geschieht, Erkenntnisse a priori den Erkenntnissen a posteriori nicht entgegen zu stellen sind. Vielmehr ist die sinnliche Erfahrung die ur- sprüngliche Quelle aller Erkenntnisse. Schon aus diesem Grunde ist alle unsere Wissenschaft nur beschränkt, und niemals vermögen wir die letzten Gründe irgend einer Erscheinung zu erfassen. Die Schwerkraft und die chemische Verwandtschaft bleiben uns, an und für sich, eben so unbegreiflich, wie die Anpassung und die Vererbung.
Wenn uns nun die Theorie Darwins die Gesammtheit aller vorhin in einem kurzen Ueberblick zusammengefaßten Erscheinungen aus einem einzigen Gesichtspunkt erklärt, wenn sie eine und dieselbe Beschaffenheit des Organismus als die wirkende Ursache nachweist, so leistet sie vorläufig Alles, was wir verlangen können. Außerdem läßt sich aber auch mit gutem Grunde hoffen, daß wir die letzten Gründe, zu welchen Darwin gelangt, nämlich die Eigenschaften der Erblichkeit und der Anpassungsfähigkeit, noch weiter werden er- klären lernen, und daß wir z. B. dahin gelangen werden, die Mole- kularverhältnisse in der Zusammensetzung der Eiweißstoffe als die wei- ter zurückliegenden, einfachen Gründe jener Erscheinungen aufzude- cken. Freilich ist in der nächsten Zukunft hierzu noch keine Aussicht, und wir begnügen uns vorläufig mit jener Zurückführung, wie wir uns in der Newton'schen Theorie mit der Zurückführung der Pla- netenbewegungen auf die Schwerkraft begnügen. Die Schwerkraft selbst ist uns ebenfalls ein Räthsel, an sich nicht erkennbar.
Bevor wir nun an unsere Hauptaufgabe, an die eingehende Er- örterung der Abstammungslehre und der aus ihr sich ergebenden Fol- gerungen herantreten, lassen Sie uns einen geschichtlichen Rückblick auf die wichtigsten und verbreitetsten von denjenigen Ansichten werfen, welche sich die Menschen vor Darwin über die organische Schöpfung, über die Entstehung der mannigfaltigen Thier- und Pflanzenarten ge- bildet hatten. Es liegt dabei keineswegs in meiner Absicht, Sie mit einem vergleichenden Ueberblick über alle die zahlreichen Schöpfungs- dichtungen der verschiedenen Menschen-Arten, -Rassen und -Stämme zu unterhalten. So interessant und lohnend diese Aufgabe, sowohl in
Erkenntniſſe apoſteriori und apriori.
geſchieht, Erkenntniſſe a priori den Erkenntniſſen a posteriori nicht entgegen zu ſtellen ſind. Vielmehr iſt die ſinnliche Erfahrung die ur- ſpruͤngliche Quelle aller Erkenntniſſe. Schon aus dieſem Grunde iſt alle unſere Wiſſenſchaft nur beſchraͤnkt, und niemals vermoͤgen wir die letzten Gruͤnde irgend einer Erſcheinung zu erfaſſen. Die Schwerkraft und die chemiſche Verwandtſchaft bleiben uns, an und fuͤr ſich, eben ſo unbegreiflich, wie die Anpaſſung und die Vererbung.
Wenn uns nun die Theorie Darwins die Geſammtheit aller vorhin in einem kurzen Ueberblick zuſammengefaßten Erſcheinungen aus einem einzigen Geſichtspunkt erklaͤrt, wenn ſie eine und dieſelbe Beſchaffenheit des Organismus als die wirkende Urſache nachweiſt, ſo leiſtet ſie vorlaͤufig Alles, was wir verlangen koͤnnen. Außerdem laͤßt ſich aber auch mit gutem Grunde hoffen, daß wir die letzten Gruͤnde, zu welchen Darwin gelangt, naͤmlich die Eigenſchaften der Erblichkeit und der Anpaſſungsfaͤhigkeit, noch weiter werden er- klaͤren lernen, und daß wir z. B. dahin gelangen werden, die Mole- kularverhaͤltniſſe in der Zuſammenſetzung der Eiweißſtoffe als die wei- ter zuruͤckliegenden, einfachen Gruͤnde jener Erſcheinungen aufzude- cken. Freilich iſt in der naͤchſten Zukunft hierzu noch keine Ausſicht, und wir begnuͤgen uns vorlaͤufig mit jener Zuruͤckfuͤhrung, wie wir uns in der Newton’ſchen Theorie mit der Zuruͤckfuͤhrung der Pla- netenbewegungen auf die Schwerkraft begnuͤgen. Die Schwerkraft ſelbſt iſt uns ebenfalls ein Raͤthſel, an ſich nicht erkennbar.
