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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Monophyletische Descendenzhypothese des Protistenreichs.
in dieser Hinsicht schließen sich oft von nächstverwandten Protisten die
einen (z. B. die Acyttarien) mehr den Thieren, die anderen (z. B. die
Radiolarien) mehr den Pflanzen an.

Was nun die paläontologische Entwickelung des
Protistenreichs
betrifft, so kann man sich darüber sehr verschiedene,
aber immer nur sehr unsichere genealogische Hypothesen machen. Viel-
leicht sind die einzelnen Klassen desselben selbstständige Stämme oder
Phylen, die sich sowohl unabhängig von einander als von dem Thier-
reich und von dem Pflanzenreiche entwickelt haben. Dies gilt sowohl wenn
wir der vielheitlichen (polyphyletischen) als wenn wir der einheitlichen
(monophyletischen) Descendenzhypothese folgen. Selbst wenn wir die
letztere vollständig annehmen und für alle Organismen ohne Ausnahme,
die jemals auf der Erde gelebt haben und noch jetzt leben, die gemeinsame
Abstammung von einer einzigen Monerenform behaupten, selbst in die-
sem Falle ist der Zusammenhang der Protisten einerseits mit dem
Pflanzenstamm, andrerseits mit dem Thierstamm nur ein sehr lockerer.
Wir hätten sie dann, wie es auf Taf. I dargestellt ist, als niedere Wur-
zelschößlinge anzusehen, welche sich unmittelbar aus der Wurzel jenes
zweistämmigen organischen Stammbaums entwickelt haben, oder viel-
leicht als tief unten abgehende Zweige eines gemeinsamen niederen
Protistenstammes, welcher in der Mitte zwischen den beiden divergi-
renden hohen und mächtigen Stämmen des Thier- und Pflanzenreichs
aufgeschossen ist. Die einzelnen Protistenklassen, mögen sie nun an
ihrer Wurzel gruppenweise enger zusammenhängen oder nur ein locke-
res Büschel von Wurzelschößlingen bilden, würden in diesem Falle,
ohne weiter mit den rechts nach dem Thierreiche, links nach dem
Pflanzenreiche einseitig abgehenden Organismengruppen Etwas zu
thun zu haben, den ursprünglich einfachen Charakter der gemeinsamen
Stammform mehr beibehalten haben, als es bei den echten Thieren
und bei den echten Pflanzen der Fall ist.

Nehmen wir dagegen die vielheitliche oder polyphyletische Descen-
denzhypothese an, so würden wir uns eine mehr oder minder große
Anzahl von organischen Stämmen oder Phylen vorzustellen haben,

Monophyletiſche Deſcendenzhypotheſe des Protiſtenreichs.
in dieſer Hinſicht ſchließen ſich oft von naͤchſtverwandten Protiſten die
einen (z. B. die Acyttarien) mehr den Thieren, die anderen (z. B. die
Radiolarien) mehr den Pflanzen an.

Was nun die palaͤontologiſche Entwickelung des
Protiſtenreichs
betrifft, ſo kann man ſich daruͤber ſehr verſchiedene,
aber immer nur ſehr unſichere genealogiſche Hypotheſen machen. Viel-
leicht ſind die einzelnen Klaſſen deſſelben ſelbſtſtaͤndige Staͤmme oder
Phylen, die ſich ſowohl unabhaͤngig von einander als von dem Thier-
reich und von dem Pflanzenreiche entwickelt haben. Dies gilt ſowohl wenn
wir der vielheitlichen (polyphyletiſchen) als wenn wir der einheitlichen
(monophyletiſchen) Deſcendenzhypotheſe folgen. Selbſt wenn wir die
letztere vollſtaͤndig annehmen und fuͤr alle Organismen ohne Ausnahme,
die jemals auf der Erde gelebt haben und noch jetzt leben, die gemeinſame
Abſtammung von einer einzigen Monerenform behaupten, ſelbſt in die-
ſem Falle iſt der Zuſammenhang der Protiſten einerſeits mit dem
Pflanzenſtamm, andrerſeits mit dem Thierſtamm nur ein ſehr lockerer.
Wir haͤtten ſie dann, wie es auf Taf. I dargeſtellt iſt, als niedere Wur-
zelſchoͤßlinge anzuſehen, welche ſich unmittelbar aus der Wurzel jenes
zweiſtaͤmmigen organiſchen Stammbaums entwickelt haben, oder viel-
leicht als tief unten abgehende Zweige eines gemeinſamen niederen
Protiſtenſtammes, welcher in der Mitte zwiſchen den beiden divergi-
renden hohen und maͤchtigen Staͤmmen des Thier- und Pflanzenreichs
aufgeſchoſſen iſt. Die einzelnen Protiſtenklaſſen, moͤgen ſie nun an
ihrer Wurzel gruppenweiſe enger zuſammenhaͤngen oder nur ein locke-
res Buͤſchel von Wurzelſchoͤßlingen bilden, wuͤrden in dieſem Falle,
ohne weiter mit den rechts nach dem Thierreiche, links nach dem
Pflanzenreiche einſeitig abgehenden Organismengruppen Etwas zu
thun zu haben, den urſpruͤnglich einfachen Charakter der gemeinſamen
Stammform mehr beibehalten haben, als es bei den echten Thieren
und bei den echten Pflanzen der Fall iſt.

