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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XII. Dualistische Substanz-Theorie.
wirkung durch den leeren Raum; alle Wirkung der Körpermassen
auf einander ist entweder durch unmittelbare Berührung, durch
Kontakt der Massen bedingt, oder sie wird durch den Aether
vermittelt.

Der dualistische Substanz-Begriff. Die beiden Substanz-
Theorien, die wir vorstehend einander gegenüber gestellt haben,
sind beide im Princip monistisch, da der Gegensatz zwischen
den beiden Hauptbestandtheilen der Substanz, Masse und Aether,
kein ursprünglicher ist; auch muß eine beständige direkte Be-
rührung und Wechselwirkung beider Substanzen auf einander
angenommen werden. Ganz anders verhält es sich mit den
dualistischen Substanz-Theorien, welche noch heute in der
idealistischen und spiritualistischen Philosophie herrschend sind;
diese werden auch von der einflußreichen Theologie gestützt, soweit
sich dieselbe überhaupt auf solche metaphysische Spekulationen
einläßt. Hiernach sind zwei ganz verschiedene Hauptbestandtheile
der Substanz zu unterscheiden, materielle und immaterielle.
Die materielle Substanz bildet die "Körperwelt", deren
Erforschung Objekt der Physik und Chemie ist; hier allein gilt
das Gesetz von der Erhaltung der Materie und der Energie
(soweit man nicht überhaupt an deren "Erschaffung aus Nichts"
und an andere Wunder glaubt!). Die immaterielle Substanz
hingegen bildet die "Geisteswelt", in welcher jenes Gesetz
nicht gilt; hier gelten die Gesetze der Physik und Chemie ent-
weder gar nicht, oder sie sind der "Lebenskraft" unterworfen,
oder dem "freien Willen", oder der "göttlichen Allmacht", oder
anderen solchen Gespenstern von denen die kritische Wissen-
schaft
nichts weiß. Eigentlich bedürfen diese principiellen
Irrthümer heute keiner Widerlegung mehr; denn die Erfahrung
hat uns bis auf den heutigen Tag keine einzige immaterielle
Substanz
kennen gelehrt, keine einzige Kraft, welche nicht an
den Stoff gebunden ist, keine einzige Form der Energie, welche

XII. Dualiſtiſche Subſtanz-Theorie.
wirkung durch den leeren Raum; alle Wirkung der Körpermaſſen
auf einander iſt entweder durch unmittelbare Berührung, durch
Kontakt der Maſſen bedingt, oder ſie wird durch den Aether
vermittelt.

Der dualiſtiſche Subſtanz-Begriff. Die beiden Subſtanz-
Theorien, die wir vorſtehend einander gegenüber geſtellt haben,
ſind beide im Princip moniſtiſch, da der Gegenſatz zwiſchen
den beiden Hauptbeſtandtheilen der Subſtanz, Maſſe und Aether,
kein urſprünglicher iſt; auch muß eine beſtändige direkte Be-
rührung und Wechſelwirkung beider Subſtanzen auf einander
angenommen werden. Ganz anders verhält es ſich mit den
dualiſtiſchen Subſtanz-Theorien, welche noch heute in der
idealiſtiſchen und ſpiritualiſtiſchen Philoſophie herrſchend ſind;
dieſe werden auch von der einflußreichen Theologie geſtützt, ſoweit
ſich dieſelbe überhaupt auf ſolche metaphyſiſche Spekulationen
einläßt. Hiernach ſind zwei ganz verſchiedene Hauptbeſtandtheile
der Subſtanz zu unterſcheiden, materielle und immaterielle.
Die materielle Subſtanz bildet die „Körperwelt“, deren
Erforſchung Objekt der Phyſik und Chemie iſt; hier allein gilt
das Geſetz von der Erhaltung der Materie und der Energie
(ſoweit man nicht überhaupt an deren „Erſchaffung aus Nichts“
und an andere Wunder glaubt!). Die immaterielle Subſtanz
hingegen bildet die „Geiſteswelt“, in welcher jenes Geſetz
nicht gilt; hier gelten die Geſetze der Phyſik und Chemie ent-
weder gar nicht, oder ſie ſind der „Lebenskraft“ unterworfen,
oder dem „freien Willen“, oder der „göttlichen Allmacht“, oder
anderen ſolchen Geſpenſtern von denen die kritiſche Wiſſen-
ſchaft
nichts weiß. Eigentlich bedürfen dieſe principiellen
Irrthümer heute keiner Widerlegung mehr; denn die Erfahrung
hat uns bis auf den heutigen Tag keine einzige immaterielle
Subſtanz
kennen gelehrt, keine einzige Kraft, welche nicht an
den Stoff gebunden iſt, keine einzige Form der Energie, welche

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[255/0271] XII. Dualiſtiſche Subſtanz-Theorie. wirkung durch den leeren Raum; alle Wirkung der Körpermaſſen auf einander iſt entweder durch unmittelbare Berührung, durch Kontakt der Maſſen bedingt, oder ſie wird durch den Aether vermittelt. Der dualiſtiſche Subſtanz-Begriff. Die beiden Subſtanz- Theorien, die wir vorſtehend einander gegenüber geſtellt haben, ſind beide im Princip moniſtiſch, da der Gegenſatz zwiſchen den beiden Hauptbeſtandtheilen der Subſtanz, Maſſe und Aether, kein urſprünglicher iſt; auch muß eine beſtändige direkte Be- rührung und Wechſelwirkung beider Subſtanzen auf einander angenommen werden. Ganz anders verhält es ſich mit den dualiſtiſchen Subſtanz-Theorien, welche noch heute in der idealiſtiſchen und ſpiritualiſtiſchen Philoſophie herrſchend ſind; dieſe werden auch von der einflußreichen Theologie geſtützt, ſoweit ſich dieſelbe überhaupt auf ſolche metaphyſiſche Spekulationen einläßt. Hiernach ſind zwei ganz verſchiedene Hauptbeſtandtheile der Subſtanz zu unterſcheiden, materielle und immaterielle. Die materielle Subſtanz bildet die „Körperwelt“, deren Erforſchung Objekt der Phyſik und Chemie iſt; hier allein gilt das Geſetz von der Erhaltung der Materie und der Energie (ſoweit man nicht überhaupt an deren „Erſchaffung aus Nichts“ und an andere Wunder glaubt!). Die immaterielle Subſtanz hingegen bildet die „Geiſteswelt“, in welcher jenes Geſetz nicht gilt; hier gelten die Geſetze der Phyſik und Chemie ent- weder gar nicht, oder ſie ſind der „Lebenskraft“ unterworfen, oder dem „freien Willen“, oder der „göttlichen Allmacht“, oder anderen ſolchen Geſpenſtern von denen die kritiſche Wiſſen- ſchaft nichts weiß. Eigentlich bedürfen dieſe principiellen Irrthümer heute keiner Widerlegung mehr; denn die Erfahrung hat uns bis auf den heutigen Tag keine einzige immaterielle Subſtanz kennen gelehrt, keine einzige Kraft, welche nicht an den Stoff gebunden iſt, keine einzige Form der Energie, welche

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/271>, abgerufen am 22.11.2024.