Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Hauptklasse der Farne oder Filicinen.
gleichartigen, wenig oder nicht differenzirten Zellen zusammengesetzt ist,
entwickeln sich im Gewebe der Farne bereits jene eigenthümlich diffe-
renzirten Zellenstränge, welche man als Pflanzengefäße und Gefäß-
bündel bezeichnet, und welche auch bei den Blumenpflanzen allgemein
vorkommen. Daher vereinigt man wohl auch die Farne als "Ge-
fäßkryptogamen" mit den Phanerogamen, und stellt diese "Gefäß-
pflanzen" den "Zellenpflanzen" gegenüber, d. h. den "Zellenkrypto-
gamen" (Mosen und Thalluspflanzen). Dieser hochwichtige Fort-
schritt in der Pflanzenorganisation, die Bildung der Gefäße und Ge-
fäßbündel, fand demnach erst in der antedevonischen Zeit statt, also
im Beginn der zweiten und kleineren Hälfte der organischen Erd-
geschichte.

Die Hauptklasse der Farne oder Filicinen wird allgemein in vier
verschiedene Klassen eingetheilt, nämlich 1. die Schaftfarne oder
Calamophyten, 2. die Laubfarne oder Geopteriden, 3. die Wasser-
farne oder Hydropteriden, und 4. die Schuppenfarne oder Lepido-
phyten. Die bei weitem wichtigste und formenreichste von diesen vier
Klassen, welche den Hauptbestandtheil der paläolithischen Wälder
bildete, waren die Laubfarne, und demnächst die Schuppenfarne.
Dagegen traten die Schaftfarne schon damals mehr zurück und von
den Wasserfarnen wissen wir nicht einmal mit Bestimmtheit, ob sie da-
mals schon lebten. Es muß uns schwer fallen, uns eine Vorstellung
von dem ganz eigenthümlichen Charakter jener düsteren paläolithischen
Farnwälder zu bilden, in denen der ganze bunte Blumenreichthum
unserer gegenwärtigen Flora noch völlig fehlte, und welche noch von
keinem Vogel belebt wurden Von Blumenpflanzen existirten damals
nur die beiden niedersten Klassen, die nacktsamigen Nadelhölzer und
Palmfarne, deren einfache und unscheinbare Blüthen kaum den Namen
der Blumen verdienen.

Wahrscheinlich sind alle vier Farnklassen als vier getrennte Aeste
des Stammbaums zu betrachten, die aus einem gemeinsamen Haupt-
aste in der Antedevonzeit ihren Ursprung nahmen. Jedoch sind einer-
seits die niederen Schaftfarne näher mit den Laubfarnen, andrer-

Hauptklaſſe der Farne oder Filicinen.
gleichartigen, wenig oder nicht differenzirten Zellen zuſammengeſetzt iſt,
entwickeln ſich im Gewebe der Farne bereits jene eigenthuͤmlich diffe-
renzirten Zellenſtraͤnge, welche man als Pflanzengefaͤße und Gefaͤß-
buͤndel bezeichnet, und welche auch bei den Blumenpflanzen allgemein
vorkommen. Daher vereinigt man wohl auch die Farne als „Ge-
faͤßkryptogamen“ mit den Phanerogamen, und ſtellt dieſe „Gefaͤß-
pflanzen“ den „Zellenpflanzen“ gegenuͤber, d. h. den „Zellenkrypto-
gamen“ (Moſen und Thalluspflanzen). Dieſer hochwichtige Fort-
ſchritt in der Pflanzenorganiſation, die Bildung der Gefaͤße und Ge-
faͤßbuͤndel, fand demnach erſt in der antedevoniſchen Zeit ſtatt, alſo
im Beginn der zweiten und kleineren Haͤlfte der organiſchen Erd-
geſchichte.

