Cuviers Hypothese von den getrennten Perioden der Erdgeschichte.
Petrefakten charakterisirt sind, und daß diese ausgestorbenen Organis- men denjenigen der Gegenwart um so ähnlicher werden, je weiter wir in der Schichtenfolge aufwärts steigen, d. h. je jünger die Periode der Erdgeschichte war, in der sie lebten, starben, und von den abge- lagerten und erhärtenden Schlammschichten umschlossen wurden.
So wichtig diese allgemeine Wahrnehmung Cuviers einerseits war, so wurde sie doch andrerseits für ihn die Quelle eines folgen- schweren Jrrthums. Denn indem er die charakteristischen Versteinerun- gen jeder einzelnen größeren Schichtengruppe, welche während eines Hauptabschnitts der Erdgeschichte abgelagert wurde, für gänzlich ver- schieden von denen der darüber und der darunter liegenden Schichten- gruppe hielt, indem er irrthümlich glaubte, daß niemals eine und dieselbe Thierart in zwei aufeinander folgenden Schichtengruppen sich vorfinde, gelangte er zu der falschen Vorstellung, welche für die mei- sten nachfolgenden Naturforscher maßgebend wurde, daß eine Reihe von ganz verschiedenen Schöpfungsperioden aufeinander gefolgt sei, und daß jede Periode ihre ganz besondere Thier- und Pflanzenwelt, eine ihr eigenthümliche, specifische Fauna und Flora besessen habe. Er stellte sich vor, daß die ganze Geschichte der Erdrinde seit der Zeit, seit welcher überhaupt lebende Wesen auf der Erdrinde auftraten, in eine Anzahl vollkommen getrennter Perioden oder Hauptabschnitte zer- falle, und daß die einzelnen Perioden durch eigenthümliche Umwäl- zungen unbekannter Natur, sogenannte Revolutionen (Kataklysmen oder Katastrophen) von einander geschieden seien. Jede Revolution hatte zunächst die vollkommene Vernichtung der damals lebenden Thier- und Pflanzenwelt zur Folge, und nach ihrer Beendigung fand eine vollständig neue Schöpfung der organischen Formen statt. Eine neue Welt von Thieren und Pflanzen, durchweg specifisch verschieden von denen der vorhergehenden Geschichtsperiode, wurde mit einem Male in das Leben gerufen, und bevölkerte nun wieder eine Reihe von Jahrtausenden hindurch den Erdball, bis sie plötzlich durch den Eintritt einer neuen Revolution zu Grunde ging.
Von dem Wesen und den Ursachen dieser Revolutionen sagte Cu-
Cuviers Hypotheſe von den getrennten Perioden der Erdgeſchichte.
Petrefakten charakteriſirt ſind, und daß dieſe ausgeſtorbenen Organis- men denjenigen der Gegenwart um ſo aͤhnlicher werden, je weiter wir in der Schichtenfolge aufwaͤrts ſteigen, d. h. je juͤnger die Periode der Erdgeſchichte war, in der ſie lebten, ſtarben, und von den abge- lagerten und erhaͤrtenden Schlammſchichten umſchloſſen wurden.
So wichtig dieſe allgemeine Wahrnehmung Cuviers einerſeits war, ſo wurde ſie doch andrerſeits fuͤr ihn die Quelle eines folgen- ſchweren Jrrthums. Denn indem er die charakteriſtiſchen Verſteinerun- gen jeder einzelnen groͤßeren Schichtengruppe, welche waͤhrend eines Hauptabſchnitts der Erdgeſchichte abgelagert wurde, fuͤr gaͤnzlich ver- ſchieden von denen der daruͤber und der darunter liegenden Schichten- gruppe hielt, indem er irrthuͤmlich glaubte, daß niemals eine und dieſelbe Thierart in zwei aufeinander folgenden Schichtengruppen ſich vorfinde, gelangte er zu der falſchen Vorſtellung, welche fuͤr die mei- ſten nachfolgenden Naturforſcher maßgebend wurde, daß eine Reihe von ganz verſchiedenen Schoͤpfungsperioden aufeinander gefolgt ſei, und daß jede Periode ihre ganz beſondere Thier- und Pflanzenwelt, eine ihr eigenthuͤmliche, ſpecifiſche Fauna und Flora beſeſſen habe. Er ſtellte ſich vor, daß die ganze Geſchichte der Erdrinde ſeit der Zeit, ſeit welcher uͤberhaupt lebende Weſen auf der Erdrinde auftraten, in eine Anzahl vollkommen getrennter Perioden oder Hauptabſchnitte zer- falle, und daß die einzelnen Perioden durch eigenthuͤmliche Umwaͤl- zungen unbekannter Natur, ſogenannte Revolutionen (Kataklysmen oder Kataſtrophen) von einander geſchieden ſeien. Jede Revolution hatte zunaͤchſt die vollkommene Vernichtung der damals lebenden Thier- und Pflanzenwelt zur Folge, und nach ihrer Beendigung fand eine vollſtaͤndig neue Schoͤpfung der organiſchen Formen ſtatt. Eine neue Welt von Thieren und Pflanzen, durchweg ſpecifiſch verſchieden von denen der vorhergehenden Geſchichtsperiode, wurde mit einem Male in das Leben gerufen, und bevoͤlkerte nun wieder eine Reihe von Jahrtauſenden hindurch den Erdball, bis ſie ploͤtzlich durch den Eintritt einer neuen Revolution zu Grunde ging.
