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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Ausdehnung der untermeerischen Tangwälder.
Tümpeln unserer Dörfer, die grünen Haarbüscheln gleichenden Fa-
denmassen, welche überall im stehenden und fließenden Süßwasser vor-
kommen, sind größtentheils aus verschiedenen Tangarten zusammen-
gesetzt. Aber nur diejenigen von Jhnen, welche die Meeresküste be-
sucht haben, welche an den Küsten von Helgoland und von Schleswig-
Holstein die ungeheuren Massen ausgeworfenen Seetangs bewundert,
oder an den Felsenufern des Mittelmeeres die zierlich gestaltete und
lebhaft gefärbte Tangvegetation auf dem Meeresboden selbst durch die
klare blaue Fluth hindurch erblickt haben, wissen die Bedeutung der
Tangklasse annähernd zu würdigen. Und dennoch geben selbst diese
formenreichen untermeerischen Algenwälder der europäischen Küsten
nur eine schwache Vorstellung von den colossalen Sargassowäldern des
atlantischen Oceans, jenen ungeheuren Tangbänken, welche einen
Flächenraum von ungefähr 4000 Quadratmeilen bedecken, und welche
dem Columbus auf seiner Entdeckungsreise die Nähe des Festlandes
vorspiegelten. Aehnliche, aber weit ausgedehntere Tangwälder wuchsen
in dem primordialen Urmeere wahrscheinlich in dichten Massen, und
wie zahllose Generationen dieser archolithischen Tange über einander
hinstarben, bezeugen unter Anderen die mächtigen silurischen Alaun-
schiefer Schwedens, deren eigenthümliche Zusammensetzung wesentlich
von jenen untermeerischen Algenmassen herrührt.

Wir unterscheiden in der Hauptklasse der Tange oder Algen vier
verschiedene Klassen, deren jede wiederum in mehrere Ordnungen
und Familien zerfällt. Diese ihrerseits enthalten wieder eine große
Menge verschiedener Gattungen und Arten. Wir bezeichnen diese vier
Klassen als Urtange oder Archephyceen, Grüntange oder Chlorophyceen,
Brauntange oder Phaeophyceen, und Rothtange oder Rhodophyceen.

Die erste Klasse der Tange, die Urtange (Archephyceae)
könnten auch Urpflanzen (Archephyta) genannt werden, weil
dieselben die einfachsten und unvollkommensten von allen Pflanzen
enthalten, und insbesondere jene ältesten aller pflanzlichen Organismen,
welche allen übrigen Pflanzen den Ursprung gegeben haben. Es ge-
hören hierher also zunächst jene allerältesten vegetabilischen Moneren,

Ausdehnung der untermeeriſchen Tangwaͤlder.
Tuͤmpeln unſerer Doͤrfer, die gruͤnen Haarbuͤſcheln gleichenden Fa-
denmaſſen, welche uͤberall im ſtehenden und fließenden Suͤßwaſſer vor-
kommen, ſind groͤßtentheils aus verſchiedenen Tangarten zuſammen-
geſetzt. Aber nur diejenigen von Jhnen, welche die Meereskuͤſte be-
ſucht haben, welche an den Kuͤſten von Helgoland und von Schleswig-
Holſtein die ungeheuren Maſſen ausgeworfenen Seetangs bewundert,
oder an den Felſenufern des Mittelmeeres die zierlich geſtaltete und
lebhaft gefaͤrbte Tangvegetation auf dem Meeresboden ſelbſt durch die
klare blaue Fluth hindurch erblickt haben, wiſſen die Bedeutung der
Tangklaſſe annaͤhernd zu wuͤrdigen. Und dennoch geben ſelbſt dieſe
formenreichen untermeeriſchen Algenwaͤlder der europaͤiſchen Kuͤſten
nur eine ſchwache Vorſtellung von den coloſſalen Sargaſſowaͤldern des
atlantiſchen Oceans, jenen ungeheuren Tangbaͤnken, welche einen
Flaͤchenraum von ungefaͤhr 4000 Quadratmeilen bedecken, und welche
dem Columbus auf ſeiner Entdeckungsreiſe die Naͤhe des Feſtlandes
vorſpiegelten. Aehnliche, aber weit ausgedehntere Tangwaͤlder wuchſen
in dem primordialen Urmeere wahrſcheinlich in dichten Maſſen, und
wie zahlloſe Generationen dieſer archolithiſchen Tange uͤber einander
hinſtarben, bezeugen unter Anderen die maͤchtigen ſiluriſchen Alaun-
ſchiefer Schwedens, deren eigenthuͤmliche Zuſammenſetzung weſentlich
von jenen untermeeriſchen Algenmaſſen herruͤhrt.

