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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Flüssige und feste Seelen. XI.
wurde dann dieser "lebendige Odem" mit der "Lebenskraft"
identificirt und zuletzt als das Wesen der Seele selbst angesehen
oder in engerem Sinne als deren höchste Aeußerung, der "Geist".
Davon leitete dann weiterhin wieder die Phantasie die mystische
Vorstellung der individuellen Geister ab, der "Gespenster"
("Spirits"); auch diese werden ja heute noch meistens als "luft-
förmige Wesen" -- aber begabt mit den physiologischen Funktionen
des Organismus! -- vorgestellt; in manchen berühmten Spiri-
tisten-Kreisen werden dieselben freilich trotzdem photographirt!

Flüssige und feste Seele. Der Experimental-Physik ist
es in den letzten Decennien unseres Jahrhunderts gelungen, alle
gasförmigen Körper in den tropfbar-flüssigen -- und die meisten
auch in den festen -- Aggregat-Zustand überzuführen. Es bedarf
dazu weiter nichts als geeigneter Apparate, welche unter sehr
hohem Druck und bei sehr niederer Temperatur die Gase sehr
stark komprimiren. Nicht allein die luftförmigen Elemente,
Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, sondern auch zusammengesetzte
Gase (Kohlensäure) und Gas-Gemenge (atmosphärische Luft)
sind so aus dem luftförmigen in den flüssigen Zustand versetzt
worden. Dadurch sind aber jene unsichtbaren Körper für
Jedermann sichtbar und in gewissem Sinne "handgreiflich"
geworden. Mit dieser Aenderung der Dichtigkeit ist der mystische
Nimbus verschwunden, welcher früher das Wesen der Gase in
der gemeinen Anschauung verschleierte, als unsichtbare Körper,
die doch sichtbare Wirkungen ausüben. Wenn nun die Seelen-
Substanz wirklich, wie viele "Gebildete" noch heute glauben,
gasförmig wäre, so müßte man auch im Stande sein, sie durch
Anwendung von hohem Druck und sehr niederer Temperatur in
den flüssigen Zustand überzuführen. Man könnte dann die Seele,
welche im Momente des Todes "ausgehaucht" wird, auffangen,
unter sehr hohem Druck bei niederer Temperatur kondensiren
und in einer Glasflasche als "unsterbliche Flüssigkeit"

Flüſſige und feſte Seelen. XI.
wurde dann dieſer „lebendige Odem“ mit der „Lebenskraft“
identificirt und zuletzt als das Weſen der Seele ſelbſt angeſehen
oder in engerem Sinne als deren höchſte Aeußerung, der „Geiſt“.
Davon leitete dann weiterhin wieder die Phantaſie die myſtiſche
Vorſtellung der individuellen Geiſter ab, der „Geſpenſter
(„Spiritſ“); auch dieſe werden ja heute noch meiſtens als „luft-
förmige Weſen“ — aber begabt mit den phyſiologiſchen Funktionen
des Organismus! — vorgeſtellt; in manchen berühmten Spiri-
tiſten-Kreiſen werden dieſelben freilich trotzdem photographirt!

Flüſſige und feſte Seele. Der Experimental-Phyſik iſt
es in den letzten Decennien unſeres Jahrhunderts gelungen, alle
gasförmigen Körper in den tropfbar-flüſſigen — und die meiſten
auch in den feſten — Aggregat-Zuſtand überzuführen. Es bedarf
dazu weiter nichts als geeigneter Apparate, welche unter ſehr
hohem Druck und bei ſehr niederer Temperatur die Gaſe ſehr
ſtark komprimiren. Nicht allein die luftförmigen Elemente,
Sauerſtoff, Waſſerſtoff, Stickſtoff, ſondern auch zuſammengeſetzte
Gaſe (Kohlenſäure) und Gas-Gemenge (atmoſphäriſche Luft)
ſind ſo aus dem luftförmigen in den flüſſigen Zuſtand verſetzt
worden. Dadurch ſind aber jene unſichtbaren Körper für
Jedermann ſichtbar und in gewiſſem Sinne „handgreiflich“
geworden. Mit dieſer Aenderung der Dichtigkeit iſt der myſtiſche
Nimbus verſchwunden, welcher früher das Weſen der Gaſe in
der gemeinen Anſchauung verſchleierte, als unſichtbare Körper,
die doch ſichtbare Wirkungen ausüben. Wenn nun die Seelen-
Subſtanz wirklich, wie viele „Gebildete“ noch heute glauben,
gasförmig wäre, ſo müßte man auch im Stande ſein, ſie durch
Anwendung von hohem Druck und ſehr niederer Temperatur in
den flüſſigen Zuſtand überzuführen. Man könnte dann die Seele,
welche im Momente des Todes „ausgehaucht“ wird, auffangen,
unter ſehr hohem Druck bei niederer Temperatur kondenſiren
und in einer Glasflaſche als „unſterbliche Flüſſigkeit

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[232/0248] Flüſſige und feſte Seelen. XI. wurde dann dieſer „lebendige Odem“ mit der „Lebenskraft“ identificirt und zuletzt als das Weſen der Seele ſelbſt angeſehen oder in engerem Sinne als deren höchſte Aeußerung, der „Geiſt“. Davon leitete dann weiterhin wieder die Phantaſie die myſtiſche Vorſtellung der individuellen Geiſter ab, der „Geſpenſter“ („Spiritſ“); auch dieſe werden ja heute noch meiſtens als „luft- förmige Weſen“ — aber begabt mit den phyſiologiſchen Funktionen des Organismus! — vorgeſtellt; in manchen berühmten Spiri- tiſten-Kreiſen werden dieſelben freilich trotzdem photographirt! Flüſſige und feſte Seele. Der Experimental-Phyſik iſt es in den letzten Decennien unſeres Jahrhunderts gelungen, alle gasförmigen Körper in den tropfbar-flüſſigen — und die meiſten auch in den feſten — Aggregat-Zuſtand überzuführen. Es bedarf dazu weiter nichts als geeigneter Apparate, welche unter ſehr hohem Druck und bei ſehr niederer Temperatur die Gaſe ſehr ſtark komprimiren. Nicht allein die luftförmigen Elemente, Sauerſtoff, Waſſerſtoff, Stickſtoff, ſondern auch zuſammengeſetzte Gaſe (Kohlenſäure) und Gas-Gemenge (atmoſphäriſche Luft) ſind ſo aus dem luftförmigen in den flüſſigen Zuſtand verſetzt worden. Dadurch ſind aber jene unſichtbaren Körper für Jedermann ſichtbar und in gewiſſem Sinne „handgreiflich“ geworden. Mit dieſer Aenderung der Dichtigkeit iſt der myſtiſche Nimbus verſchwunden, welcher früher das Weſen der Gaſe in der gemeinen Anſchauung verſchleierte, als unſichtbare Körper, die doch ſichtbare Wirkungen ausüben. Wenn nun die Seelen- Subſtanz wirklich, wie viele „Gebildete“ noch heute glauben, gasförmig wäre, ſo müßte man auch im Stande ſein, ſie durch Anwendung von hohem Druck und ſehr niederer Temperatur in den flüſſigen Zuſtand überzuführen. Man könnte dann die Seele, welche im Momente des Todes „ausgehaucht“ wird, auffangen, unter ſehr hohem Druck bei niederer Temperatur kondenſiren und in einer Glasflaſche als „unſterbliche Flüſſigkeit“

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/248>, abgerufen am 24.11.2024.