Die Hauptklaſſe der Farne oder Filicinen wird allgemein in vier
verſchiedene Klaſſen eingetheilt, naͤmlich 1. die Schaftfarne oder
Calamophyten, 2. die Laubfarne oder Geopteriden, 3. die Waſſer-
farne oder Hydropteriden, und 4. die Schuppenfarne oder Lepido-
phyten. Die bei weitem wichtigſte und formenreichſte von dieſen vier
Klaſſen, welche den Hauptbeſtandtheil der palaͤolithiſchen Waͤlder
bildete, waren die Laubfarne, und demnaͤchſt die Schuppenfarne.
Dagegen traten die Schaftfarne ſchon damals mehr zuruͤck und von
den Waſſerfarnen wiſſen wir nicht einmal mit Beſtimmtheit, ob ſie da-
mals ſchon lebten. Es muß uns ſchwer fallen, uns eine Vorſtellung
von dem ganz eigenthuͤmlichen Charakter jener duͤſteren palaͤolithiſchen
Farnwaͤlder zu bilden, in denen der ganze bunte Blumenreichthum
unſerer gegenwaͤrtigen Flora noch voͤllig fehlte, und welche noch von
keinem Vogel belebt wurden Von Blumenpflanzen exiſtirten damals
nur die beiden niederſten Klaſſen, die nacktſamigen Nadelhoͤlzer und
Palmfarne, deren einfache und unſcheinbare Bluͤthen kaum den Namen
der Blumen verdienen.