Wir unterſcheiden in der Hauptklaſſe der Tange oder Algen vier
verſchiedene Klaſſen, deren jede wiederum in mehrere Ordnungen
und Familien zerfaͤllt. Dieſe ihrerſeits enthalten wieder eine große
Menge verſchiedener Gattungen und Arten. Wir bezeichnen dieſe vier
Klaſſen als Urtange oder Archephyceen, Gruͤntange oder Chlorophyceen,
Brauntange oder Phaeophyceen, und Rothtange oder Rhodophyceen.

Die erſte Klaſſe der Tange, die Urtange (Archephyceae)
koͤnnten auch Urpflanzen (Archephyta) genannt werden, weil
dieſelben die einfachſten und unvollkommenſten von allen Pflanzen
enthalten, und insbeſondere jene aͤlteſten aller pflanzlichen Organismen,
welche allen uͤbrigen Pflanzen den Urſprung gegeben haben. Es ge-
hoͤren hierher alſo zunaͤchſt jene alleraͤlteſten vegetabiliſchen Moneren,

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[354/0379] Ausdehnung der untermeeriſchen Tangwaͤlder. Tuͤmpeln unſerer Doͤrfer, die gruͤnen Haarbuͤſcheln gleichenden Fa- denmaſſen, welche uͤberall im ſtehenden und fließenden Suͤßwaſſer vor- kommen, ſind groͤßtentheils aus verſchiedenen Tangarten zuſammen- geſetzt. Aber nur diejenigen von Jhnen, welche die Meereskuͤſte be- ſucht haben, welche an den Kuͤſten von Helgoland und von Schleswig- Holſtein die ungeheuren Maſſen ausgeworfenen Seetangs bewundert, oder an den Felſenufern des Mittelmeeres die zierlich geſtaltete und lebhaft gefaͤrbte Tangvegetation auf dem Meeresboden ſelbſt durch die klare blaue Fluth hindurch erblickt haben, wiſſen die Bedeutung der Tangklaſſe annaͤhernd zu wuͤrdigen. Und dennoch geben ſelbſt dieſe formenreichen untermeeriſchen Algenwaͤlder der europaͤiſchen Kuͤſten nur eine ſchwache Vorſtellung von den coloſſalen Sargaſſowaͤldern des atlantiſchen Oceans, jenen ungeheuren Tangbaͤnken, welche einen Flaͤchenraum von ungefaͤhr 4000 Quadratmeilen bedecken, und welche dem Columbus auf ſeiner Entdeckungsreiſe die Naͤhe des Feſtlandes vorſpiegelten. Aehnliche, aber weit ausgedehntere Tangwaͤlder wuchſen in dem primordialen Urmeere wahrſcheinlich in dichten Maſſen, und wie zahlloſe Generationen dieſer archolithiſchen Tange uͤber einander hinſtarben, bezeugen unter Anderen die maͤchtigen ſiluriſchen Alaun- ſchiefer Schwedens, deren eigenthuͤmliche Zuſammenſetzung weſentlich von jenen untermeeriſchen Algenmaſſen herruͤhrt. Wir unterſcheiden in der Hauptklaſſe der Tange oder Algen vier verſchiedene Klaſſen, deren jede wiederum in mehrere Ordnungen und Familien zerfaͤllt. Dieſe ihrerſeits enthalten wieder eine große Menge verſchiedener Gattungen und Arten. Wir bezeichnen dieſe vier Klaſſen als Urtange oder Archephyceen, Gruͤntange oder Chlorophyceen, Brauntange oder Phaeophyceen, und Rothtange oder Rhodophyceen. Die erſte Klaſſe der Tange, die Urtange (Archephyceae) koͤnnten auch Urpflanzen (Archephyta) genannt werden, weil dieſelben die einfachſten und unvollkommenſten von allen Pflanzen enthalten, und insbeſondere jene aͤlteſten aller pflanzlichen Organismen, welche allen uͤbrigen Pflanzen den Urſprung gegeben haben. Es ge- hoͤren hierher alſo zunaͤchſt jene alleraͤlteſten vegetabiliſchen Moneren,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/379>, abgerufen am 25.11.2024.