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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Entwickelung des Kosmos. XIII.
Processe bei den Zusammenstößen der rotirenden Weltkörper
erzeugt werden, stellen die neuen lebendigen Kräfte dar, welche
die Bewegung der dabei gebildeten kosmischen Staubmassen und
die Neubildung rotirender Bälle bewirken; das ewige Spiel
beginnt wieder von Neuem. Auch unsere Mutter Erde, die vor
Millionen von Jahrtausenden aus einem Theile des rotirenden
Sonnen-Systems entstanden ist, wird nach Verfluß weiterer
Millionen erstarren und, nachdem ihre Bahn immer kleiner
geworden, in die Sonne stürzen.

Besonders wichtig für die klare Einsicht in den universalen
kosmischen Entwickelungs-Proceß scheinen mir diese modernen
Vorstellungen über periodisch wechselnden Untergang und Neu-
bildung der Weltkörper, die wir den gewaltigen neueren Fort-
schritten der Physik und Astronomie verdanken, in Verbindung
mit dem Substanz-Gesetz. Unsere Mutter "Erde" schrumpft
dabei auf den Werth eines winzigen "Sonnenstäubchens" zu-
sammen, wie deren ungezählte Millionen im unendlichen Welten-
raum umherjagen. Unser eigenes "Menschenwesen", welches
in seinem anthropistischen Größenwahn sich als "Ebenbild Gottes"
verherrlicht, sinkt zur Bedeutung eines placentalen Säugethiers
hinab, welches nicht mehr Werth für das ganze Universum besitzt
als die Ameise und die Eintagsfliege, als das mikroskopische
Infusorium und der winzigste Bacillus. Auch wir Menschen sind
nur vorübergehende Entwickelungs-Zustände der ewigen Substanz,
individuelle Erscheinungsformen der Materie und Energie, deren
Nichtigkeit wir begreifen, wenn wir sie dem unendlichen Raum
und der ewigen Zeit gegenüberstellen.

Raum und Zeit. Seitdem Kant die Begriffe von Raum
und Zeit als bloße "Formen der Anschauung" erklärt hat --
den Raum als Form der äußeren, die Zeit als Form der inneren
Anschauung --, hat sich über diese wichtigen Probleme der
Erkenntniß ein gewaltiger Streit erhoben, der auch heute noch

Entwickelung des Kosmos. XIII.
Proceſſe bei den Zuſammenſtößen der rotirenden Weltkörper
erzeugt werden, ſtellen die neuen lebendigen Kräfte dar, welche
die Bewegung der dabei gebildeten kosmiſchen Staubmaſſen und
die Neubildung rotirender Bälle bewirken; das ewige Spiel
beginnt wieder von Neuem. Auch unſere Mutter Erde, die vor
Millionen von Jahrtauſenden aus einem Theile des rotirenden
Sonnen-Syſtems entſtanden iſt, wird nach Verfluß weiterer
Millionen erſtarren und, nachdem ihre Bahn immer kleiner
geworden, in die Sonne ſtürzen.

Beſonders wichtig für die klare Einſicht in den univerſalen
kosmiſchen Entwickelungs-Proceß ſcheinen mir dieſe modernen
Vorſtellungen über periodiſch wechſelnden Untergang und Neu-
bildung der Weltkörper, die wir den gewaltigen neueren Fort-
ſchritten der Phyſik und Aſtronomie verdanken, in Verbindung
mit dem Subſtanz-Geſetz. Unſere Mutter „Erde“ ſchrumpft
dabei auf den Werth eines winzigen „Sonnenſtäubchens“ zu-
ſammen, wie deren ungezählte Millionen im unendlichen Welten-
raum umherjagen. Unſer eigenes „Menſchenweſen“, welches
in ſeinem anthropiſtiſchen Größenwahn ſich als „Ebenbild Gottes“
verherrlicht, ſinkt zur Bedeutung eines placentalen Säugethiers
hinab, welches nicht mehr Werth für das ganze Univerſum beſitzt
als die Ameiſe und die Eintagsfliege, als das mikroſkopiſche
Infuſorium und der winzigſte Bacillus. Auch wir Menſchen ſind
nur vorübergehende Entwickelungs-Zuſtände der ewigen Subſtanz,
individuelle Erſcheinungsformen der Materie und Energie, deren
Nichtigkeit wir begreifen, wenn wir ſie dem unendlichen Raum
und der ewigen Zeit gegenüberſtellen.

Raum und Zeit. Seitdem Kant die Begriffe von Raum
und Zeit als bloße „Formen der Anſchauung“ erklärt hat —
den Raum als Form der äußeren, die Zeit als Form der inneren
Anſchauung —, hat ſich über dieſe wichtigen Probleme der
Erkenntniß ein gewaltiger Streit erhoben, der auch heute noch

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[282/0298] Entwickelung des Kosmos. XIII. Proceſſe bei den Zuſammenſtößen der rotirenden Weltkörper erzeugt werden, ſtellen die neuen lebendigen Kräfte dar, welche die Bewegung der dabei gebildeten kosmiſchen Staubmaſſen und die Neubildung rotirender Bälle bewirken; das ewige Spiel beginnt wieder von Neuem. Auch unſere Mutter Erde, die vor Millionen von Jahrtauſenden aus einem Theile des rotirenden Sonnen-Syſtems entſtanden iſt, wird nach Verfluß weiterer Millionen erſtarren und, nachdem ihre Bahn immer kleiner geworden, in die Sonne ſtürzen. Beſonders wichtig für die klare Einſicht in den univerſalen kosmiſchen Entwickelungs-Proceß ſcheinen mir dieſe modernen Vorſtellungen über periodiſch wechſelnden Untergang und Neu- bildung der Weltkörper, die wir den gewaltigen neueren Fort- ſchritten der Phyſik und Aſtronomie verdanken, in Verbindung mit dem Subſtanz-Geſetz. Unſere Mutter „Erde“ ſchrumpft dabei auf den Werth eines winzigen „Sonnenſtäubchens“ zu- ſammen, wie deren ungezählte Millionen im unendlichen Welten- raum umherjagen. Unſer eigenes „Menſchenweſen“, welches in ſeinem anthropiſtiſchen Größenwahn ſich als „Ebenbild Gottes“ verherrlicht, ſinkt zur Bedeutung eines placentalen Säugethiers hinab, welches nicht mehr Werth für das ganze Univerſum beſitzt als die Ameiſe und die Eintagsfliege, als das mikroſkopiſche Infuſorium und der winzigſte Bacillus. Auch wir Menſchen ſind nur vorübergehende Entwickelungs-Zuſtände der ewigen Subſtanz, individuelle Erſcheinungsformen der Materie und Energie, deren Nichtigkeit wir begreifen, wenn wir ſie dem unendlichen Raum und der ewigen Zeit gegenüberſtellen. Raum und Zeit. Seitdem Kant die Begriffe von Raum und Zeit als bloße „Formen der Anſchauung“ erklärt hat — den Raum als Form der äußeren, die Zeit als Form der inneren Anſchauung —, hat ſich über dieſe wichtigen Probleme der Erkenntniß ein gewaltiger Streit erhoben, der auch heute noch

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/298>, abgerufen am 22.11.2024.