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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XV. Mischgötterei (Mixotheismus).
Menschen, die sich überhaupt religiöse Vorstellungen bildeten,
waren von jeher und sind noch heute Mixotheisten: ihre
Gottes-Vorstellung ist bunt gemischt aus den frühzeitig in
der Kindheit eingeprägten Glaubenssätzen ihrer speciellen Kon-
fession und aus vielen verschiedenen Eindrücken, welche später
bei der Berührung mit anderen Glaubensformen empfangen
werden, und welche die ersteren modificiren. Bei vielen Gebildeten
kommen dazu noch der umgestaltende Einfluß philosophischer Studien
im reiferen Alter und vor Allem die unbefangene Beschäftigung
mit den Erscheinungen der Natur, welche die Nichtigkeit der
theistischen Glaubensbilder darthun. Der Kampf dieser wider-
sprechenden Vorstellungen, welcher für feiner empfindende Ge-
müther äußerst schmerzlich ist und oft das ganze Leben hindurch
unentschieden bleibt, offenbart klar die ungeheure Macht der
Vererbung alter Glaubenssätze einerseits und der frühzeitigen
Anpassung an irrthümliche Lehren andererseits. Die besondere
Konfession, in welche das Kind von frühester Jugend an durch
die Eltern eingezwängt wurde, bleibt meistens in der Hauptsache
maßgebend, falls nicht später durch den stärkeren Einfluß eines
anderen Glaubensbekenntnisses eine Konversion eintritt. Aber
auch bei diesem Uebertritt von einer Glaubensform zur anderen
ist oft der neue Name, ebenso wie der alte aufgegebene, nur eine
äußere Etikette, unter welcher bei näherer Untersuchung die aller-
verschiedensten Ueberzeugungen und Irrthümer bunt gemischt sich
verstecken. Die große Mehrzahl der sogenannten Christen sind
nicht Monotheisten (wie sie glauben), sondern Amphitheisten,
Triplotheisten oder Polytheisten. Dasselbe gilt aber auch von
den Bekennern des Islam und des Mosaismus, wie von anderen
monotheistischen Religionen. Ueberall gesellen sich zu der ur-
sprünglichen Vorstellung des "alleinigen oder dreieinigen Gottes"
später erworbene Glaubensbilder von untergeordneten Gottheiten:
Engeln, Teufeln, Heiligen und anderen Dämonen, eine bunte
Mischung der verschiedensten theistischen Gestalten.

XV. Miſchgötterei (Mixotheismus).
Menſchen, die ſich überhaupt religiöſe Vorſtellungen bildeten,
waren von jeher und ſind noch heute Mixotheiſten: ihre
Gottes-Vorſtellung iſt bunt gemiſcht aus den frühzeitig in
der Kindheit eingeprägten Glaubensſätzen ihrer ſpeciellen Kon-
feſſion und aus vielen verſchiedenen Eindrücken, welche ſpäter
bei der Berührung mit anderen Glaubensformen empfangen
werden, und welche die erſteren modificiren. Bei vielen Gebildeten
kommen dazu noch der umgeſtaltende Einfluß philoſophiſcher Studien
im reiferen Alter und vor Allem die unbefangene Beſchäftigung
mit den Erſcheinungen der Natur, welche die Nichtigkeit der
theiſtiſchen Glaubensbilder darthun. Der Kampf dieſer wider-
ſprechenden Vorſtellungen, welcher für feiner empfindende Ge-
müther äußerſt ſchmerzlich iſt und oft das ganze Leben hindurch
unentſchieden bleibt, offenbart klar die ungeheure Macht der
Vererbung alter Glaubensſätze einerſeits und der frühzeitigen
Anpaſſung an irrthümliche Lehren andererſeits. Die beſondere
Konfeſſion, in welche das Kind von früheſter Jugend an durch
