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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Thierischer Zustand der niedersten Völker.
und der Kinder vergleichend studiren 32). Auf der tiefsten Stufe mensch-
licher Geistesbildung stehen die Australneger Neuhollands, einige Stäm-
me der polynesischen Papuaneger, und in Afrika die Buschmänner, die
Hottentotten und einige Stämme der Afroneger. Die Sprache, der
wichtigste Charakter des echten Menschen, ist bei ihnen auf der tiefsten
Stufe der Ausbildung stehen geblieben, und damit natürlich auch die
Begriffsbildung. Manche dieser wilden Stämme haben nicht einmal
eine Bezeichnung für Thier, Pflanze, Ton, Farbe und dergleichen ein-
fachste Begriffe, wogegen sie für jede einzelne auffallende Thier- oder
Pflanzenform, für jeden einzelnen Ton oder Farbe ein Wort besitzen.
Jn vielen solcher Sprachen giebt es bloß Zahlwörter für Eins, Zwei
und Drei; keine australische Sprache zählt über Vier. Sehr viele wilde
Völker können nur bis zehn oder zwanzig zählen, während man ein-
zelne sehr gescheute Hunde dazu gebracht hat, bis vierzig und selbst
über sechzig zu zählen. Und doch ist die Zahl der Anfang der Mathe-
matik! Nichts ist aber vielleicht in dieser Beziehung merkwürdiger, als
daß einzelne von den wildesten Stämmen im südlichen Asien und öst-
lichen Afrika von der ersten Grundlage aller menschlichen Gesittung,
vom Familienleben und der Ehe, gar keinen Begriff haben. Sie leben
in Heerden beisammen, wie die Affen, größtentheils auf Bäumen klet-
ternd und von Früchten lebend; sie kennen das Feuer noch nicht, und
gebrauchen als Waffen nur Steine und Knüppel, wie es auch die
höheren Affen thun. Alle Versuche, diese und viele andere Stämme der
niederen Menschenrassen der Kultur zugänglich zu machen, sind bisher
gescheitert; es ist unmöglich, da menschliche Bildung pflanzen zu wol-
len, wo der nöthige Boden dazu, die menschliche Gehirnvervollkomm-
nung, noch fehlt. Noch keiner von jenen Stämmen ist durch die Kul-
tur veredelt worden; sie gehen nur rascher dadurch zu Grunde. Sie
haben sich kaum über jene tiefste Stufe des Uebergangs vom Menschen-
affen zum Affenmenschen erhoben, welche die Stammeltern der höhe-
ren Menschenarten schon seit Jahrtausenden überschritten haben 32).

Betrachten Sie nun auf der anderen Seite die höchsten Entwicke-
lungsstufen des Seelenlebens bei den höheren Wirbelthieren, namentlich

35 *

Thieriſcher Zuſtand der niederſten Voͤlker.
und der Kinder vergleichend ſtudiren 32). Auf der tiefſten Stufe menſch-
licher Geiſtesbildung ſtehen die Auſtralneger Neuhollands, einige Staͤm-
me der polyneſiſchen Papuaneger, und in Afrika die Buſchmaͤnner, die
Hottentotten und einige Staͤmme der Afroneger. Die Sprache, der
wichtigſte Charakter des echten Menſchen, iſt bei ihnen auf der tiefſten
Stufe der Ausbildung ſtehen geblieben, und damit natuͤrlich auch die
Begriffsbildung. Manche dieſer wilden Staͤmme haben nicht einmal
eine Bezeichnung fuͤr Thier, Pflanze, Ton, Farbe und dergleichen ein-
fachſte Begriffe, wogegen ſie fuͤr jede einzelne auffallende Thier- oder
Pflanzenform, fuͤr jeden einzelnen Ton oder Farbe ein Wort beſitzen.
Jn vielen ſolcher Sprachen giebt es bloß Zahlwoͤrter fuͤr Eins, Zwei
und Drei; keine auſtraliſche Sprache zaͤhlt uͤber Vier. Sehr viele wilde
Voͤlker koͤnnen nur bis zehn oder zwanzig zaͤhlen, waͤhrend man ein-
zelne ſehr geſcheute Hunde dazu gebracht hat, bis vierzig und ſelbſt
uͤber ſechzig zu zaͤhlen. Und doch iſt die Zahl der Anfang der Mathe-
matik! Nichts iſt aber vielleicht in dieſer Beziehung merkwuͤrdiger, als
daß einzelne von den wildeſten Staͤmmen im ſuͤdlichen Aſien und oͤſt-
lichen Afrika von der erſten Grundlage aller menſchlichen Geſittung,
vom Familienleben und der Ehe, gar keinen Begriff haben. Sie leben
in Heerden beiſammen, wie die Affen, groͤßtentheils auf Baͤumen klet-
ternd und von Fruͤchten lebend; ſie kennen das Feuer noch nicht, und
gebrauchen als Waffen nur Steine und Knuͤppel, wie es auch die
hoͤheren Affen thun. Alle Verſuche, dieſe und viele andere Staͤmme der
niederen Menſchenraſſen der Kultur zugaͤnglich zu machen, ſind bisher
geſcheitert; es iſt unmoͤglich, da menſchliche Bildung pflanzen zu wol-
len, wo der noͤthige Boden dazu, die menſchliche Gehirnvervollkomm-
nung, noch fehlt. Noch keiner von jenen Staͤmmen iſt durch die Kul-
tur veredelt worden; ſie gehen nur raſcher dadurch zu Grunde. Sie
haben ſich kaum uͤber jene tiefſte Stufe des Uebergangs vom Menſchen-
affen zum Affenmenſchen erhoben, welche die Stammeltern der hoͤhe-
ren Menſchenarten ſchon ſeit Jahrtauſenden uͤberſchritten haben 32).

