von Weltkörpern, nach ewigen ehernen "Gesetzen" bewegt, sich rastlos in demselben umhertreiben, alle im ewigen großen "Werden und Vergehen" begriffen.
Monistische Kirchen. Die Stätten der Andacht, in denen der Mensch sein religiöses Gemüths-Bedürfniß befriedigt und die Gegenstände seiner Anbetung verehrt, betrachtet er als seine ge- heiligten "Kirchen". Die Pagoden im buddhistischen Asien, die griechischen Tempel im klassischen Alterthum, die Synagogen in Palästina, die Moscheen in Egypten, die katholischen Dome im südlichen und die evangelischen Kathedralen im nördlichen Europa -- alle diese "Gotteshäuser" sollen dazu dienen, den Menschen über die Misere und Prosa des realen Alltagslebens zu erheben; sie sollen ihn in die Weihe und Poesie einer höheren, idealen Welt versetzen. Sie erfüllen diesen Zweck in vielen tausend verschiedenen Formen, entsprechend den verschiedenen Kulturformen und Zeitverhältnissen. Der moderne Mensch, welcher "Wissenschaft und Kunst besitzt" -- und damit zugleich auch "Religion" --, bedarf keiner besonderen Kirche, keines engen, eingeschlossenen Raumes. Denn überall in der freien Natur, wo er seine Blicke auf das unendliche Universum oder auf einen Theil desselben richtet, überall findet er zwar den harten "Kampf um's Dasein", aber daneben auch das "Wahre, Schöne und Gute"; überall findet er seine "Kirche" in der herrlichen Natur selbst. Indessen wird es doch den besonderen Bedürf- nissen vieler Menschen entsprechen, auch außerdem in schön ge- schmückten Tempeln oder Kirchen geschlossene Andachtshäuser zu besitzen, in die sie sich zurückziehen können. Ebenso, wie seit dem 16. Jahrhundert der Papismus zahlreiche Kirchen an die Refor- mation abtreten mußte, wird im 20. Jahrhundert ein großer Theil an die "freien Gemeinden" des Monismus übergehen.
Moniſtiſche Kirchen. XVIII.
von Weltkörpern, nach ewigen ehernen „Geſetzen“ bewegt, ſich raſtlos in demſelben umhertreiben, alle im ewigen großen „Werden und Vergehen“ begriffen.
Moniſtiſche Kirchen. Die Stätten der Andacht, in denen der Menſch ſein religiöſes Gemüths-Bedürfniß befriedigt und die Gegenſtände ſeiner Anbetung verehrt, betrachtet er als ſeine ge- heiligten „Kirchen“. Die Pagoden im buddhiſtiſchen Aſien, die griechiſchen Tempel im klaſſiſchen Alterthum, die Synagogen in Paläſtina, die Moſcheen in Egypten, die katholiſchen Dome im ſüdlichen und die evangeliſchen Kathedralen im nördlichen Europa — alle dieſe „Gotteshäuſer“ ſollen dazu dienen, den Menſchen über die Miſere und Proſa des realen Alltagslebens zu erheben; ſie ſollen ihn in die Weihe und Poeſie einer höheren, idealen Welt verſetzen. Sie erfüllen dieſen Zweck in vielen tauſend verſchiedenen Formen, entſprechend den verſchiedenen Kulturformen und Zeitverhältniſſen. Der moderne Menſch, welcher „Wiſſenſchaft und Kunſt beſitzt“ — und damit zugleich auch „Religion“ —, bedarf keiner beſonderen Kirche, keines engen, eingeſchloſſenen Raumes. Denn überall in der freien Natur, wo er ſeine Blicke auf das unendliche Univerſum oder auf einen Theil desſelben richtet, überall findet er zwar den harten „Kampf um's Daſein“, aber daneben auch das „Wahre, Schöne und Gute“; überall findet er ſeine „Kirche“ in der herrlichen Natur ſelbſt. Indeſſen wird es doch den beſonderen Bedürf- niſſen vieler Menſchen entſprechen, auch außerdem in ſchön ge- ſchmückten Tempeln oder Kirchen geſchloſſene Andachtshäuſer zu beſitzen, in die ſie ſich zurückziehen können. Ebenſo, wie ſeit dem 16. Jahrhundert der Papismus zahlreiche Kirchen an die Refor- mation abtreten mußte, wird im 20. Jahrhundert ein großer Theil an die „freien Gemeinden“ des Monismus übergehen.
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Moniſtiſche Kirchen. XVIII.
von Weltkörpern, nach ewigen ehernen „Geſetzen“ bewegt, ſich
raſtlos in demſelben umhertreiben, alle im ewigen großen „Werden
und Vergehen“ begriffen.
Moniſtiſche Kirchen. Die Stätten der Andacht, in denen
der Menſch ſein religiöſes Gemüths-Bedürfniß befriedigt und die
Gegenſtände ſeiner Anbetung verehrt, betrachtet er als ſeine ge-
heiligten „Kirchen“. Die Pagoden im buddhiſtiſchen Aſien, die
griechiſchen Tempel im klaſſiſchen Alterthum, die Synagogen in
Paläſtina, die Moſcheen in Egypten, die katholiſchen Dome im
ſüdlichen und die evangeliſchen Kathedralen im nördlichen
Europa — alle dieſe „Gotteshäuſer“ ſollen dazu dienen, den
Menſchen über die Miſere und Proſa des realen Alltagslebens
zu erheben; ſie ſollen ihn in die Weihe und Poeſie einer höheren,
idealen Welt verſetzen. Sie erfüllen dieſen Zweck in vielen
tauſend verſchiedenen Formen, entſprechend den verſchiedenen
Kulturformen und Zeitverhältniſſen. Der moderne Menſch,
welcher „Wiſſenſchaft und Kunſt beſitzt“ — und damit zugleich
auch „Religion“ —, bedarf keiner beſonderen Kirche, keines engen,
eingeſchloſſenen Raumes. Denn überall in der freien Natur, wo
er ſeine Blicke auf das unendliche Univerſum oder auf einen
Theil desſelben richtet, überall findet er zwar den harten „Kampf
um's Daſein“, aber daneben auch das „Wahre, Schöne
und Gute“; überall findet er ſeine „Kirche“ in der herrlichen
Natur ſelbſt. Indeſſen wird es doch den beſonderen Bedürf-
niſſen vieler Menſchen entſprechen, auch außerdem in ſchön ge-
ſchmückten Tempeln oder Kirchen geſchloſſene Andachtshäuſer zu
beſitzen, in die ſie ſich zurückziehen können. Ebenſo, wie ſeit dem
16. Jahrhundert der Papismus zahlreiche Kirchen an die Refor-
mation abtreten mußte, wird im 20. Jahrhundert ein großer
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/414>, abgerufen am 26.11.2024.
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