Nehmen wir dagegen die vielheitliche oder polyphyletiſche Deſcen-
denzhypotheſe an, ſo wuͤrden wir uns eine mehr oder minder große
Anzahl von organiſchen Staͤmmen oder Phylen vorzuſtellen haben,

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[344/0369] Monophyletiſche Deſcendenzhypotheſe des Protiſtenreichs. in dieſer Hinſicht ſchließen ſich oft von naͤchſtverwandten Protiſten die einen (z. B. die Acyttarien) mehr den Thieren, die anderen (z. B. die Radiolarien) mehr den Pflanzen an. Was nun die palaͤontologiſche Entwickelung des Protiſtenreichs betrifft, ſo kann man ſich daruͤber ſehr verſchiedene, aber immer nur ſehr unſichere genealogiſche Hypotheſen machen. Viel- leicht ſind die einzelnen Klaſſen deſſelben ſelbſtſtaͤndige Staͤmme oder Phylen, die ſich ſowohl unabhaͤngig von einander als von dem Thier- reich und von dem Pflanzenreiche entwickelt haben. Dies gilt ſowohl wenn wir der vielheitlichen (polyphyletiſchen) als wenn wir der einheitlichen (monophyletiſchen) Deſcendenzhypotheſe folgen. Selbſt wenn wir die letztere vollſtaͤndig annehmen und fuͤr alle Organismen ohne Ausnahme, die jemals auf der Erde gelebt haben und noch jetzt leben, die gemeinſame Abſtammung von einer einzigen Monerenform behaupten, ſelbſt in die- ſem Falle iſt der Zuſammenhang der Protiſten einerſeits mit dem Pflanzenſtamm, andrerſeits mit dem Thierſtamm nur ein ſehr lockerer. Wir haͤtten ſie dann, wie es auf Taf. I dargeſtellt iſt, als niedere Wur- zelſchoͤßlinge anzuſehen, welche ſich unmittelbar aus der Wurzel jenes zweiſtaͤmmigen organiſchen Stammbaums entwickelt haben, oder viel- leicht als tief unten abgehende Zweige eines gemeinſamen niederen Protiſtenſtammes, welcher in der Mitte zwiſchen den beiden divergi- renden hohen und maͤchtigen Staͤmmen des Thier- und Pflanzenreichs aufgeſchoſſen iſt. Die einzelnen Protiſtenklaſſen, moͤgen ſie nun an ihrer Wurzel gruppenweiſe enger zuſammenhaͤngen oder nur ein locke- res Buͤſchel von Wurzelſchoͤßlingen bilden, wuͤrden in dieſem Falle, ohne weiter mit den rechts nach dem Thierreiche, links nach dem Pflanzenreiche einſeitig abgehenden Organismengruppen Etwas zu thun zu haben, den urſpruͤnglich einfachen Charakter der gemeinſamen Stammform mehr beibehalten haben, als es bei den echten Thieren und bei den echten Pflanzen der Fall iſt. Nehmen wir dagegen die vielheitliche oder polyphyletiſche Deſcen- denzhypotheſe an, ſo wuͤrden wir uns eine mehr oder minder große Anzahl von organiſchen Staͤmmen oder Phylen vorzuſtellen haben,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/369>, abgerufen am 26.11.2024.