Betrachten Sie nun auf der anderen Seite die hoͤchſten Entwicke-
lungsſtufen des Seelenlebens bei den hoͤheren Wirbelthieren, namentlich

35 *
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[547/0572] Thieriſcher Zuſtand der niederſten Voͤlker. und der Kinder vergleichend ſtudiren 32). Auf der tiefſten Stufe menſch- licher Geiſtesbildung ſtehen die Auſtralneger Neuhollands, einige Staͤm- me der polyneſiſchen Papuaneger, und in Afrika die Buſchmaͤnner, die Hottentotten und einige Staͤmme der Afroneger. Die Sprache, der wichtigſte Charakter des echten Menſchen, iſt bei ihnen auf der tiefſten Stufe der Ausbildung ſtehen geblieben, und damit natuͤrlich auch die Begriffsbildung. Manche dieſer wilden Staͤmme haben nicht einmal eine Bezeichnung fuͤr Thier, Pflanze, Ton, Farbe und dergleichen ein- fachſte Begriffe, wogegen ſie fuͤr jede einzelne auffallende Thier- oder Pflanzenform, fuͤr jeden einzelnen Ton oder Farbe ein Wort beſitzen. Jn vielen ſolcher Sprachen giebt es bloß Zahlwoͤrter fuͤr Eins, Zwei und Drei; keine auſtraliſche Sprache zaͤhlt uͤber Vier. Sehr viele wilde Voͤlker koͤnnen nur bis zehn oder zwanzig zaͤhlen, waͤhrend man ein- zelne ſehr geſcheute Hunde dazu gebracht hat, bis vierzig und ſelbſt uͤber ſechzig zu zaͤhlen. Und doch iſt die Zahl der Anfang der Mathe- matik! Nichts iſt aber vielleicht in dieſer Beziehung merkwuͤrdiger, als daß einzelne von den wildeſten Staͤmmen im ſuͤdlichen Aſien und oͤſt- lichen Afrika von der erſten Grundlage aller menſchlichen Geſittung, vom Familienleben und der Ehe, gar keinen Begriff haben. Sie leben in Heerden beiſammen, wie die Affen, groͤßtentheils auf Baͤumen klet- ternd und von Fruͤchten lebend; ſie kennen das Feuer noch nicht, und gebrauchen als Waffen nur Steine und Knuͤppel, wie es auch die hoͤheren Affen thun. Alle Verſuche, dieſe und viele andere Staͤmme der niederen Menſchenraſſen der Kultur zugaͤnglich zu machen, ſind bisher geſcheitert; es iſt unmoͤglich, da menſchliche Bildung pflanzen zu wol- len, wo der noͤthige Boden dazu, die menſchliche Gehirnvervollkomm- nung, noch fehlt. Noch keiner von jenen Staͤmmen iſt durch die Kul- tur veredelt worden; ſie gehen nur raſcher dadurch zu Grunde. Sie haben ſich kaum uͤber jene tiefſte Stufe des Uebergangs vom Menſchen- affen zum Affenmenſchen erhoben, welche die Stammeltern der hoͤhe- ren Menſchenarten ſchon ſeit Jahrtauſenden uͤberſchritten haben 32). Betrachten Sie nun auf der anderen Seite die hoͤchſten Entwicke- lungsſtufen des Seelenlebens bei den hoͤheren Wirbelthieren, namentlich 35 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/572>, abgerufen am 22.11.2024.