die Eltern eingezwängt wurde, bleibt meiſtens in der Hauptſache
maßgebend, falls nicht ſpäter durch den ſtärkeren Einfluß eines
anderen Glaubensbekenntniſſes eine Konverſion eintritt. Aber
auch bei dieſem Uebertritt von einer Glaubensform zur anderen
iſt oft der neue Name, ebenſo wie der alte aufgegebene, nur eine
äußere Etikette, unter welcher bei näherer Unterſuchung die aller-
verſchiedenſten Ueberzeugungen und Irrthümer bunt gemiſcht ſich
verſtecken. Die große Mehrzahl der ſogenannten Chriſten ſind
nicht Monotheiſten (wie ſie glauben), ſondern Amphitheiſten,
Triplotheiſten oder Polytheiſten. Dasſelbe gilt aber auch von
den Bekennern des Islam und des Moſaismus, wie von anderen
monotheiſtiſchen Religionen. Ueberall geſellen ſich zu der ur-
ſprünglichen Vorſtellung des „alleinigen oder dreieinigen Gottes“
ſpäter erworbene Glaubensbilder von untergeordneten Gottheiten:
Engeln, Teufeln, Heiligen und anderen Dämonen, eine bunte
Miſchung der verſchiedenſten theiſtiſchen Geſtalten.

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[331/0347] XV. Miſchgötterei (Mixotheismus). Menſchen, die ſich überhaupt religiöſe Vorſtellungen bildeten, waren von jeher und ſind noch heute Mixotheiſten: ihre Gottes-Vorſtellung iſt bunt gemiſcht aus den frühzeitig in der Kindheit eingeprägten Glaubensſätzen ihrer ſpeciellen Kon- feſſion und aus vielen verſchiedenen Eindrücken, welche ſpäter bei der Berührung mit anderen Glaubensformen empfangen werden, und welche die erſteren modificiren. Bei vielen Gebildeten kommen dazu noch der umgeſtaltende Einfluß philoſophiſcher Studien im reiferen Alter und vor Allem die unbefangene Beſchäftigung mit den Erſcheinungen der Natur, welche die Nichtigkeit der theiſtiſchen Glaubensbilder darthun. Der Kampf dieſer wider- ſprechenden Vorſtellungen, welcher für feiner empfindende Ge- müther äußerſt ſchmerzlich iſt und oft das ganze Leben hindurch unentſchieden bleibt, offenbart klar die ungeheure Macht der Vererbung alter Glaubensſätze einerſeits und der frühzeitigen Anpaſſung an irrthümliche Lehren andererſeits. Die beſondere Konfeſſion, in welche das Kind von früheſter Jugend an durch die Eltern eingezwängt wurde, bleibt meiſtens in der Hauptſache maßgebend, falls nicht ſpäter durch den ſtärkeren Einfluß eines anderen Glaubensbekenntniſſes eine Konverſion eintritt. Aber auch bei dieſem Uebertritt von einer Glaubensform zur anderen iſt oft der neue Name, ebenſo wie der alte aufgegebene, nur eine äußere Etikette, unter welcher bei näherer Unterſuchung die aller- verſchiedenſten Ueberzeugungen und Irrthümer bunt gemiſcht ſich verſtecken. Die große Mehrzahl der ſogenannten Chriſten ſind nicht Monotheiſten (wie ſie glauben), ſondern Amphitheiſten, Triplotheiſten oder Polytheiſten. Dasſelbe gilt aber auch von den Bekennern des Islam und des Moſaismus, wie von anderen monotheiſtiſchen Religionen. Ueberall geſellen ſich zu der ur- ſprünglichen Vorſtellung des „alleinigen oder dreieinigen Gottes“ ſpäter erworbene Glaubensbilder von untergeordneten Gottheiten: Engeln, Teufeln, Heiligen und anderen Dämonen, eine bunte Miſchung der verſchiedenſten theiſtiſchen Geſtalten.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/347>, abgerufen am 22.11.2024.