Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Zahl der Welträthsel. I.
fortschreitet und die Wissenschaft sich entwickelt, desto mehr wird
ihre Zahl beschränkt. Die monistische Philosophie wird
schließlich nur ein einziges, allumfassendes Welträthsel anerkennen,
das "Substanz-Problem". Immerhin kann es aber zweck-
mäßig erscheinen, auch eine gewisse Zahl von schwierigsten Pro-
blemen mit jenem Namen zu bezeichnen. In der berühmten Rede,
welche Emil du Bois-Reymond 1880 in der Leibniz-
Sitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften hielt, unter-
scheidet er "Sieben Welträthsel" und führt dieselben in nach-
stehender Reihenfolge auf: I. das Wesen von Materie und Kraft,
II. der Ursprung der Bewegung, III. die erste Entstehung des
Lebens IV. die (anscheinend absichtsvoll) zweckmäßige Einrichtung
der Natur, V. das Entstehen der einfachen Sinnesempfindung und
des Bewußtseins, VI. das vernünftige Denken und der Ursprung
der damit eng verbundenen Sprache, VII. die Frage nach der
Willens-Freiheit. Von diesen sieben Welträthseln erklärt der
Rhetor der Berliner Akademie drei für ganz transcendent und
unlösbar (das erste, zweite und fünfte); drei andere hält er
zwar für schwierig, aber für lösbar (das dritte, vierte und
sechste); bezüglich des siebenten und letzten "Welträthsels", wel-
ches praktisch das wichtigste ist, nämlich der Willensfreiheit, ver-
hält er sich unentschieden.

Da mein Monismus sich von demjenigen des Berliner
Rhetors wesentlich unterscheidet, da aber anderseits seine Auf-
fassung der "sieben Welträthsel" großen Beifall in weiten Kreisen
gefunden hat, halte ich es für zweckmäßig, gleich hier von vorn-
herein zu denselben klare Stellung zu nehmen. Nach meiner
Ansicht werden die drei "transcendenten" Räthsel (I, II, V)
durch unsere Auffassung der Substanz erledigt (Kapitel 12);
die drei anderen, schwierigen, aber lösbaren Probleme (III, IV,
VI
) sind durch unsere moderne Entwicklungslehre endgültig
gelöst; das siebente und letzte Welträthsel, die Willensfreiheit,

Zahl der Welträthſel. I.
fortſchreitet und die Wiſſenſchaft ſich entwickelt, deſto mehr wird
ihre Zahl beſchränkt. Die moniſtiſche Philoſophie wird
ſchließlich nur ein einziges, allumfaſſendes Welträthſel anerkennen,
das „Subſtanz-Problem“. Immerhin kann es aber zweck-
mäßig erſcheinen, auch eine gewiſſe Zahl von ſchwierigſten Pro-
blemen mit jenem Namen zu bezeichnen. In der berühmten Rede,
welche Emil du Bois-Reymond 1880 in der Leibniz-
Sitzung der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften hielt, unter-
ſcheidet er „Sieben Welträthſel“ und führt dieſelben in nach-
ſtehender Reihenfolge auf: I. das Weſen von Materie und Kraft,
II. der Urſprung der Bewegung, III. die erſte Entſtehung des
Lebens IV. die (anſcheinend abſichtsvoll) zweckmäßige Einrichtung
der Natur, V. das Entſtehen der einfachen Sinnesempfindung und
des Bewußtſeins, VI. das vernünftige Denken und der Urſprung
der damit eng verbundenen Sprache, VII. die Frage nach der
Willens-Freiheit. Von dieſen ſieben Welträthſeln erklärt der
Rhetor der Berliner Akademie drei für ganz transcendent und
unlösbar (das erſte, zweite und fünfte); drei andere hält er
zwar für ſchwierig, aber für lösbar (das dritte, vierte und
ſechſte); bezüglich des ſiebenten und letzten „Welträthſels“, wel-
ches praktiſch das wichtigſte iſt, nämlich der Willensfreiheit, ver-
hält er ſich unentſchieden.

