Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Begründung der Anthropogenie. V. Buches (1891) enthält diejenige Darstellung der Entwickelungs-geschichte des Menschen, welche bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Urkunden-Kenntniß sich dem fernen Ziele der Wahrheit nach meiner persönlichen Auffassung am meisten nähert; ich war dabei stets bemüht, alle drei empirischen Urkunden, die Palä- ontologie, Ontogenie und Morphologie (oder ver- gleichende Anatomie), möglichst gleichmäßig und im Zusammen- hange zu benutzen. Sicher werden die hier gegebenen Descendenz- Hypothesen im Einzelnen durch spätere phylogenetische Forschungen vielfach ergänzt und berichtigt werden; aber eben so sicher steht für mich die Ueberzeugung, daß der dort entworfene Stufengang der menschlichen Stammesgeschichte im Großen und Ganzen der Wahrheit entspricht. Denn die historische Reihenfolge der Wirbelthier-Versteinerungen entspricht vollständig der morphologischen Entwickelungsreihe, welche uns die ver- gleichende Anatomie und Ontogenie enthüllt: auf die silurischen Fische folgen die devonischen Lurchfische, die carbonischen Am- phibien, die permischen Reptilien und die mesozoischen Säuge- thiere; von diesen erscheinen wiederum zunächst in der Trias die niedersten Formen, die Gabelthiere (Monotremen), dann im Jura die Beutelthiere (Marsupialien), und darauf in der Kreide die ältesten Zottenthiere (Placentalien). Von diesen letzteren treten wieder zunächst in der ältesten Tertiär-Zeit (Eocaen) die niedersten Primaten-Ahnen auf, die Halbaffen, darauf (in der Miocän-Zeit) die echten Affen, und zwar von den Catarrhinen zuerst die Hundsaffen (Cynopitheken), später die Menschenaffen (Anthropo- morphen); aus einem Zweige dieser letzteren ist erst während der Pliocän-Zeit der sprachlose Affenmensch entstanden (Pithe- canthropus alalus), und aus diesem endlich der sprechende Mensch. Viel schwieriger und unsicherer als diese Kette unserer Begründung der Anthropogenie. V. Buches (1891) enthält diejenige Darſtellung der Entwickelungs-geſchichte des Menſchen, welche bei dem gegenwärtigen Zuſtande unſerer Urkunden-Kenntniß ſich dem fernen Ziele der Wahrheit nach meiner perſönlichen Auffaſſung am meiſten nähert; ich war dabei ſtets bemüht, alle drei empiriſchen Urkunden, die Palä- ontologie, Ontogenie und Morphologie (oder ver- gleichende Anatomie), möglichſt gleichmäßig und im Zuſammen- hange zu benutzen. Sicher werden die hier gegebenen Deſcendenz- Hypotheſen im Einzelnen durch ſpätere phylogenetiſche Forſchungen vielfach ergänzt und berichtigt werden; aber eben ſo ſicher ſteht für mich die Ueberzeugung, daß der dort entworfene Stufengang der menſchlichen Stammesgeſchichte im Großen und Ganzen der Wahrheit entſpricht. Denn die hiſtoriſche Reihenfolge der Wirbelthier-Verſteinerungen entſpricht vollſtändig der morphologiſchen Entwickelungsreihe, welche uns die ver- gleichende Anatomie und Ontogenie enthüllt: auf die ſiluriſchen Fiſche folgen die devoniſchen Lurchfiſche, die carboniſchen Am- phibien, die permiſchen Reptilien und die meſozoiſchen Säuge- thiere; von dieſen erſcheinen wiederum zunächſt in der Trias die niederſten Formen, die Gabelthiere (Monotremen), dann im Jura die Beutelthiere (Marſupialien), und darauf in der Kreide die älteſten Zottenthiere (Placentalien). Von dieſen letzteren treten wieder zunächſt in der älteſten Tertiär-Zeit (Eocaen) die niederſten Primaten-Ahnen auf, die Halbaffen, darauf (in der Miocän-Zeit) die echten Affen, und zwar von den Catarrhinen zuerſt die Hundsaffen (Cynopitheken), ſpäter die Menſchenaffen (Anthropo- morphen); aus einem Zweige dieſer letzteren iſt erſt während der Pliocän-Zeit der ſprachloſe Affenmenſch entſtanden (Pithe- canthropuſ alaluſ), und aus dieſem endlich der ſprechende Menſch. 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Begründung der Anthropogenie. V.
Buches (1891) enthält diejenige Darſtellung der Entwickelungs-
geſchichte des Menſchen, welche bei dem gegenwärtigen Zuſtande
unſerer Urkunden-Kenntniß ſich dem fernen Ziele der Wahrheit
nach meiner perſönlichen Auffaſſung am meiſten nähert; ich war
dabei ſtets bemüht, alle drei empiriſchen Urkunden, die Palä-
ontologie, Ontogenie und Morphologie (oder ver-
gleichende Anatomie), möglichſt gleichmäßig und im Zuſammen-
hange zu benutzen. Sicher werden die hier gegebenen Deſcendenz-
Hypotheſen im Einzelnen durch ſpätere phylogenetiſche Forſchungen
vielfach ergänzt und berichtigt werden; aber eben ſo ſicher ſteht
für mich die Ueberzeugung, daß der dort entworfene Stufengang
der menſchlichen Stammesgeſchichte im Großen und Ganzen der
Wahrheit entſpricht. Denn die hiſtoriſche Reihenfolge
der Wirbelthier-Verſteinerungen entſpricht vollſtändig
der morphologiſchen Entwickelungsreihe, welche uns die ver-
gleichende Anatomie und Ontogenie enthüllt: auf die ſiluriſchen
Fiſche folgen die devoniſchen Lurchfiſche, die carboniſchen Am-
phibien, die permiſchen Reptilien und die meſozoiſchen Säuge-
thiere; von dieſen erſcheinen wiederum zunächſt in der Trias die
niederſten Formen, die Gabelthiere (Monotremen), dann im Jura
die Beutelthiere (Marſupialien), und darauf in der Kreide die
älteſten Zottenthiere (Placentalien). Von dieſen letzteren treten
wieder zunächſt in der älteſten Tertiär-Zeit (Eocaen) die niederſten
Primaten-Ahnen auf, die Halbaffen, darauf (in der Miocän-Zeit)
die echten Affen, und zwar von den Catarrhinen zuerſt die
Hundsaffen (Cynopitheken), ſpäter die Menſchenaffen (Anthropo-
morphen); aus einem Zweige dieſer letzteren iſt erſt während
der Pliocän-Zeit der ſprachloſe Affenmenſch entſtanden (Pithe-
canthropuſ alaluſ), und aus dieſem endlich der ſprechende Menſch.
Viel ſchwieriger und unſicherer als dieſe Kette unſerer
Wirbelthier-Ahnen iſt diejenige der vorhergehenden wirbel-
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