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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XVIII. Religion der Wahrheit.
können wir auch unseren drei Vernunft-Idealen die Gestalt hehrer
Göttinen verleihen; wir wollen untersuchen, wie die drei Göt-
tinen der Wahrheit, der Schönheit und der Tugend nach
unserem Monismus sich gestalten; und wir wollen ferner ihr
Verhältniß zu den entsprechenden Göttern des Christenthums
untersuchen, die sie ersetzen sollen.

I. Das Ideal der Wahrheit. Wir haben uns durch die
vorhergehenden Betrachtungen (besonders im ersten und dritten
Abschnitt) überzeugt, daß die reine Wahrheit nur in dem Tempel
der Natur-Erkenntniß zu finden ist, und daß die einzigen
brauchbaren Wege zu demselben die kritische "Beobachtung und
Reflexion" sind, die empirische Erforschung der Thatsachen und
die vernunftgemäße Erkenntniß ihrer bewirkenden Ursachen. So
gelangen wir mittels der reinen Vernunft zur wahren
Wissenschaft, dem kostbarsten Schatze der Kultur-Menschheit.
Dagegen müssen wir aus den gewichtigen, im 16. Kapitel er-
örterten Ursachen jede sogenannte "Offenbarung" ablehnen,
jede Glaubens-Dichtung, welche behauptet, auf übernatürlichem
Wege Wahrheiten zu erkennen, zu deren Entdeckung unsere Ver-
nunft nicht ausreicht. Da nun das ganze Glaubens-Gebäude
der jüdisch-christlichen Religion, ebenso wie das islamitische und
buddhistische, auf solchen angeblichen Offenbarungen beruht, da
ferner diese mystischen Phantasie-Produkte direkt der klaren empi-
rischen Natur-Erkenntniß widersprechen, so ist es sicher, daß wir
die Wahrheit nur mittels der Vernunft-Thätigkeit der echten
Wissenschaft finden können, nicht mittels der Phantasie-
Dichtung des mystischen Glaubens. In dieser Beziehung ist es
ganz sicher, daß die christliche Weltanschauung durch die
monistische Philosophie zu ersetzen ist. Die Göttin der
Wahrheit wohnt im Tempel der Natur, im grünen Walde, auf
dem blauen Meere, auf den schneebedeckten Gebirgshöhen; --
aber nicht in den dumpfen Hallen der Klöster, in den engen

XVIII. Religion der Wahrheit.
können wir auch unſeren drei Vernunft-Idealen die Geſtalt hehrer
Göttinen verleihen; wir wollen unterſuchen, wie die drei Göt-
tinen der Wahrheit, der Schönheit und der Tugend nach
unſerem Monismus ſich geſtalten; und wir wollen ferner ihr
Verhältniß zu den entſprechenden Göttern des Chriſtenthums
unterſuchen, die ſie erſetzen ſollen.

I. Das Ideal der Wahrheit. Wir haben uns durch die
vorhergehenden Betrachtungen (beſonders im erſten und dritten
Abſchnitt) überzeugt, daß die reine Wahrheit nur in dem Tempel
der Natur-Erkenntniß zu finden iſt, und daß die einzigen
brauchbaren Wege zu demſelben die kritiſche „Beobachtung und
Reflexion“ ſind, die empiriſche Erforſchung der Thatſachen und
die vernunftgemäße Erkenntniß ihrer bewirkenden Urſachen. So
gelangen wir mittels der reinen Vernunft zur wahren
Wiſſenſchaft, dem koſtbarſten Schatze der Kultur-Menſchheit.
Dagegen müſſen wir aus den gewichtigen, im 16. Kapitel er-
örterten Urſachen jede ſogenannte „Offenbarung“ ablehnen,
jede Glaubens-Dichtung, welche behauptet, auf übernatürlichem
Wege Wahrheiten zu erkennen, zu deren Entdeckung unſere Ver-
nunft nicht ausreicht. Da nun das ganze Glaubens-Gebäude
der jüdiſch-chriſtlichen Religion, ebenſo wie das islamitiſche und
buddhiſtiſche, auf ſolchen angeblichen Offenbarungen beruht, da
ferner dieſe myſtiſchen Phantaſie-Produkte direkt der klaren empi-
riſchen Natur-Erkenntniß widerſprechen, ſo iſt es ſicher, daß wir
die Wahrheit nur mittels der Vernunft-Thätigkeit der echten
Wiſſenſchaft finden können, nicht mittels der Phantaſie-
Dichtung des myſtiſchen Glaubens. In dieſer Beziehung iſt es
ganz ſicher, daß die chriſtliche Weltanſchauung durch die
moniſtiſche Philoſophie zu erſetzen iſt. Die Göttin der
Wahrheit wohnt im Tempel der Natur, im grünen Walde, auf
dem blauen Meere, auf den ſchneebedeckten Gebirgshöhen; —
aber nicht in den dumpfen Hallen der Klöſter, in den engen

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[389/0405] XVIII. Religion der Wahrheit. können wir auch unſeren drei Vernunft-Idealen die Geſtalt hehrer Göttinen verleihen; wir wollen unterſuchen, wie die drei Göt- tinen der Wahrheit, der Schönheit und der Tugend nach unſerem Monismus ſich geſtalten; und wir wollen ferner ihr Verhältniß zu den entſprechenden Göttern des Chriſtenthums unterſuchen, die ſie erſetzen ſollen. I. Das Ideal der Wahrheit. Wir haben uns durch die vorhergehenden Betrachtungen (beſonders im erſten und dritten Abſchnitt) überzeugt, daß die reine Wahrheit nur in dem Tempel der Natur-Erkenntniß zu finden iſt, und daß die einzigen brauchbaren Wege zu demſelben die kritiſche „Beobachtung und Reflexion“ ſind, die empiriſche Erforſchung der Thatſachen und die vernunftgemäße Erkenntniß ihrer bewirkenden Urſachen. So gelangen wir mittels der reinen Vernunft zur wahren Wiſſenſchaft, dem koſtbarſten Schatze der Kultur-Menſchheit. Dagegen müſſen wir aus den gewichtigen, im 16. Kapitel er- örterten Urſachen jede ſogenannte „Offenbarung“ ablehnen, jede Glaubens-Dichtung, welche behauptet, auf übernatürlichem Wege Wahrheiten zu erkennen, zu deren Entdeckung unſere Ver- nunft nicht ausreicht. Da nun das ganze Glaubens-Gebäude der jüdiſch-chriſtlichen Religion, ebenſo wie das islamitiſche und buddhiſtiſche, auf ſolchen angeblichen Offenbarungen beruht, da ferner dieſe myſtiſchen Phantaſie-Produkte direkt der klaren empi- riſchen Natur-Erkenntniß widerſprechen, ſo iſt es ſicher, daß wir die Wahrheit nur mittels der Vernunft-Thätigkeit der echten Wiſſenſchaft finden können, nicht mittels der Phantaſie- Dichtung des myſtiſchen Glaubens. In dieſer Beziehung iſt es ganz ſicher, daß die chriſtliche Weltanſchauung durch die moniſtiſche Philoſophie zu erſetzen iſt. Die Göttin der Wahrheit wohnt im Tempel der Natur, im grünen Walde, auf dem blauen Meere, auf den ſchneebedeckten Gebirgshöhen; — aber nicht in den dumpfen Hallen der Klöſter, in den engen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/405>, abgerufen am 27.11.2024.