Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Zielstrebigkeit der Entwickelung. XIV. der weitschauende Lamarck schon 1809 den Weg zu derselbengezeigt hatte. Ihre spätere Begründung durch Darwin (1859) vermochte der gealterte Baer nicht mehr zu verstehen; der nutz- lose Kampf, den er gegen dessen Selektions-Theorie führte, zeigt klar, daß er weder deren eigentlichen Sinn noch ihre philo- sophische Bedeutung erkannte. Teleologische und später damit verknüpfte theosophische Spekulationen hatten den alten Baer unfähig gemacht, diese größte Reform der Biologie gerecht zu würdigen; die teleologischen Betrachtungen, welche er gegen sie in seinen "Reden und Studien" (1876) als 84jähriger Greis ins Feld führte, sind nur Wiederholungen von ähnlichen Irr- thümern, wie sie die Zweckmäßigkeits-Lehre der dualistischen Philosophie seit mehr als zweitausend Jahren gegen die mechanistische oder monistische Weltanschauung aufgestellt hatte. Der "zielstrebige Gedanke", welcher nach Baer's Vor- stellung die ganze Entwickelung des Thierkörpers aus der Eizelle bedingt, ist nur ein anderer Ausdruck für die ewige "Idee" von Plato und für die, "Entelechie" seines Schülers Aristoteles. Unsere moderne Biogenie erklärt dagegen die embryologischen Zielſtrebigkeit der Entwickelung. XIV. der weitſchauende Lamarck ſchon 1809 den Weg zu derſelbengezeigt hatte. Ihre ſpätere Begründung durch Darwin (1859) vermochte der gealterte Baer nicht mehr zu verſtehen; der nutz- loſe Kampf, den er gegen deſſen Selektions-Theorie führte, zeigt klar, daß er weder deren eigentlichen Sinn noch ihre philo- ſophiſche Bedeutung erkannte. Teleologiſche und ſpäter damit verknüpfte theoſophiſche Spekulationen hatten den alten Baer unfähig gemacht, dieſe größte Reform der Biologie gerecht zu würdigen; die teleologiſchen Betrachtungen, welche er gegen ſie in ſeinen „Reden und Studien“ (1876) als 84jähriger Greis ins Feld führte, ſind nur Wiederholungen von ähnlichen Irr- thümern, wie ſie die Zweckmäßigkeits-Lehre der dualiſtiſchen Philoſophie ſeit mehr als zweitauſend Jahren gegen die mechaniſtiſche oder moniſtiſche Weltanſchauung aufgeſtellt hatte. Der „zielſtrebige Gedanke“, welcher nach Baer's Vor- ſtellung die ganze Entwickelung des Thierkörpers aus der Eizelle bedingt, iſt nur ein anderer Ausdruck für die ewige „Idee“ von Plato und für die, „Entelechie“ ſeines Schülers Ariſtoteles. Unſere moderne Biogenie erklärt dagegen die embryologiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0326" n="310"/><fw place="top" type="header">Zielſtrebigkeit der Entwickelung. <hi rendition="#aq">XIV.</hi></fw><lb/> der weitſchauende <hi rendition="#g">Lamarck</hi> ſchon 1809 den Weg zu derſelben<lb/> gezeigt hatte. Ihre ſpätere Begründung durch <hi rendition="#g">Darwin</hi> (1859)<lb/> vermochte der gealterte <hi rendition="#g">Baer</hi> nicht mehr zu verſtehen; der nutz-<lb/> loſe Kampf, den er gegen deſſen Selektions-Theorie führte, zeigt<lb/> klar, daß er weder deren eigentlichen Sinn noch ihre philo-<lb/> ſophiſche Bedeutung erkannte. Teleologiſche und ſpäter damit<lb/> verknüpfte theoſophiſche Spekulationen hatten den alten <hi rendition="#g">Baer</hi><lb/> unfähig gemacht, dieſe größte Reform der Biologie gerecht<lb/> zu würdigen; die teleologiſchen Betrachtungen, welche er gegen ſie<lb/> in ſeinen „Reden und Studien“ (1876) als 84jähriger Greis<lb/> ins Feld führte, ſind nur Wiederholungen von ähnlichen Irr-<lb/> thümern, wie ſie die Zweckmäßigkeits-Lehre der dualiſtiſchen<lb/> Philoſophie ſeit mehr als zweitauſend Jahren gegen die<lb/> mechaniſtiſche oder moniſtiſche Weltanſchauung aufgeſtellt hatte.