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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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X. Neurologische Theorie des Bewußtseins.
ihr Dogma von der Unsterblichkeit der Seele und ihrer Unab-
hängigkeit vom Körper durch die cartesianische Theorie der
Menschenseele unwiderleglich begründet sei. Diese Ansicht ist
auch heute noch im Lager der Theologen und der dualistischen
Metaphysiker die herrschende. Die naturwissenschaftliche An-
schauung des 19. Jahrhunderts hat sie mit Hilfe der empirischen
Fortschritte im Gebiete der physiologischen und vergleichenden
Psychologie völlig überwunden.

II. Neurologische Theorie des Bewußtseins: es kommt
nur dem Menschen und jenen höheren Thieren zu,

welche ein centralisirtes Nerven-System und Sinnesorgane be-
sitzen. Die Ueberzeugung, daß ein großer Theil der Thiere --
zum mindesten die höheren Säugethiere -- ebenso eine denkende
Seele und also auch Bewußtsein besitzt, wie der Mensch, be-
herrscht die Kreise der modernen Zoologie, der exakten Physiologie
und der monistischen Psychologie. Die großartigen Fortschritte
der Neuzeit in mehreren Gebieten der Biologie haben uns über-
einstimmend zu der Anerkennung dieser bedeutungsvollen Er-
kenntniß geführt. Wir beschränken uns bei ihrer Würdigung
zunächst auf die höheren Wirbelthiere und vor Allem die
Säugethiere. Daß die intelligentesten Vertreter dieser höchst
entwickelten Vertebraten -- Allen voran die Affen und Hunde --
in ihrer gesammten Seelenthätigkeit sich dem Menschen höchst
ähnlich verhalten, ist seit Jahrtausenden bekannt und bewundert.
Ihre Vorstellungs- und Sinnes-Thätigkeit, ihr Empfinden und
Begehren ist dem menschlichen so ähnlich, daß wir keine Beweise
dafür anzuführen brauchen. Aber auch die höhere Associons-
Thätigkeit ihres Gehirns, die Bildung von Urtheilen und deren
Verbindung zu Schlüssen, das Denken und das Bewußtsein im
engeren Sinne, sind bei ihnen ähnlich entwickelt wie beim
Menschen -- nur dem Grade, nicht der Art nach davon ver-
schieden. Ueberdies lehrt uns die vergleichende Anatomie und

X. Neurologiſche Theorie des Bewußtſeins.
ihr Dogma von der Unſterblichkeit der Seele und ihrer Unab-
hängigkeit vom Körper durch die carteſianiſche Theorie der
Menſchenſeele unwiderleglich begründet ſei. Dieſe Anſicht iſt
auch heute noch im Lager der Theologen und der dualiſtiſchen
Metaphyſiker die herrſchende. Die naturwiſſenſchaftliche An-
ſchauung des 19. Jahrhunderts hat ſie mit Hilfe der empiriſchen
Fortſchritte im Gebiete der phyſiologiſchen und vergleichenden
Pſychologie völlig überwunden.

II. Neurologiſche Theorie des Bewußtſeins: es kommt
nur dem Menſchen und jenen höheren Thieren zu,

welche ein centraliſirtes Nerven-Syſtem und Sinnesorgane be-
ſitzen. Die Ueberzeugung, daß ein großer Theil der Thiere —
zum mindeſten die höheren Säugethiere — ebenſo eine denkende
Seele und alſo auch Bewußtſein beſitzt, wie der Menſch, be-
herrſcht die Kreiſe der modernen Zoologie, der exakten Phyſiologie
und der moniſtiſchen Pſychologie. Die großartigen Fortſchritte
der Neuzeit in mehreren Gebieten der Biologie haben uns über-
einſtimmend zu der Anerkennung dieſer bedeutungsvollen Er-
kenntniß geführt. Wir beſchränken uns bei ihrer Würdigung
zunächſt auf die höheren Wirbelthiere und vor Allem die
Säugethiere. Daß die intelligenteſten Vertreter dieſer höchſt
entwickelten Vertebraten — Allen voran die Affen und Hunde —
in ihrer geſammten Seelenthätigkeit ſich dem Menſchen höchſt
ähnlich verhalten, iſt ſeit Jahrtauſenden bekannt und bewundert.
Ihre Vorſtellungs- und Sinnes-Thätigkeit, ihr Empfinden und
Begehren iſt dem menſchlichen ſo ähnlich, daß wir keine Beweiſe
dafür anzuführen brauchen. Aber auch die höhere Aſſocions-
Thätigkeit ihres Gehirns, die Bildung von Urtheilen und deren
Verbindung zu Schlüſſen, das Denken und das Bewußtſein im
engeren Sinne, ſind bei ihnen ähnlich entwickelt wie beim
Menſchen — nur dem Grade, nicht der Art nach davon ver-
ſchieden. Ueberdies lehrt uns die vergleichende Anatomie und

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[201/0217] X. Neurologiſche Theorie des Bewußtſeins. ihr Dogma von der Unſterblichkeit der Seele und ihrer Unab- hängigkeit vom Körper durch die carteſianiſche Theorie der Menſchenſeele unwiderleglich begründet ſei. Dieſe Anſicht iſt auch heute noch im Lager der Theologen und der dualiſtiſchen Metaphyſiker die herrſchende. Die naturwiſſenſchaftliche An- ſchauung des 19. Jahrhunderts hat ſie mit Hilfe der empiriſchen Fortſchritte im Gebiete der phyſiologiſchen und vergleichenden Pſychologie völlig überwunden. II. Neurologiſche Theorie des Bewußtſeins: es kommt nur dem Menſchen und jenen höheren Thieren zu, welche ein centraliſirtes Nerven-Syſtem und Sinnesorgane be- ſitzen. Die Ueberzeugung, daß ein großer Theil der Thiere — zum mindeſten die höheren Säugethiere — ebenſo eine denkende Seele und alſo auch Bewußtſein beſitzt, wie der Menſch, be- herrſcht die Kreiſe der modernen Zoologie, der exakten Phyſiologie und der moniſtiſchen Pſychologie. Die großartigen Fortſchritte der Neuzeit in mehreren Gebieten der Biologie haben uns über- einſtimmend zu der Anerkennung dieſer bedeutungsvollen Er- kenntniß geführt. Wir beſchränken uns bei ihrer Würdigung zunächſt auf die höheren Wirbelthiere und vor Allem die Säugethiere. Daß die intelligenteſten Vertreter dieſer höchſt entwickelten Vertebraten — Allen voran die Affen und Hunde — in ihrer geſammten Seelenthätigkeit ſich dem Menſchen höchſt ähnlich verhalten, iſt ſeit Jahrtauſenden bekannt und bewundert. Ihre Vorſtellungs- und Sinnes-Thätigkeit, ihr Empfinden und Begehren iſt dem menſchlichen ſo ähnlich, daß wir keine Beweiſe dafür anzuführen brauchen. Aber auch die höhere Aſſocions- Thätigkeit ihres Gehirns, die Bildung von Urtheilen und deren Verbindung zu Schlüſſen, das Denken und das Bewußtſein im engeren Sinne, ſind bei ihnen ähnlich entwickelt wie beim Menſchen — nur dem Grade, nicht der Art nach davon ver- ſchieden. Ueberdies lehrt uns die vergleichende Anatomie und

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/217>, abgerufen am 21.11.2024.