Oken's Vorstellung von den Jnfusorien (Zellentheorie).
Recht, indem er mehr ahnend, als wissend den Satz aussprach: "Alles Organische ist aus Schleim hervorgegangen, ist Nichts als verschieden gestalteter Schleim. Dieser Urschleim ist im Meere im Verfolge der Planeten-Entwickelung aus anorganischer Materie entstanden."
Mit der Urschleimtheorie Oken's, welche wesentlich mit der neuerlichst erst fest begründeten, äußerst wichtigen Protoplasma- theorie zusammenfällt, steht eine andere, eben so großartige Jdee desselben Naturphilosophen in engem Zusammenhang. Oken be- hauptete nämlich schon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere entstehende Urschleim alsbald die Form von mikroskopisch kleinen Bläs- chen annehme, welche er Mile oder Jnfusorien nannte. "Die organische Welt hat zu ihrer Basis eine Unendlichkeit von solchen Bläschen." Die Bläschen entstehen aus den ursprünglichen festflüssi- gen Urschleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derselben sich verdich- tet. Die einfachsten Organismen sind einfache solche Bläschen oder Jnfusorien. Jeder höhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze vollkommnerer Art ist weiter Nichts als "eine Zusammenhäufung (Syn- thesis) von solchen infusorialen Bläschen, die durch verschiedene Com- binationen sich verschieden gestalten und so zu höheren Organismen aufwachsen". Sie brauchen nun wiederum das Wort Bläschen oder Jnfusorium nur durch das Wort Zelle zu ersetzen, um zu einer der größten biologischen Theorien unseres Jahrhunderts, zur Zellen- theorie zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerst vor dreißig Jahren den empirischen Beweis geliefert, daß alle Orga- nismen entweder einfache Zellen oder Zusammenhäufungen (Synthesen) von solchen Zellen sind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach- gewiesen, daß der wesentlichste (und bisweilen der einzige!) Bestand- theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urschleim) ist. Die Eigenschaften, die Oken seinen Jnfusorien zuschreibt, sind eben die Eigenschaften der Zellen, die Eigenschaften der elementaren Jndivi- duen, durch deren Zusammenhäufung, Verbindung und mannichfal- tige Ausbildung der Bau und die Lebenserscheinungen der höheren Organismen allein zu Stande kommen.
Oken’s Vorſtellung von den Jnfuſorien (Zellentheorie).
Recht, indem er mehr ahnend, als wiſſend den Satz ausſprach: „Alles Organiſche iſt aus Schleim hervorgegangen, iſt Nichts als verſchieden geſtalteter Schleim. Dieſer Urſchleim iſt im Meere im Verfolge der Planeten-Entwickelung aus anorganiſcher Materie entſtanden.“
Mit der Urſchleimtheorie Oken’s, welche weſentlich mit der neuerlichſt erſt feſt begruͤndeten, aͤußerſt wichtigen Protoplasma- theorie zuſammenfaͤllt, ſteht eine andere, eben ſo großartige Jdee deſſelben Naturphiloſophen in engem Zuſammenhang. Oken be- hauptete naͤmlich ſchon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere entſtehende Urſchleim alsbald die Form von mikroſkopiſch kleinen Blaͤs- chen annehme, welche er Mile oder Jnfuſorien nannte. „Die organiſche Welt hat zu ihrer Baſis eine Unendlichkeit von ſolchen Blaͤschen.“ Die Blaͤschen entſtehen aus den urſpruͤnglichen feſtfluͤſſi- gen Urſchleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derſelben ſich verdich- tet. Die einfachſten Organismen ſind einfache ſolche Blaͤschen oder Jnfuſorien. Jeder hoͤhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze vollkommnerer Art iſt weiter Nichts als „eine Zuſammenhaͤufung (Syn- theſis) von ſolchen infuſorialen Blaͤschen, die durch verſchiedene Com- binationen ſich verſchieden geſtalten und ſo zu hoͤheren Organismen aufwachſen“. Sie brauchen nun wiederum das Wort Blaͤschen oder Jnfuſorium nur durch das Wort Zelle zu erſetzen, um zu einer der groͤßten biologiſchen Theorien unſeres Jahrhunderts, zur Zellen- theorie zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerſt vor dreißig Jahren den empiriſchen Beweis geliefert, daß alle Orga- nismen entweder einfache Zellen oder Zuſammenhaͤufungen (Syntheſen) von ſolchen Zellen ſind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach- gewieſen, daß der weſentlichſte (und bisweilen der einzige!) Beſtand- theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urſchleim) iſt. Die Eigenſchaften, die Oken ſeinen Jnfuſorien zuſchreibt, ſind eben die Eigenſchaften der Zellen, die Eigenſchaften der elementaren Jndivi- duen, durch deren Zuſammenhaͤufung, Verbindung und mannichfal- tige Ausbildung der Bau und die Lebenserſcheinungen der hoͤheren Organismen allein zu Stande kommen.