<lb/> Der „<hi rendition="#g">zielſtrebige Gedanke</hi>“, welcher nach <hi rendition="#g">Baer's</hi> Vor-<lb/> ſtellung die ganze Entwickelung des Thierkörpers aus der Eizelle<lb/> bedingt, iſt nur ein anderer Ausdruck für die ewige „<hi rendition="#g">Idee</hi>“ von<lb/><hi rendition="#g">Plato</hi> und für die, „Entelechie“ ſeines Schülers <hi rendition="#g">Ariſtoteles</hi>.</p><lb/> <p>Unſere moderne Biogenie erklärt dagegen die embryologiſchen<lb/> Thatſachen rein phyſiologiſch, indem ſie als bewirkende mecha-<lb/> niſche Urſachen derſelben die Funktionen der Vererbung und<lb/> Anpaſſung erkennt. Das <hi rendition="#g">biogenetiſche Grundgeſetz</hi>, für<lb/> welches <hi rendition="#g">Baer</hi> kein Verſtändnis gewinnen konnte, eröffnet uns<lb/> den innigen kauſalen Zuſammenhang zwiſchen der <hi rendition="#g">Ontogeneſe</hi><lb/> der Individuen und der <hi rendition="#g">Phylogeneſe</hi> ihrer Vorfahren;<lb/> die erſtere erſcheint uns jetzt als eine erbliche Rekapitulation<lb/> der letzteren. Nun können wir aber in der Stammesgeſchichte<lb/> der Thiere und Pflanzen nirgends eine Zielſtrebigkeit erkennen,<lb/> ſondern lediglich das nothwendige Reſultat des gewaltigen<lb/> Kampfes um's Daſein, der als blinder Regulator, nicht als vor-<lb/> ſehender Gott, die Umbildung der organiſchen Formen durch<lb/> Wechſelwirkung der Anpaſſungs- und Vererbungsgeſetze bewirkt.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0326]
Zielſtrebigkeit der Entwickelung. XIV.
der weitſchauende Lamarck ſchon 1809 den Weg zu derſelben
gezeigt hatte. Ihre ſpätere Begründung durch Darwin (1859)
vermochte der gealterte Baer nicht mehr zu verſtehen; der nutz-
loſe Kampf, den er gegen deſſen Selektions-Theorie führte, zeigt
klar, daß er weder deren eigentlichen Sinn noch ihre philo-
ſophiſche Bedeutung erkannte. Teleologiſche und ſpäter damit
verknüpfte theoſophiſche Spekulationen hatten den alten Baer
unfähig gemacht, dieſe größte Reform der Biologie gerecht
zu würdigen; die teleologiſchen Betrachtungen, welche er gegen ſie
in ſeinen „Reden und Studien“ (1876) als 84jähriger Greis
ins Feld führte, ſind nur Wiederholungen von ähnlichen Irr-
thümern, wie ſie die Zweckmäßigkeits-Lehre der dualiſtiſchen
Philoſophie ſeit mehr als zweitauſend Jahren gegen die
mechaniſtiſche oder moniſtiſche Weltanſchauung aufgeſtellt hatte.
Der „zielſtrebige Gedanke“, welcher nach Baer's Vor-
ſtellung die ganze Entwickelung des Thierkörpers aus der Eizelle
bedingt, iſt nur ein anderer Ausdruck für die ewige „Idee“ von
Plato und für die, „Entelechie“ ſeines Schülers Ariſtoteles.
Unſere moderne Biogenie erklärt dagegen die embryologiſchen
Thatſachen rein phyſiologiſch, indem ſie als bewirkende mecha-
niſche Urſachen derſelben die Funktionen der Vererbung und
Anpaſſung erkennt. Das biogenetiſche Grundgeſetz, für
welches Baer kein Verſtändnis gewinnen konnte, eröffnet uns
den innigen kauſalen Zuſammenhang zwiſchen der Ontogeneſe
der Individuen und der Phylogeneſe ihrer Vorfahren;
die erſtere erſcheint uns jetzt als eine erbliche Rekapitulation
der letzteren. Nun können wir aber in der Stammesgeſchichte
der Thiere und Pflanzen nirgends eine Zielſtrebigkeit erkennen,
ſondern lediglich das nothwendige Reſultat des gewaltigen
Kampfes um's Daſein, der als blinder Regulator, nicht als vor-
ſehender Gott, die Umbildung der organiſchen Formen durch
Wechſelwirkung der Anpaſſungs- und Vererbungsgeſetze bewirkt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |