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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XVIII. Diesseits und Jenseits.
die Andacht, mit welcher wir die Geltung des allumfassenden
Substanz-Gesetzes im Universum verehren, -- sie alle sind Bestand-
theile unseres Gemüths-Lebens, die unter den Begriff der
"natürlichen Religion" fallen.

Diesseits und Jenseits. Die angedeuteten Fortschritte der
Neuzeit in der Erkenntniß des Wahren und im Genusse des
Schönen bilden ebenso einerseits einen werthvollen Inhalt unserer
monistischen Religion, als sie andererseits in feindlichem Gegensatze
zum Christenthum stehen. Denn der menschliche Geist lebt dort
in dem bekannten "Diesseits", hier in einem unbekannten
"Jenseits". Unser Monismus lehrt, daß wir sterbliche Kinder
der Erde sind, die ein oder zwei, höchstens drei "Menschenalter"
hindurch das Glück haben, im Diesseits die Herrlichkeiten dieses
Planeten zu genießen, die unerschöpfliche Fülle seiner Schönheit
zu schauen und die wunderbaren Spiele seiner Naturkräfte zu
erkennen. Das Christenthum dagegen lehrt, daß die Erde ein
elendes Jammerthal ist, auf welchem wir bloß eine kurze Zeit
lang uns zu kasteien und abzuquälen brauchen, um sodann im
"Jenseits" ein ewiges Leben voller Wonne zn genießen. Wo
dieses "Jenseits" liegt, und wie diese Herrlichkeit des ewigen
Lebens eigentlich beschaffen sein soll, das hat uns noch keine
"Offenbarung" gesagt. Solange der "Himmel" für den Menschen
ein blaues Zelt war, ausgespannt über der scheibenförmigen Erde
und erleuchtet durch das blinkende Lampenlicht einiger tausend
Sterne, konnte sich die menschliche Phantasie oben in diesem
Himmelssaal allenfalls das ambrosische Gastmahl der olympischen
Götter oder die Tafel-Freuden der Walhalla-Bewohner vorstellen.
Nun ist aber neuerdings für alle diese Gottheiten und für die
mit ihnen tafelnden "unsterblichen Seelen" die offenkundige, von
David Strauß geschilderte Wohnungsnoth eingetreten;
denn wir wissen jetzt durch die Astrophysik, daß der unendliche
Raum mit ungenießbarem Aether erfüllt ist, und daß Millionen

XVIII. Diesſeits und Jenſeits.
die Andacht, mit welcher wir die Geltung des allumfaſſenden
Subſtanz-Geſetzes im Univerſum verehren, — ſie alle ſind Beſtand-
theile unſeres Gemüths-Lebens, die unter den Begriff der
natürlichen Religion“ fallen.

Diesſeits und Jenſeits. Die angedeuteten Fortſchritte der
Neuzeit in der Erkenntniß des Wahren und im Genuſſe des
Schönen bilden ebenſo einerſeits einen werthvollen Inhalt unſerer
moniſtiſchen Religion, als ſie andererſeits in feindlichem Gegenſatze
zum Chriſtenthum ſtehen. Denn der menſchliche Geiſt lebt dort
in dem bekannten „Diesſeits“, hier in einem unbekannten
Jenſeits“. Unſer Monismus lehrt, daß wir ſterbliche Kinder
der Erde ſind, die ein oder zwei, höchſtens drei „Menſchenalter“
hindurch das Glück haben, im Diesſeits die Herrlichkeiten dieſes
Planeten zu genießen, die unerſchöpfliche Fülle ſeiner Schönheit
zu ſchauen und die wunderbaren Spiele ſeiner Naturkräfte zu
erkennen. Das Chriſtenthum dagegen lehrt, daß die Erde ein
elendes Jammerthal iſt, auf welchem wir bloß eine kurze Zeit
lang uns zu kaſteien und abzuquälen brauchen, um ſodann im
„Jenſeits“ ein ewiges Leben voller Wonne zn genießen. Wo
dieſes „Jenſeits“ liegt, und wie dieſe Herrlichkeit des ewigen
Lebens eigentlich beſchaffen ſein ſoll, das hat uns noch keine
„Offenbarung“ geſagt. Solange der „Himmel“ für den Menſchen
ein blaues Zelt war, ausgeſpannt über der ſcheibenförmigen Erde
und erleuchtet durch das blinkende Lampenlicht einiger tauſend
Sterne, konnte ſich die menſchliche Phantaſie oben in dieſem
Himmelsſaal allenfalls das ambroſiſche Gaſtmahl der olympiſchen
Götter oder die Tafel-Freuden der Walhalla-Bewohner vorſtellen.
Nun iſt aber neuerdings für alle dieſe Gottheiten und für die
mit ihnen tafelnden „unſterblichen Seelen“ die offenkundige, von
David Strauß geſchilderte Wohnungsnoth eingetreten;
denn wir wiſſen jetzt durch die Aſtrophyſik, daß der unendliche
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[397/0413] XVIII. Diesſeits und Jenſeits. die Andacht, mit welcher wir die Geltung des allumfaſſenden Subſtanz-Geſetzes im Univerſum verehren, — ſie alle ſind Beſtand- theile unſeres Gemüths-Lebens, die unter den Begriff der „natürlichen Religion“ fallen. Diesſeits und Jenſeits. Die angedeuteten Fortſchritte der Neuzeit in der Erkenntniß des Wahren und im Genuſſe des Schönen bilden ebenſo einerſeits einen werthvollen Inhalt unſerer moniſtiſchen Religion, als ſie andererſeits in feindlichem Gegenſatze zum Chriſtenthum ſtehen. Denn der menſchliche Geiſt lebt dort in dem bekannten „Diesſeits“, hier in einem unbekannten „Jenſeits“. Unſer Monismus lehrt, daß wir ſterbliche Kinder der Erde ſind, die ein oder zwei, höchſtens drei „Menſchenalter“ hindurch das Glück haben, im Diesſeits die Herrlichkeiten dieſes Planeten zu genießen, die unerſchöpfliche Fülle ſeiner Schönheit zu ſchauen und die wunderbaren Spiele ſeiner Naturkräfte zu erkennen. Das Chriſtenthum dagegen lehrt, daß die Erde ein elendes Jammerthal iſt, auf welchem wir bloß eine kurze Zeit lang uns zu kaſteien und abzuquälen brauchen, um ſodann im „Jenſeits“ ein ewiges Leben voller Wonne zn genießen. Wo dieſes „Jenſeits“ liegt, und wie dieſe Herrlichkeit des ewigen Lebens eigentlich beſchaffen ſein ſoll, das hat uns noch keine „Offenbarung“ geſagt. Solange der „Himmel“ für den Menſchen ein blaues Zelt war, ausgeſpannt über der ſcheibenförmigen Erde und erleuchtet durch das blinkende Lampenlicht einiger tauſend Sterne, konnte ſich die menſchliche Phantaſie oben in dieſem Himmelsſaal allenfalls das ambroſiſche Gaſtmahl der olympiſchen Götter oder die Tafel-Freuden der Walhalla-Bewohner vorſtellen. Nun iſt aber neuerdings für alle dieſe Gottheiten und für die mit ihnen tafelnden „unſterblichen Seelen“ die offenkundige, von David Strauß geſchilderte Wohnungsnoth eingetreten; denn wir wiſſen jetzt durch die Aſtrophyſik, daß der unendliche Raum mit ungenießbarem Aether erfüllt iſt, und daß Millionen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/413>, abgerufen am 26.11.2024.