Da mein Monismus ſich von demjenigen des Berliner
Rhetors weſentlich unterſcheidet, da aber anderſeits ſeine Auf-
faſſung der „ſieben Welträthſel“ großen Beifall in weiten Kreiſen
gefunden hat, halte ich es für zweckmäßig, gleich hier von vorn-
herein zu denſelben klare Stellung zu nehmen. Nach meiner
Anſicht werden die drei „transcendenten“ Räthſel (I, II, V)
durch unſere Auffaſſung der Subſtanz erledigt (Kapitel 12);
die drei anderen, ſchwierigen, aber lösbaren Probleme (III, IV,
VI
) ſind durch unſere moderne Entwicklungslehre endgültig
gelöſt; das ſiebente und letzte Welträthſel, die Willensfreiheit,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="18"/><fw place="top" type="header">Zahl der Welträth&#x017F;el. <hi rendition="#aq">I.</hi></fw><lb/>
fort&#x017F;chreitet und die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich entwickelt, de&#x017F;to mehr wird<lb/>
ihre Zahl be&#x017F;chränkt. Die <hi rendition="#g">moni&#x017F;ti&#x017F;che Philo&#x017F;ophie</hi> wird<lb/>
&#x017F;chließlich nur ein einziges, allumfa&#x017F;&#x017F;endes Welträth&#x017F;el anerkennen,<lb/>
das &#x201E;<hi rendition="#g">Sub&#x017F;tanz-Problem</hi>&#x201C;. Immerhin kann es aber zweck-<lb/>
mäßig er&#x017F;cheinen, auch eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zahl von &#x017F;chwierig&#x017F;ten Pro-<lb/>
blemen mit jenem Namen zu bezeichnen. In der berühmten Rede,<lb/>
welche <hi rendition="#g">Emil du Bois-Reymond</hi> 1880 in der Leibniz-<lb/>
Sitzung der Berliner Akademie der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften hielt, unter-<lb/>
&#x017F;cheidet er &#x201E;<hi rendition="#g">Sieben Welträth&#x017F;el</hi>&#x201C; und führt die&#x017F;elben in nach-<lb/>
&#x017F;tehender Reihenfolge auf: <hi rendition="#aq">I.</hi> das We&#x017F;en von Materie und Kraft,<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> der Ur&#x017F;prung der Bewegung, <hi rendition="#aq">III.</hi> die er&#x017F;te Ent&#x017F;tehung des<lb/>
Lebens <hi rendition="#aq">IV.</hi> die (an&#x017F;cheinend ab&#x017F;ichtsvoll) zweckmäßige Einrichtung<lb/>
der Natur, <hi rendition="#aq">V.</hi> das Ent&#x017F;tehen der einfachen Sinnesempfindung und<lb/>
des Bewußt&#x017F;eins, <hi rendition="#aq">VI.</hi> das vernünftige Denken und der Ur&#x017F;prung<lb/>
der damit eng verbundenen Sprache, <hi rendition="#aq">VII.</hi> die Frage nach der<lb/>
Willens-Freiheit. Von die&#x017F;en &#x017F;ieben Welträth&#x017F;eln erklärt der<lb/>
Rhetor der Berliner Akademie <hi rendition="#g">drei</hi> für ganz transcendent und<lb/>
unlösbar (das er&#x017F;te, zweite und fünfte); <hi rendition="#g">drei</hi> andere hält er<lb/>
zwar für &#x017F;chwierig, aber für lösbar (das dritte, vierte und<lb/>
&#x017F;ech&#x017F;te); bezüglich des &#x017F;iebenten und letzten &#x201E;Welträth&#x017F;els&#x201C;, wel-<lb/>
ches prakti&#x017F;ch das wichtig&#x017F;te i&#x017F;t, nämlich der Willensfreiheit, ver-<lb/>
hält er &#x017F;ich unent&#x017F;chieden.</p><lb/>
          <p>Da mein <hi rendition="#g">Monismus</hi> &#x017F;ich von demjenigen des Berliner<lb/>
Rhetors we&#x017F;entlich unter&#x017F;cheidet, da aber ander&#x017F;eits &#x017F;eine Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung der &#x201E;&#x017F;ieben Welträth&#x017F;el&#x201C; großen Beifall in weiten Krei&#x017F;en<lb/>
gefunden hat, halte ich es für zweckmäßig, gleich hier von vorn-<lb/>
herein zu den&#x017F;elben klare Stellung zu nehmen. Nach meiner<lb/>
An&#x017F;icht werden die drei &#x201E;transcendenten&#x201C; Räth&#x017F;el (<hi rendition="#aq">I, II, V</hi>)<lb/>
durch un&#x017F;ere Auffa&#x017F;&#x017F;ung der <hi rendition="#g">Sub&#x017F;tanz</hi> erledigt (Kapitel 12);<lb/>
die drei anderen, &#x017F;chwierigen, aber lösbaren Probleme (<hi rendition="#aq">III, IV,<lb/>
VI</hi>) &#x017F;ind durch un&#x017F;ere moderne <hi rendition="#g">Entwicklungslehre</hi> endgültig<lb/>
gelö&#x017F;t; das &#x017F;iebente und letzte Welträth&#x017F;el, die Willensfreiheit,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0034] Zahl der Welträthſel. I. fortſchreitet und die Wiſſenſchaft ſich entwickelt, deſto mehr wird ihre Zahl beſchränkt. Die moniſtiſche Philoſophie wird ſchließlich nur ein einziges, allumfaſſendes Welträthſel anerkennen, das „Subſtanz-Problem“. Immerhin kann es aber zweck- mäßig erſcheinen, auch eine gewiſſe Zahl von ſchwierigſten Pro- blemen mit jenem Namen zu bezeichnen. In der berühmten Rede, welche Emil du Bois-Reymond 1880 in der Leibniz- Sitzung der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften hielt, unter- ſcheidet er „Sieben Welträthſel“ und führt dieſelben in nach- ſtehender Reihenfolge auf: I. das Weſen von Materie und Kraft, II. der Urſprung der Bewegung, III. die erſte Entſtehung des Lebens IV. die (anſcheinend abſichtsvoll) zweckmäßige Einrichtung der Natur, V. das Entſtehen der einfachen Sinnesempfindung und des Bewußtſeins, VI. das vernünftige Denken und der Urſprung der damit eng verbundenen Sprache, VII. die Frage nach der Willens-Freiheit. Von dieſen ſieben Welträthſeln erklärt der Rhetor der Berliner Akademie drei für ganz transcendent und unlösbar (das erſte, zweite und fünfte); drei andere hält er zwar für ſchwierig, aber für lösbar (das dritte, vierte und ſechſte); bezüglich des ſiebenten und letzten „Welträthſels“, wel- ches praktiſch das wichtigſte iſt, nämlich der Willensfreiheit, ver- hält er ſich unentſchieden. Da mein Monismus ſich von demjenigen des Berliner Rhetors weſentlich unterſcheidet, da aber anderſeits ſeine Auf- faſſung der „ſieben Welträthſel“ großen Beifall in weiten Kreiſen gefunden hat, halte ich es für zweckmäßig, gleich hier von vorn- herein zu denſelben klare Stellung zu nehmen. Nach meiner Anſicht werden die drei „transcendenten“ Räthſel (I, II, V) durch unſere Auffaſſung der Subſtanz erledigt (Kapitel 12); die drei anderen, ſchwierigen, aber lösbaren Probleme (III, IV, VI) ſind durch unſere moderne Entwicklungslehre endgültig gelöſt; das ſiebente und letzte Welträthſel, die Willensfreiheit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/34
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/34>, abgerufen am 23.11.2024.