Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Empirie und Spekulation. I. Triumphe der modernen Naturforschung, die Zellentheorie unddie Wärmetheorie, die Entwickelungstheorie und das Substanz- Gesetz, sind philosophische Thaten, aber nicht Ergebnisse der reinen Spekulation, sondern der vorausgegangenen, aus- gedehntesten und gründlichsten Empirie. Am Beginne des neunzehnten Jahrhunderts rief unser größter "Feindschaft sei zwischen Euch! Noch kommt das Bündniß zu frühe! Seitdem hat sich das Verhältniß zum Glück gründlich ge- Dualismus und Monismus. Alle verschiedenen Rich- *) Vergl. hierüber das 4. Kapitel meiner "Generellen Morphologie",
1866: Kritik der naturwissenschaftlichen Methoden. Empirie und Spekulation. I. Triumphe der modernen Naturforſchung, die Zellentheorie unddie Wärmetheorie, die Entwickelungstheorie und das Subſtanz- Geſetz, ſind philoſophiſche Thaten, aber nicht Ergebniſſe der reinen Spekulation, ſondern der vorausgegangenen, aus- gedehnteſten und gründlichſten Empirie. Am Beginne des neunzehnten Jahrhunderts rief unſer größter „Feindſchaft ſei zwiſchen Euch! Noch kommt das Bündniß zu frühe! Seitdem hat ſich das Verhältniß zum Glück gründlich ge- Dualismus und Monismus. Alle verſchiedenen Rich- *) Vergl. hierüber das 4. Kapitel meiner „Generellen Morphologie“,
1866: Kritik der naturwiſſenſchaftlichen Methoden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0038" n="22"/><fw place="top" type="header">Empirie und Spekulation. <hi rendition="#aq">I.</hi></fw><lb/> Triumphe der modernen Naturforſchung, die Zellentheorie und<lb/> die Wärmetheorie, die Entwickelungstheorie und das Subſtanz-<lb/> Geſetz, ſind <hi rendition="#g">philoſophiſche Thaten</hi>, aber nicht Ergebniſſe<lb/> der reinen <hi rendition="#g">Spekulation</hi>, ſondern der vorausgegangenen, aus-<lb/> gedehnteſten und gründlichſten <hi rendition="#g">Empirie</hi>.</p><lb/> <p>Am Beginne des neunzehnten Jahrhunderts rief unſer größter<lb/> idealiſtiſcher Dichter, <hi rendition="#g">Schiller</hi>, den beiden ſtreitenden Heeren,<lb/> den Philoſophen und Naturforſchern, zu:</p><lb/> <cit> <quote>„Feindſchaft ſei zwiſchen Euch! Noch kommt das Bündniß zu frühe!<lb/> „Wenn Ihr im Suchen Euch trennt, wird erſt die Wahrheit erkannt!“</quote> </cit><lb/> <p>Seitdem hat ſich das Verhältniß zum Glück gründlich ge-<lb/> ändert; indem beide Heere auf verſchiedenen Wegen nach dem-<lb/> ſelben höchſten Ziele ſtrebten, haben ſie ſich in demſelben zu-<lb/> ſammengefunden und nähern ſich im gemeinſamen Bunde immer<lb/> mehr der Erkenntniß der Wahrheit. Wir ſind jetzt am Ende<lb/> des Jahrhunderts zu jener <hi rendition="#g">moniſtiſchen Erkenntniß-<lb/> Methode</hi> zurückgekehrt, welche ſchon an deſſen Anfang von<lb/> unſerm größten realiſtiſchen Dichter, <hi rendition="#g">Goethe</hi>, als die einzig<lb/> naturgemäße anerkannt war <note place="foot" n="*)">Vergl. hierüber das 4. Kapitel meiner „Generellen Morphologie“,<lb/> 1866: Kritik der naturwiſſenſchaftlichen Methoden.</note>.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Dualismus und Monismus.</hi> Alle verſchiedenen Rich-<lb/> tungen der Philoſophie laſſen ſich, vom heutigen Standpunkte<lb/> der Naturwiſſenſchaft beurtheilt, in zwei entgegengeſetzte Reihen<lb/> bringen, einerſeits die <hi rendition="#g">dualiſtiſche</hi> oder zwieſpältige, anderſeits<lb/> die <hi rendition="#g">moniſtiſche</hi> oder einheitliche Weltanſchauung. Gewöhnlich<lb/> iſt die erſtere mit teleologiſchen und idealiſtiſchen Dogmen ver-<lb/> knüpft, die letztere mit mechaniſtiſchen und realiſtiſchen Grund-<lb/> begriffen. Der <hi rendition="#g">Dualismus</hi> (im weiteſten Sinne!) zerlegt<lb/> das Univerſum in zwei ganz verſchiedene Subſtanzen, die mate-<lb/> rielle Welt und den immateriellen Gott, der ihr als Schöpfer,<lb/> Erhalter und Regierer gegenüberſteht. Der <hi rendition="#g">Monismus</hi> hin-<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0038]
Empirie und Spekulation. I.
Triumphe der modernen Naturforſchung, die Zellentheorie und
die Wärmetheorie, die Entwickelungstheorie und das Subſtanz-
Geſetz, ſind philoſophiſche Thaten, aber nicht Ergebniſſe
der reinen Spekulation, ſondern der vorausgegangenen, aus-
gedehnteſten und gründlichſten Empirie.
Am Beginne des neunzehnten Jahrhunderts rief unſer größter
idealiſtiſcher Dichter, Schiller, den beiden ſtreitenden Heeren,
den Philoſophen und Naturforſchern, zu:
„Feindſchaft ſei zwiſchen Euch! Noch kommt das Bündniß zu frühe!
„Wenn Ihr im Suchen Euch trennt, wird erſt die Wahrheit erkannt!“
Seitdem hat ſich das Verhältniß zum Glück gründlich ge-
ändert; indem beide Heere auf verſchiedenen Wegen nach dem-
ſelben höchſten Ziele ſtrebten, haben ſie ſich in demſelben zu-
ſammengefunden und nähern ſich im gemeinſamen Bunde immer
mehr der Erkenntniß der Wahrheit. Wir ſind jetzt am Ende
des Jahrhunderts zu jener moniſtiſchen Erkenntniß-
Methode zurückgekehrt, welche ſchon an deſſen Anfang von
unſerm größten realiſtiſchen Dichter, Goethe, als die einzig
naturgemäße anerkannt war *).
Dualismus und Monismus. Alle verſchiedenen Rich-
tungen der Philoſophie laſſen ſich, vom heutigen Standpunkte
der Naturwiſſenſchaft beurtheilt, in zwei entgegengeſetzte Reihen
bringen, einerſeits die dualiſtiſche oder zwieſpältige, anderſeits
die moniſtiſche oder einheitliche Weltanſchauung. Gewöhnlich
iſt die erſtere mit teleologiſchen und idealiſtiſchen Dogmen ver-
knüpft, die letztere mit mechaniſtiſchen und realiſtiſchen Grund-
begriffen. Der Dualismus (im weiteſten Sinne!) zerlegt
das Univerſum in zwei ganz verſchiedene Subſtanzen, die mate-
rielle Welt und den immateriellen Gott, der ihr als Schöpfer,
Erhalter und Regierer gegenüberſteht. Der Monismus hin-
*) Vergl. hierüber das 4. Kapitel meiner „Generellen Morphologie“,
1866: Kritik der naturwiſſenſchaftlichen Methoden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |