Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Walthiere (Cetaceen). Zahnarme (Edentaten).
Obwohl diese Thiere äußerlich manchen echten Fischen sehr ähnlich er-
scheinen, sind sie dennoch, wie schon Aristoteles erkannte, echte
Säugethiere. Durch ihren gesammten inneren Bau, sofern derselbe
nicht durch Anpassung an das Wasserleben verändert ist, stehen sie
den Hufthieren von allen übrigen bekannten Säugethieren am näch-
sten, und theilen namentlich mit ihnen den Mangel der Decidua und
die zottenförmige Placenta. Noch heute bildet das Flußpferd (Hippo-
potamus)
eine Art von Uebergangsform zu den Seerindern (Sirenia),
und es ist demnach das wahrscheinlichste, daß die ausgestorbenen
Stammformen der Cetaceen den heutigen Seerindern am nächsten
standen, und sich aus Paarhufern entwickelten, welche dem Flußpferd
verwandt waren. Aus der Ordnung der pflanzenfressenden
Walthiere
(Phycoceta), zu welcher die Seerinder gehören, und
welche demnach wahrscheinlich die Stammformen der Legion enthält,
hat sich späterhin die andere Ordnung der fleischfressenden Wal-
thiere
(Sarcoceta) entwickelt. Von diesen letzteren sind die ausge-
storbenen riesigen Zeuglodonten (Zeugloceta), deren fossile Ske-
lete vor einiger Zeit als angebliche "Seeschlangen" (Hydrarchus) großes
Aufsehen erregten, vermuthlich nur ein eigenthümlich entwickelter Sei-
tenzweig der eigentlichen Walfische (Autoceta), zu denen außer den
colossalen Bartenwalen auch die Potwale, Delphine, Narwale, See-
schweine u. s. w. gehören.

Die dritte und letzte Legion der Jndeciduen oder Sparsiplacenta-
lien bildet die seltsame Gruppe der Zahnarmen (Edentata). Sie
ist aus den beiden Ordnungen der Scharrthiere und der Faulthiere
zusammengesetzt. Die Ordnung der Scharrthiere (Effodientia)
besteht aus den beiden Unterordnungen der Ameisenfresser (Ver-
milinguia,
zu denen auch die Schuppenthiere gehören), und der
Gürtelthiere (Cingulata), die früher durch die riesigen Glypto-
donten vertreten waren. Die Ordnung der Faulthiere (Tardi-
grada)
besteht aus den beiden Unterordnungen der kleinen jetzt noch
lebenden Zwergfaulthiere (Bradypoda) und der ausgestorbe-
nen schwerfälligen Riesenfaulthiere (Gravigrada). Die unge-

Walthiere (Cetaceen). Zahnarme (Edentaten).
Obwohl dieſe Thiere aͤußerlich manchen echten Fiſchen ſehr aͤhnlich er-
ſcheinen, ſind ſie dennoch, wie ſchon Ariſtoteles erkannte, echte
Saͤugethiere. Durch ihren geſammten inneren Bau, ſofern derſelbe
nicht durch Anpaſſung an das Waſſerleben veraͤndert iſt, ſtehen ſie
den Hufthieren von allen uͤbrigen bekannten Saͤugethieren am naͤch-
ſten, und theilen namentlich mit ihnen den Mangel der Decidua und
die zottenfoͤrmige Placenta. Noch heute bildet das Flußpferd (Hippo-
potamus)
eine Art von Uebergangsform zu den Seerindern (Sirenia),
und es iſt demnach das wahrſcheinlichſte, daß die ausgeſtorbenen
Stammformen der Cetaceen den heutigen Seerindern am naͤchſten
ſtanden, und ſich aus Paarhufern entwickelten, welche dem Flußpferd
verwandt waren. Aus der Ordnung der pflanzenfreſſenden
Walthiere
(Phycoceta), zu welcher die Seerinder gehoͤren, und
welche demnach wahrſcheinlich die Stammformen der Legion enthaͤlt,
hat ſich ſpaͤterhin die andere Ordnung der fleiſchfreſſenden Wal-
thiere
(Sarcoceta) entwickelt. Von dieſen letzteren ſind die ausge-
ſtorbenen rieſigen Zeuglodonten (Zeugloceta), deren foſſile Ske-
lete vor einiger Zeit als angebliche „Seeſchlangen“ (Hydrarchus) großes
Aufſehen erregten, vermuthlich nur ein eigenthuͤmlich entwickelter Sei-
tenzweig der eigentlichen Walfiſche (Autoceta), zu denen außer den
coloſſalen Bartenwalen auch die Potwale, Delphine, Narwale, See-
ſchweine u. ſ. w. gehoͤren.

Die dritte und letzte Legion der Jndeciduen oder Sparſiplacenta-
lien bildet die ſeltſame Gruppe der Zahnarmen (Edentata). Sie
iſt aus den beiden Ordnungen der Scharrthiere und der Faulthiere
zuſammengeſetzt. Die Ordnung der Scharrthiere (Effodientia)
beſteht aus den beiden Unterordnungen der Ameiſenfreſſer (Ver-
milinguia,
zu denen auch die Schuppenthiere gehoͤren), und der
Guͤrtelthiere (Cingulata), die fruͤher durch die rieſigen Glypto-
donten vertreten waren. Die Ordnung der Faulthiere (Tardi-
grada)
beſteht aus den beiden Unterordnungen der kleinen jetzt noch
lebenden Zwergfaulthiere (Bradypoda) und der ausgeſtorbe-
nen ſchwerfaͤlligen Rieſenfaulthiere (Gravigrada). Die unge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0504" n="479"/><fw place="top" type="header">Walthiere (Cetaceen). Zahnarme (Edentaten).</fw><lb/>
Obwohl die&#x017F;e Thiere a&#x0364;ußerlich manchen echten Fi&#x017F;chen &#x017F;ehr a&#x0364;hnlich er-<lb/>
&#x017F;cheinen, &#x017F;ind &#x017F;ie dennoch, wie &#x017F;chon <hi rendition="#g">Ari&#x017F;toteles</hi> erkannte, echte<lb/>
Sa&#x0364;ugethiere. Durch ihren ge&#x017F;ammten inneren Bau, &#x017F;ofern der&#x017F;elbe<lb/>
nicht durch Anpa&#x017F;&#x017F;ung an das Wa&#x017F;&#x017F;erleben vera&#x0364;ndert i&#x017F;t, &#x017F;tehen &#x017F;ie<lb/>
den Hufthieren von allen u&#x0364;brigen bekannten Sa&#x0364;ugethieren am na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten, und theilen namentlich mit ihnen den Mangel der Decidua und<lb/>
die zottenfo&#x0364;rmige Placenta. Noch heute bildet das Flußpferd <hi rendition="#aq">(Hippo-<lb/>
potamus)</hi> eine Art von Uebergangsform zu den Seerindern <hi rendition="#aq">(Sirenia),</hi><lb/>
und es i&#x017F;t demnach das wahr&#x017F;cheinlich&#x017F;te, daß die ausge&#x017F;torbenen<lb/>
Stammformen der Cetaceen den heutigen Seerindern am na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;tanden, und &#x017F;ich aus Paarhufern entwickelten, welche dem Flußpferd<lb/>
verwandt waren. Aus der Ordnung der <hi rendition="#g">pflanzenfre&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Walthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Phycoceta),</hi> zu welcher die Seerinder geho&#x0364;ren, und<lb/>
welche demnach wahr&#x017F;cheinlich die Stammformen der Legion entha&#x0364;lt,<lb/>
hat &#x017F;ich &#x017F;pa&#x0364;terhin die andere Ordnung der <hi rendition="#g">flei&#x017F;chfre&#x017F;&#x017F;enden Wal-<lb/>
thiere</hi> <hi rendition="#aq">(Sarcoceta)</hi> entwickelt. Von die&#x017F;en letzteren &#x017F;ind die ausge-<lb/>
&#x017F;torbenen rie&#x017F;igen <hi rendition="#g">Zeuglodonten</hi> <hi rendition="#aq">(Zeugloceta),</hi> deren fo&#x017F;&#x017F;ile Ske-<lb/>
lete vor einiger Zeit als angebliche &#x201E;See&#x017F;chlangen&#x201C; <hi rendition="#aq">(Hydrarchus)</hi> großes<lb/>
Auf&#x017F;ehen erregten, vermuthlich nur ein eigenthu&#x0364;mlich entwickelter Sei-<lb/>
tenzweig der eigentlichen <hi rendition="#g">Walfi&#x017F;che</hi> <hi rendition="#aq">(Autoceta),</hi> zu denen außer den<lb/>
colo&#x017F;&#x017F;alen Bartenwalen auch die Potwale, Delphine, Narwale, See-<lb/>
&#x017F;chweine u. &#x017F;. w. geho&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Die dritte und letzte Legion der Jndeciduen oder Spar&#x017F;iplacenta-<lb/>
lien bildet die &#x017F;elt&#x017F;ame Gruppe der <hi rendition="#g">Zahnarmen</hi> <hi rendition="#aq">(Edentata).</hi> Sie<lb/>
