſchlungenen Straͤngen, und in der ſtarren „Fadenbahn“ dieſes Geruͤſtes rutſchen ſie umher. Der Geſtalt nach wuͤrde man die Zellen der Labyrinthu- leen fuͤr einfachſte Pflanzen, der Bewegung nach fuͤr einfachſte Thiere halten. Jn der That ſind ſie weder Thiere noch Pflanzen. Den Labyrinthuleen vielleicht naͤchſtverwandt ſind die Kieſel- zellen (Diatomeae), eine ſechſte Protiſtenklaſſe. Dieſe Urweſen, welche jetzt meiſtens fuͤr Pflanzen, aber von einigen beruͤhmten Natur- forſchern noch heute fuͤr Thiere gehalten werden, bevoͤlkern in unge- heuren Maſſen und in einer unendlichen Mannichfaltigkeit der zierlichſten Formen das Meer und die ſuͤßen Gewaͤſſer. Meiſt ſind es mikroſko- piſch kleine Zellen, welche entweder einzeln oder in großer Menge ver- einigt leben, und entweder feſtgewachſen ſind oder ſich in eigenthuͤm- licher Weiſe rutſchend, ſchwimmend oder kriechend, umherbewegen. Jhr weicher Zellenleib, der durch einen charakteriſtiſchen Farbſtoff braͤunlich gelb gefaͤrbt iſt, wird ſtets von einer feſten und ſtarren Kie- ſelſchale umſchloſſen, welche die zierlichſten und mannichfaltigſten For- men beſitzt. Dieſe Kieſelhuͤlle iſt nur durch eine oder ein paar Spalten

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/359>, abgerufen am 27.11.2024.