Wahrſcheinlich ſind alle vier Farnklaſſen als vier getrennte Aeſte
des Stammbaums zu betrachten, die aus einem gemeinſamen Haupt-
aſte in der Antedevonzeit ihren Urſprung nahmen. Jedoch ſind einer-
ſeits die niederen Schaftfarne naͤher mit den Laubfarnen, andrer-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0393" n="368"/><fw place="top" type="header">Hauptkla&#x017F;&#x017F;e der Farne oder Filicinen.</fw><lb/>
gleichartigen, wenig oder nicht differenzirten Zellen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t,<lb/>
entwickeln &#x017F;ich im Gewebe der Farne bereits jene eigenthu&#x0364;mlich diffe-<lb/>
renzirten Zellen&#x017F;tra&#x0364;nge, welche man als Pflanzengefa&#x0364;ße und Gefa&#x0364;ß-<lb/>
bu&#x0364;ndel bezeichnet, und welche auch bei den Blumenpflanzen allgemein<lb/>
vorkommen. Daher vereinigt man wohl auch die Farne als &#x201E;Ge-<lb/>
fa&#x0364;ßkryptogamen&#x201C; mit den Phanerogamen, und &#x017F;tellt die&#x017F;e &#x201E;Gefa&#x0364;ß-<lb/>
pflanzen&#x201C; den &#x201E;Zellenpflanzen&#x201C; gegenu&#x0364;ber, d. h. den &#x201E;Zellenkrypto-<lb/>
gamen&#x201C; (Mo&#x017F;en und Thalluspflanzen). Die&#x017F;er hochwichtige Fort-<lb/>
&#x017F;chritt in der Pflanzenorgani&#x017F;ation, die Bildung der Gefa&#x0364;ße und Ge-<lb/>
fa&#x0364;ßbu&#x0364;ndel, fand demnach er&#x017F;t in der antedevoni&#x017F;chen Zeit &#x017F;tatt, al&#x017F;o<lb/>
im Beginn der zweiten und kleineren Ha&#x0364;lfte der organi&#x017F;chen Erd-<lb/>
ge&#x017F;chichte.</p><lb/>
        <p>Die Hauptkla&#x017F;&#x017F;e der Farne oder Filicinen wird allgemein in vier<lb/>
ver&#x017F;chiedene Kla&#x017F;&#x017F;en eingetheilt, na&#x0364;mlich 1. die Schaftfarne oder<lb/>
Calamophyten, 2. die Laubfarne oder Geopteriden, 3. die Wa&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
farne oder Hydropteriden, und 4. die Schuppenfarne oder Lepido-<lb/>
phyten. Die bei weitem wichtig&#x017F;te und formenreich&#x017F;te von die&#x017F;en vier<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en, welche den Hauptbe&#x017F;tandtheil der pala&#x0364;olithi&#x017F;chen Wa&#x0364;lder<lb/>
bildete, waren die Laubfarne, und demna&#x0364;ch&#x017F;t die Schuppenfarne.<lb/>
Dagegen traten die Schaftfarne &#x017F;chon damals mehr zuru&#x0364;ck und von<lb/>
den Wa&#x017F;&#x017F;erfarnen wi&#x017F;&#x017F;en wir nicht einmal mit Be&#x017F;timmtheit, ob &#x017F;ie da-<lb/>
mals &#x017F;chon lebten. Es muß uns &#x017F;chwer fallen, uns eine Vor&#x017F;tellung<lb/>
von dem ganz eigenthu&#x0364;mlichen Charakter jener du&#x0364;&#x017F;teren pala&#x0364;olithi&#x017F;chen<lb/>
Farnwa&#x0364;lder zu bilden, in denen der ganze bunte Blumenreichthum<lb/>
un&#x017F;erer gegenwa&#x0364;rtigen Flora noch vo&#x0364;llig fehlte, und welche noch von<lb/>
keinem Vogel belebt wurden Von Blumenpflanzen exi&#x017F;tirten damals<lb/>
nur die beiden nieder&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;en, die nackt&#x017F;amigen Nadelho&#x0364;lzer und<lb/>
Palmfarne, deren einfache und un&#x017F;cheinbare Blu&#x0364;then kaum den Namen<lb/>
der Blumen verdienen.</p><lb/>
        <p>Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ind alle vier Farnkla&#x017F;&#x017F;en als vier getrennte Ae&#x017F;te<lb/>
des Stammbaums zu betrachten, die aus einem gemein&#x017F;amen Haupt-<lb/>
a&#x017F;te in der Antedevonzeit ihren Ur&#x017F;prung nahmen. Jedoch &#x017F;ind einer-<lb/>
&#x017F;eits die niederen Schaftfarne na&#x0364;her mit den Laubfarnen, andrer-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0393] Hauptklaſſe der Farne oder Filicinen. gleichartigen, wenig oder nicht differenzirten Zellen zuſammengeſetzt iſt, entwickeln ſich im Gewebe der Farne bereits jene eigenthuͤmlich diffe- renzirten Zellenſtraͤnge, welche man als Pflanzengefaͤße und Gefaͤß- buͤndel bezeichnet, und welche auch bei den Blumenpflanzen allgemein vorkommen. Daher vereinigt man wohl auch die Farne als „Ge- faͤßkryptogamen“ mit den Phanerogamen, und ſtellt dieſe „Gefaͤß- pflanzen“ den „Zellenpflanzen“ gegenuͤber, d. h. den „Zellenkrypto- gamen“ (Moſen und Thalluspflanzen). Dieſer hochwichtige Fort- ſchritt in der Pflanzenorganiſation, die Bildung der Gefaͤße und Ge- faͤßbuͤndel, fand demnach erſt in der antedevoniſchen Zeit ſtatt, alſo im Beginn der zweiten und kleineren Haͤlfte der organiſchen Erd- geſchichte. Die Hauptklaſſe der Farne oder Filicinen wird allgemein in vier verſchiedene Klaſſen eingetheilt, naͤmlich 1. die Schaftfarne oder Calamophyten, 2. die Laubfarne oder Geopteriden, 3. die Waſſer- farne oder Hydropteriden, und 4. die Schuppenfarne oder Lepido- phyten. Die bei weitem wichtigſte und formenreichſte von dieſen vier Klaſſen, welche den Hauptbeſtandtheil der palaͤolithiſchen Waͤlder bildete, waren die Laubfarne, und demnaͤchſt die Schuppenfarne. Dagegen traten die Schaftfarne ſchon damals mehr zuruͤck und von den Waſſerfarnen wiſſen wir nicht einmal mit Beſtimmtheit, ob ſie da- mals ſchon lebten. Es muß uns ſchwer fallen, uns eine Vorſtellung von dem ganz eigenthuͤmlichen Charakter jener duͤſteren palaͤolithiſchen Farnwaͤlder zu bilden, in denen der ganze bunte Blumenreichthum unſerer gegenwaͤrtigen Flora noch voͤllig fehlte, und welche noch von keinem Vogel belebt wurden Von Blumenpflanzen exiſtirten damals nur die beiden niederſten Klaſſen, die nacktſamigen Nadelhoͤlzer und Palmfarne, deren einfache und unſcheinbare Bluͤthen kaum den Namen der Blumen verdienen. Wahrſcheinlich ſind alle vier Farnklaſſen als vier getrennte Aeſte des Stammbaums zu betrachten, die aus einem gemeinſamen Haupt- aſte in der Antedevonzeit ihren Urſprung nahmen. Jedoch ſind einer- ſeits die niederen Schaftfarne naͤher mit den Laubfarnen, andrer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/393
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/393>, abgerufen am 23.11.2024.