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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Hauptklasse der Tange oder Algen.

Zeitraums nur wasserbewohnenden Thieren angehören, so schließen
wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht
existirten.

Schon aus diesen Gründen muß die erste und unvollkommenste
Hauptklasse des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder
Algen
für uns von ganz besonderer Bedeutung sein. Dazu kommt
noch das hohe Jnteresse, welches uns diese Hauptklasse, auch an sich
betrachtet, gewährt. Trotz ihrer höchst einfachen Zusammensetzung
aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange
dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verschiedener Formen.
Einerseits gehören dazu die einfachsten und unvollkommensten aller
Gewächse, andrerseits sehr entwickelte und eigenthümliche Gestalten.
Ebenso wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer äuße-
ren Formbildung unterscheiden sich die verschiedenen Algengruppen
auch in der Körpergröße. Auf der tiefsten Stufe finden wir die win-
zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttausend auf
den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der höchsten Stufe
bewundern wir in den riesenmäßigen Makrocysten, welche eine Länge
von 300--400 Fuß erreichen, die längsten von allen Gestalten des
Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus diesen Gründen, so müßten die
Algen schon deßhalb unsere besondere Aufmerksamkeit erregen, weil
sie die Anfänge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller
übrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgesetzt daß unsere Hypo-
these von einem gemeinsamen Ursprung aller Pflanzengruppen richtig
ist (Taf. II).

Leider werden die Meisten von Jhnen sich nur eine sehr unvoll-
kommene Vorstellung von dieser höchst interessanten Hauptklasse des
Pflanzenreichs machen können, weil Sie davon nur die verhältniß-
mäßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das süße
Wasser bewohnen. Die schleimigen grünen Wasserfäden und Wasser-
flocken in unseren Teichen und Brunnentrogen, die hellgrünen Schleim-
überzüge auf allerlei Holzwerk, welches längere Zeit mit Wasser in
Berührung war, die gelbgrünen schaumigen Schleimdecken auf den

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 23
Hauptklaſſe der Tange oder Algen.

Zeitraums nur waſſerbewohnenden Thieren angehoͤren, ſo ſchließen
wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht
exiſtirten.

Schon aus dieſen Gruͤnden muß die erſte und unvollkommenſte
Hauptklaſſe des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder
Algen
fuͤr uns von ganz beſonderer Bedeutung ſein. Dazu kommt
noch das hohe Jntereſſe, welches uns dieſe Hauptklaſſe, auch an ſich
betrachtet, gewaͤhrt. Trotz ihrer hoͤchſt einfachen Zuſammenſetzung
aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange
dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verſchiedener Formen.
Einerſeits gehoͤren dazu die einfachſten und unvollkommenſten aller
Gewaͤchſe, andrerſeits ſehr entwickelte und eigenthuͤmliche Geſtalten.
Ebenſo wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer aͤuße-
ren Formbildung unterſcheiden ſich die verſchiedenen Algengruppen
auch in der Koͤrpergroͤße. Auf der tiefſten Stufe finden wir die win-
zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttauſend auf
den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der hoͤchſten Stufe
bewundern wir in den rieſenmaͤßigen Makrocyſten, welche eine Laͤnge
von 300—400 Fuß erreichen, die laͤngſten von allen Geſtalten des
Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus dieſen Gruͤnden, ſo muͤßten die
Algen ſchon deßhalb unſere beſondere Aufmerkſamkeit erregen, weil
ſie die Anfaͤnge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller
uͤbrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgeſetzt daß unſere Hypo-
theſe von einem gemeinſamen Urſprung aller Pflanzengruppen richtig
iſt (Taf. II).

Leider werden die Meiſten von Jhnen ſich nur eine ſehr unvoll-
kommene Vorſtellung von dieſer hoͤchſt intereſſanten Hauptklaſſe des
Pflanzenreichs machen koͤnnen, weil Sie davon nur die verhaͤltniß-
maͤßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das ſuͤße
Waſſer bewohnen. Die ſchleimigen gruͤnen Waſſerfaͤden und Waſſer-
flocken in unſeren Teichen und Brunnentrogen, die hellgruͤnen Schleim-
uͤberzuͤge auf allerlei Holzwerk, welches laͤngere Zeit mit Waſſer in
Beruͤhrung war, die gelbgruͤnen ſchaumigen Schleimdecken auf den

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 23
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[353/0378] Hauptklaſſe der Tange oder Algen. Zeitraums nur waſſerbewohnenden Thieren angehoͤren, ſo ſchließen wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht exiſtirten. Schon aus dieſen Gruͤnden muß die erſte und unvollkommenſte Hauptklaſſe des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder Algen fuͤr uns von ganz beſonderer Bedeutung ſein. Dazu kommt noch das hohe Jntereſſe, welches uns dieſe Hauptklaſſe, auch an ſich betrachtet, gewaͤhrt. Trotz ihrer hoͤchſt einfachen Zuſammenſetzung aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verſchiedener Formen. Einerſeits gehoͤren dazu die einfachſten und unvollkommenſten aller Gewaͤchſe, andrerſeits ſehr entwickelte und eigenthuͤmliche Geſtalten. Ebenſo wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer aͤuße- ren Formbildung unterſcheiden ſich die verſchiedenen Algengruppen auch in der Koͤrpergroͤße. Auf der tiefſten Stufe finden wir die win- zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttauſend auf den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der hoͤchſten Stufe bewundern wir in den rieſenmaͤßigen Makrocyſten, welche eine Laͤnge von 300—400 Fuß erreichen, die laͤngſten von allen Geſtalten des Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus dieſen Gruͤnden, ſo muͤßten die Algen ſchon deßhalb unſere beſondere Aufmerkſamkeit erregen, weil ſie die Anfaͤnge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller uͤbrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgeſetzt daß unſere Hypo- theſe von einem gemeinſamen Urſprung aller Pflanzengruppen richtig iſt (Taf. II). Leider werden die Meiſten von Jhnen ſich nur eine ſehr unvoll- kommene Vorſtellung von dieſer hoͤchſt intereſſanten Hauptklaſſe des Pflanzenreichs machen koͤnnen, weil Sie davon nur die verhaͤltniß- maͤßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das ſuͤße Waſſer bewohnen. Die ſchleimigen gruͤnen Waſſerfaͤden und Waſſer- flocken in unſeren Teichen und Brunnentrogen, die hellgruͤnen Schleim- uͤberzuͤge auf allerlei Holzwerk, welches laͤngere Zeit mit Waſſer in Beruͤhrung war, die gelbgruͤnen ſchaumigen Schleimdecken auf den Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 23

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/378>, abgerufen am 25.11.2024.