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Oken’s Vorſtellung von den Jnfuſorien (Zellentheorie).
Recht, indem er mehr ahnend, als wiſſend den Satz ausſprach: „Alles
Organiſche iſt aus Schleim hervorgegangen, iſt Nichts als verſchieden
geſtalteter Schleim. Dieſer Urſchleim iſt im Meere im Verfolge der
Planeten-Entwickelung aus anorganiſcher Materie entſtanden.“
Mit der Urſchleimtheorie Oken’s, welche weſentlich mit der
neuerlichſt erſt feſt begruͤndeten, aͤußerſt wichtigen Protoplasma-
theorie zuſammenfaͤllt, ſteht eine andere, eben ſo großartige Jdee
deſſelben Naturphiloſophen in engem Zuſammenhang. Oken be-
hauptete naͤmlich ſchon 1809, daß der durch Urzeugung im Meere
entſtehende Urſchleim alsbald die Form von mikroſkopiſch kleinen Blaͤs-
chen annehme, welche er Mile oder Jnfuſorien nannte. „Die
organiſche Welt hat zu ihrer Baſis eine Unendlichkeit von ſolchen
Blaͤschen.“ Die Blaͤschen entſtehen aus den urſpruͤnglichen feſtfluͤſſi-
gen Urſchleimkugeln dadurch, daß die Peripherie derſelben ſich verdich-
tet. Die einfachſten Organismen ſind einfache ſolche Blaͤschen oder
Jnfuſorien. Jeder hoͤhere Organismus, jedes Thier und jede Pflanze
vollkommnerer Art iſt weiter Nichts als „eine Zuſammenhaͤufung (Syn-
theſis) von ſolchen infuſorialen Blaͤschen, die durch verſchiedene Com-
binationen ſich verſchieden geſtalten und ſo zu hoͤheren Organismen
aufwachſen“. Sie brauchen nun wiederum das Wort Blaͤschen oder
Jnfuſorium nur durch das Wort Zelle zu erſetzen, um zu einer der
groͤßten biologiſchen Theorien unſeres Jahrhunderts, zur Zellen-
theorie zu gelangen. Schleiden und Schwann haben zuerſt
vor dreißig Jahren den empiriſchen Beweis geliefert, daß alle Orga-
nismen entweder einfache Zellen oder Zuſammenhaͤufungen (Syntheſen)
von ſolchen Zellen ſind; und die neuere Protoplasmatheorie hat nach-
gewieſen, daß der weſentlichſte (und bisweilen der einzige!) Beſtand-
theil der echten Zelle das Protoplasma (der Urſchleim) iſt. Die
Eigenſchaften, die Oken ſeinen Jnfuſorien zuſchreibt, ſind eben die
Eigenſchaften der Zellen, die Eigenſchaften der elementaren Jndivi-
duen, durch deren Zuſammenhaͤufung, Verbindung und mannichfal-
tige Ausbildung der Bau und die Lebenserſcheinungen der hoͤheren
Organismen allein zu Stande kommen.
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/99>, abgerufen am 21.11.2024.
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