i&#x017F;t aus den beiden Ordnungen der Scharrthiere und der Faulthiere<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt. Die Ordnung der <hi rendition="#g">Scharrthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Effodientia)</hi><lb/>
be&#x017F;teht aus den beiden Unterordnungen der <hi rendition="#g">Amei&#x017F;enfre&#x017F;&#x017F;er</hi> (<hi rendition="#aq">Ver-<lb/>
milinguia,</hi> zu denen auch die Schuppenthiere geho&#x0364;ren), und der<lb/><hi rendition="#g">Gu&#x0364;rtelthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Cingulata),</hi> die fru&#x0364;her durch die rie&#x017F;igen Glypto-<lb/>
donten vertreten waren. Die Ordnung der <hi rendition="#g">Faulthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Tardi-<lb/>
grada)</hi> be&#x017F;teht aus den beiden Unterordnungen der kleinen jetzt noch<lb/>
lebenden <hi rendition="#g">Zwergfaulthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Bradypoda)</hi> und der ausge&#x017F;torbe-<lb/>
nen &#x017F;chwerfa&#x0364;lligen <hi rendition="#g">Rie&#x017F;enfaulthiere</hi> <hi rendition="#aq">(Gravigrada).</hi> Die unge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[479/0504] Walthiere (Cetaceen). Zahnarme (Edentaten). Obwohl dieſe Thiere aͤußerlich manchen echten Fiſchen ſehr aͤhnlich er- ſcheinen, ſind ſie dennoch, wie ſchon Ariſtoteles erkannte, echte Saͤugethiere. Durch ihren geſammten inneren Bau, ſofern derſelbe nicht durch Anpaſſung an das Waſſerleben veraͤndert iſt, ſtehen ſie den Hufthieren von allen uͤbrigen bekannten Saͤugethieren am naͤch- ſten, und theilen namentlich mit ihnen den Mangel der Decidua und die zottenfoͤrmige Placenta. Noch heute bildet das Flußpferd (Hippo- potamus) eine Art von Uebergangsform zu den Seerindern (Sirenia), und es iſt demnach das wahrſcheinlichſte, daß die ausgeſtorbenen Stammformen der Cetaceen den heutigen Seerindern am naͤchſten ſtanden, und ſich aus Paarhufern entwickelten, welche dem Flußpferd verwandt waren. Aus der Ordnung der pflanzenfreſſenden Walthiere (Phycoceta), zu welcher die Seerinder gehoͤren, und welche demnach wahrſcheinlich die Stammformen der Legion enthaͤlt, hat ſich ſpaͤterhin die andere Ordnung der fleiſchfreſſenden Wal- thiere (Sarcoceta) entwickelt. Von dieſen letzteren ſind die ausge- ſtorbenen rieſigen Zeuglodonten (Zeugloceta), deren foſſile Ske- lete vor einiger Zeit als angebliche „Seeſchlangen“ (Hydrarchus) großes Aufſehen erregten, vermuthlich nur ein eigenthuͤmlich entwickelter Sei- tenzweig der eigentlichen Walfiſche (Autoceta), zu denen außer den coloſſalen Bartenwalen auch die Potwale, Delphine, Narwale, See- ſchweine u. ſ. w. gehoͤren. Die dritte und letzte Legion der Jndeciduen oder Sparſiplacenta- lien bildet die ſeltſame Gruppe der Zahnarmen (Edentata). Sie iſt aus den beiden Ordnungen der Scharrthiere und der Faulthiere zuſammengeſetzt. Die Ordnung der Scharrthiere (Effodientia) beſteht aus den beiden Unterordnungen der Ameiſenfreſſer (Ver- milinguia, zu denen auch die Schuppenthiere gehoͤren), und der Guͤrtelthiere (Cingulata), die fruͤher durch die rieſigen Glypto- donten vertreten waren. Die Ordnung der Faulthiere (Tardi- grada) beſteht aus den beiden Unterordnungen der kleinen jetzt noch lebenden Zwergfaulthiere (Bradypoda) und der ausgeſtorbe- nen ſchwerfaͤlligen Rieſenfaulthiere (Gravigrada). Die unge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/504
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/504>, abgerufen am 22.11.2024.