Bevor wir nun an unſere Hauptaufgabe, an die eingehende Er- oͤrterung der Abſtammungslehre und der aus ihr ſich ergebenden Fol- gerungen herantreten, laſſen Sie uns einen geſchichtlichen Ruͤckblick auf die wichtigſten und verbreitetſten von denjenigen Anſichten werfen, welche ſich die Menſchen vor Darwin uͤber die organiſche Schoͤpfung, uͤber die Entſtehung der mannigfaltigen Thier- und Pflanzenarten ge- bildet hatten. Es liegt dabei keineswegs in meiner Abſicht, Sie mit einem vergleichenden Ueberblick uͤber alle die zahlreichen Schoͤpfungs- dichtungen der verſchiedenen Menſchen-Arten, -Raſſen und -Staͤmme zu unterhalten. So intereſſant und lohnend dieſe Aufgabe, ſowohl in
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[27/0048]
Erkenntniſſe apoſteriori und apriori.
geſchieht, Erkenntniſſe a priori den Erkenntniſſen a posteriori nicht
entgegen zu ſtellen ſind. Vielmehr iſt die ſinnliche Erfahrung die ur-
ſpruͤngliche Quelle aller Erkenntniſſe. Schon aus dieſem Grunde
iſt alle unſere Wiſſenſchaft nur beſchraͤnkt, und niemals vermoͤgen wir
die letzten Gruͤnde irgend einer Erſcheinung zu erfaſſen. Die
Schwerkraft und die chemiſche Verwandtſchaft bleiben uns, an und
fuͤr ſich, eben ſo unbegreiflich, wie die Anpaſſung und die Vererbung.
Wenn uns nun die Theorie Darwins die Geſammtheit aller
vorhin in einem kurzen Ueberblick zuſammengefaßten Erſcheinungen
aus einem einzigen Geſichtspunkt erklaͤrt, wenn ſie eine und dieſelbe
Beſchaffenheit des Organismus als die wirkende Urſache nachweiſt,
ſo leiſtet ſie vorlaͤufig Alles, was wir verlangen koͤnnen. Außerdem
laͤßt ſich aber auch mit gutem Grunde hoffen, daß wir die letzten
Gruͤnde, zu welchen Darwin gelangt, naͤmlich die Eigenſchaften
der Erblichkeit und der Anpaſſungsfaͤhigkeit, noch weiter werden er-
klaͤren lernen, und daß wir z. B. dahin gelangen werden, die Mole-
kularverhaͤltniſſe in der Zuſammenſetzung der Eiweißſtoffe als die wei-
ter zuruͤckliegenden, einfachen Gruͤnde jener Erſcheinungen aufzude-
cken. Freilich iſt in der naͤchſten Zukunft hierzu noch keine Ausſicht,
und wir begnuͤgen uns vorlaͤufig mit jener Zuruͤckfuͤhrung, wie wir
uns in der Newton’ſchen Theorie mit der Zuruͤckfuͤhrung der Pla-
netenbewegungen auf die Schwerkraft begnuͤgen. Die Schwerkraft
ſelbſt iſt uns ebenfalls ein Raͤthſel, an ſich nicht erkennbar.
Bevor wir nun an unſere Hauptaufgabe, an die eingehende Er-
oͤrterung der Abſtammungslehre und der aus ihr ſich ergebenden Fol-
gerungen herantreten, laſſen Sie uns einen geſchichtlichen Ruͤckblick
auf die wichtigſten und verbreitetſten von denjenigen Anſichten werfen,
welche ſich die Menſchen vor Darwin uͤber die organiſche Schoͤpfung,
uͤber die Entſtehung der mannigfaltigen Thier- und Pflanzenarten ge-
bildet hatten. Es liegt dabei keineswegs in meiner Abſicht, Sie mit
einem vergleichenden Ueberblick uͤber alle die zahlreichen Schoͤpfungs-
dichtungen der verſchiedenen Menſchen-Arten, -Raſſen und -Staͤmme
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/48>, abgerufen am 03.12.2024.
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