Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.VI. Psychologischer Monismus. zusammenfaßte, ist diejenige über "Die Einheitsbestrebungen inder wissenschaftlichen Medicin" (1849). Es geschah gewiß mit Bedacht und mit der Ueberzeugung ihres philosophischen Werthes, daß Virchow 1856 dieses "medicinische Glaubens-Bekenntniß" an die Spitze seiner "Gesammelten Abhandlungen zur wissen- schaftlichen Medicin" stellte. Er vertritt darin ebenso klar als bestimmt die fundamentalen Principien unseres heutigen Mo- nismus, wie ich sie hier mit Bezug auf die Lösung der "Welträthsel" darstelle; er vertheidigt die alleinige Berechtigung der Erfahrungs-Wissenschaft, deren einzige zuverlässige Quellen Sinnesthätigkeit und Gehirn-Funktion sind; er bekämpft ebenso entschieden den anthropologischen Dualismus, jede sogenannte Offenbarung und jede "Transscendenz" mit ihren zwei Wegen: "Glauben und Anthromorphismus". Vor Allem betont er den monistischen Charakter der Anthropologie, den untrennbaren Zu- sammenhang von Geist und Körper, von Kraft und Materie; am Schlusse seines Vorworts spricht er (S. 4) den Satz aus: "Ich habe die Ueberzeugung, daß ich mich niemals in der Lage befinden werde, den Satz von der Einheit des mensch- lichen Wesens und seine Konsequenzen zu verleugnen." Leider war diese "Ueberzeugung" ein schwerer Irrthum; denn 28 Jahre später vertrat Virchow ganz entgegengesetzte principielle An- schauungen; es geschah dies in jener vielbesprochenen Rede über "Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staate", die er 1877 auf der Naturforscher-Versammlung in München hielt, und deren Angriffe ich in meiner Schrift "Freie Wissenschaft und freie Lehre" (1878) zurückgewiesen habe. Aehnliche Widersprüche in Bezug auf die wichtigsten philo- VI. Pſychologiſcher Monismus. zuſammenfaßte, iſt diejenige über „Die Einheitsbeſtrebungen inder wiſſenſchaftlichen Medicin“ (1849). Es geſchah gewiß mit Bedacht und mit der Ueberzeugung ihres philoſophiſchen Werthes, daß Virchow 1856 dieſes „mediciniſche Glaubens-Bekenntniß“ an die Spitze ſeiner „Geſammelten Abhandlungen zur wiſſen- ſchaftlichen Medicin“ ſtellte. Er vertritt darin ebenſo klar als beſtimmt die fundamentalen Principien unſeres heutigen Mo- nismus, wie ich ſie hier mit Bezug auf die Löſung der „Welträthſel“ darſtelle; er vertheidigt die alleinige Berechtigung der Erfahrungs-Wiſſenſchaft, deren einzige zuverläſſige Quellen Sinnesthätigkeit und Gehirn-Funktion ſind; er bekämpft ebenſo entſchieden den anthropologiſchen Dualismus, jede ſogenannte Offenbarung und jede „Transſcendenz“ mit ihren zwei Wegen: „Glauben und Anthromorphismus“. Vor Allem betont er den moniſtiſchen Charakter der Anthropologie, den untrennbaren Zu- ſammenhang von Geiſt und Körper, von Kraft und Materie; am Schluſſe ſeines Vorworts ſpricht er (S. 4) den Satz aus: „Ich habe die Ueberzeugung, daß ich mich niemals in der Lage befinden werde, den Satz von der Einheit des menſch- lichen Weſens und ſeine Konſequenzen zu verleugnen.“ Leider war dieſe „Ueberzeugung“ ein ſchwerer Irrthum; denn 28 Jahre ſpäter vertrat Virchow ganz entgegengeſetzte principielle An- ſchauungen; es geſchah dies in jener vielbeſprochenen Rede über „Die Freiheit der Wiſſenſchaft im modernen Staate“, die er 1877 auf der Naturforſcher-Verſammlung in München hielt, und deren Angriffe ich in meiner Schrift „Freie Wiſſenſchaft und freie Lehre“ (1878) zurückgewieſen habe. 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VI. Pſychologiſcher Monismus.
zuſammenfaßte, iſt diejenige über „Die Einheitsbeſtrebungen in
der wiſſenſchaftlichen Medicin“ (1849). Es geſchah gewiß mit
Bedacht und mit der Ueberzeugung ihres philoſophiſchen Werthes,
daß Virchow 1856 dieſes „mediciniſche Glaubens-Bekenntniß“
an die Spitze ſeiner „Geſammelten Abhandlungen zur wiſſen-
ſchaftlichen Medicin“ ſtellte. Er vertritt darin ebenſo klar als
beſtimmt die fundamentalen Principien unſeres heutigen Mo-
nismus, wie ich ſie hier mit Bezug auf die Löſung der
„Welträthſel“ darſtelle; er vertheidigt die alleinige Berechtigung
der Erfahrungs-Wiſſenſchaft, deren einzige zuverläſſige Quellen
Sinnesthätigkeit und Gehirn-Funktion ſind; er bekämpft ebenſo
entſchieden den anthropologiſchen Dualismus, jede ſogenannte
Offenbarung und jede „Transſcendenz“ mit ihren zwei Wegen:
„Glauben und Anthromorphismus“. Vor Allem betont er den
moniſtiſchen Charakter der Anthropologie, den untrennbaren Zu-
ſammenhang von Geiſt und Körper, von Kraft und Materie;
am Schluſſe ſeines Vorworts ſpricht er (S. 4) den Satz aus:
„Ich habe die Ueberzeugung, daß ich mich niemals in der Lage
befinden werde, den Satz von der Einheit des menſch-
lichen Weſens und ſeine Konſequenzen zu verleugnen.“ Leider
war dieſe „Ueberzeugung“ ein ſchwerer Irrthum; denn 28 Jahre
ſpäter vertrat Virchow ganz entgegengeſetzte principielle An-
ſchauungen; es geſchah dies in jener vielbeſprochenen Rede über
„Die Freiheit der Wiſſenſchaft im modernen Staate“, die er
1877 auf der Naturforſcher-Verſammlung in München hielt, und
deren Angriffe ich in meiner Schrift „Freie Wiſſenſchaft und
freie Lehre“ (1878) zurückgewieſen habe.
Aehnliche Widerſprüche in Bezug auf die wichtigſten philo-
ſophiſchen Grundſätze wie Virchow hat auch Emil Du
Bois-Reymond gezeigt und damit den lauten Beifall der
dualiſtiſchen Schulen und vor Allem der Eccleſia militanſ er-
rungen. Je mehr dieſer berühmte Rhetor der Berliner Akademie
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