Von dem Weſen und den Urſachen dieſer Revolutionen ſagte Cu-
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Cuviers Hypotheſe von den getrennten Perioden der Erdgeſchichte.
Petrefakten charakteriſirt ſind, und daß dieſe ausgeſtorbenen Organis-
men denjenigen der Gegenwart um ſo aͤhnlicher werden, je weiter wir
in der Schichtenfolge aufwaͤrts ſteigen, d. h. je juͤnger die Periode
der Erdgeſchichte war, in der ſie lebten, ſtarben, und von den abge-
lagerten und erhaͤrtenden Schlammſchichten umſchloſſen wurden.
So wichtig dieſe allgemeine Wahrnehmung Cuviers einerſeits
war, ſo wurde ſie doch andrerſeits fuͤr ihn die Quelle eines folgen-
ſchweren Jrrthums. Denn indem er die charakteriſtiſchen Verſteinerun-
gen jeder einzelnen groͤßeren Schichtengruppe, welche waͤhrend eines
Hauptabſchnitts der Erdgeſchichte abgelagert wurde, fuͤr gaͤnzlich ver-
ſchieden von denen der daruͤber und der darunter liegenden Schichten-
gruppe hielt, indem er irrthuͤmlich glaubte, daß niemals eine und
dieſelbe Thierart in zwei aufeinander folgenden Schichtengruppen ſich
vorfinde, gelangte er zu der falſchen Vorſtellung, welche fuͤr die mei-
ſten nachfolgenden Naturforſcher maßgebend wurde, daß eine Reihe
von ganz verſchiedenen Schoͤpfungsperioden aufeinander gefolgt ſei,
und daß jede Periode ihre ganz beſondere Thier- und Pflanzenwelt,
eine ihr eigenthuͤmliche, ſpecifiſche Fauna und Flora beſeſſen habe.
Er ſtellte ſich vor, daß die ganze Geſchichte der Erdrinde ſeit der Zeit,
ſeit welcher uͤberhaupt lebende Weſen auf der Erdrinde auftraten, in
eine Anzahl vollkommen getrennter Perioden oder Hauptabſchnitte zer-
falle, und daß die einzelnen Perioden durch eigenthuͤmliche Umwaͤl-
zungen unbekannter Natur, ſogenannte Revolutionen (Kataklysmen
oder Kataſtrophen) von einander geſchieden ſeien. Jede Revolution
hatte zunaͤchſt die vollkommene Vernichtung der damals lebenden
Thier- und Pflanzenwelt zur Folge, und nach ihrer Beendigung fand
eine vollſtaͤndig neue Schoͤpfung der organiſchen Formen ſtatt. Eine
neue Welt von Thieren und Pflanzen, durchweg ſpecifiſch verſchieden
von denen der vorhergehenden Geſchichtsperiode, wurde mit einem
Male in das Leben gerufen, und bevoͤlkerte nun wieder eine Reihe
von Jahrtauſenden hindurch den Erdball, bis ſie ploͤtzlich durch den
Eintritt einer neuen Revolution zu Grunde ging.
Von dem Weſen und den Urſachen dieſer Revolutionen ſagte Cu-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/68>, abgerufen am 21.11.2024.
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