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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Anmerkungen und Erläuterungen.


1) Kosmologische Perspektive (S. 17). Der geringe Spielraum,
welchen unser menschliches Vorstellungs-Vermögen uns bei Beurtheilung
großer Dimensionen in Raum und Zeit gestattet, ist ebenso eine reiche
Fehlerquelle von anthropistischen Illusionen wie ein mächtiges Hinderniß
der geläuterten monistischen Weltanschauung. Um sich der unendlichen Aus-
dehnung des Raumes bewußt zu werden, muß man einerseits bedenken,
daß die kleinsten sichtbaren Organismen (Bakterien) riesengroß sind gegen-
über den unsichtbaren Atomen und Molekeln, welche weit jenseits der Sicht-
barkeit auch bei Anwendung der stärksten Mikroskope liegen; andererseits muß
man die unbegrenzten Dimensionen des Weltraumes erwägen, in welchem
unser Sonnen-System nur den Werth eines einzelnen Fixsternes hat und
unsere Erde nur einen winzigen Planeten der mächtigen Sonne darstellt. --
In entsprechender Weise werden wir uns der unendlichen Ausdehnung der
Zeit bewußt, wenn wir uns einerseits an die physikalischen und physio-
logischen Bewegungen erinnern, die innerhalb einer Sekunde sich abspielen,
und andererseits an die ungeheure Länge der Zeiträume, welche die Ent-
wickelung der Weltkörper in Anspruch nimmt. Selbst der verhältnißmäßig
kurze Zeitraum der "organischen Erdgeschichte" (innerhalb deren das
organische Leben auf unserem Erdball sich entwickelt hat) umfaßt nach
neueren Berechnungen weit über hundert Millionen Jahre, d. h. mehr als
100000 Jahrtausende!
Allerdings lassen die geologischen und paläontologischen Thatsachen,
auf welche sich diese Berechnungen gründen, nur sehr unsichere und schwankende
Zahlen-Angaben zu. Während wohl die meisten sachkundigen Autoritäten
gegenwärtig für die Länge der organischen Erdgeschichte 100-200 Millionen
Jahre als wahrscheinlichste Mittelzahl annehmen, beläuft sich dieselbe nach
anderen Schätzungen nur auf 25-50 Millionen; nach einer genauen geo-
logischen Berechnung der neuesten Zeit auf mindestens vierzehnhundert
Jahrmillionen
. (Vergl. meinen Cambridge-Vortrag über den Ursprung
des Menschen, 1898, S. 51: "Wenn wir aber auch ganz außer Stande sind,
Anmerkungen und Erläuterungen.


1) Kosmologiſche Perſpektive (S. 17). Der geringe Spielraum,
welchen unſer menſchliches Vorſtellungs-Vermögen uns bei Beurtheilung
großer Dimenſionen in Raum und Zeit geſtattet, iſt ebenſo eine reiche
Fehlerquelle von anthropiſtiſchen Illuſionen wie ein mächtiges Hinderniß
der geläuterten moniſtiſchen Weltanſchauung. Um ſich der unendlichen Aus-
dehnung des Raumes bewußt zu werden, muß man einerſeits bedenken,
daß die kleinſten ſichtbaren Organismen (Bakterien) rieſengroß ſind gegen-
über den unſichtbaren Atomen und Molekeln, welche weit jenſeits der Sicht-
barkeit auch bei Anwendung der ſtärkſten Mikroſkope liegen; andererſeits muß
man die unbegrenzten Dimenſionen des Weltraumes erwägen, in welchem
unſer Sonnen-Syſtem nur den Werth eines einzelnen Fixſternes hat und
unſere Erde nur einen winzigen Planeten der mächtigen Sonne darſtellt. —
In entſprechender Weiſe werden wir uns der unendlichen Ausdehnung der
Zeit bewußt, wenn wir uns einerſeits an die phyſikaliſchen und phyſio-
logiſchen Bewegungen erinnern, die innerhalb einer Sekunde ſich abſpielen,
und andererſeits an die ungeheure Länge der Zeiträume, welche die Ent-
wickelung der Weltkörper in Anſpruch nimmt. Selbſt der verhältnißmäßig
kurze Zeitraum der „organiſchen Erdgeſchichte“ (innerhalb deren das
organiſche Leben auf unſerem Erdball ſich entwickelt hat) umfaßt nach
neueren Berechnungen weit über hundert Millionen Jahre, d. h. mehr als
100000 Jahrtauſende!
Allerdings laſſen die geologiſchen und paläontologiſchen Thatſachen,
auf welche ſich dieſe Berechnungen gründen, nur ſehr unſichere und ſchwankende
Zahlen-Angaben zu. Während wohl die meiſten ſachkundigen Autoritäten
gegenwärtig für die Länge der organiſchen Erdgeſchichte 100-200 Millionen
Jahre als wahrſcheinlichſte Mittelzahl annehmen, beläuft ſich dieſelbe nach
anderen Schätzungen nur auf 25-50 Millionen; nach einer genauen geo-
logiſchen Berechnung der neueſten Zeit auf mindeſtens vierzehnhundert
Jahrmillionen
. (Vergl. meinen Cambridge-Vortrag über den Urſprung
des Menſchen, 1898, S. 51: „Wenn wir aber auch ganz außer Stande ſind,
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[[441]/0457] Anmerkungen und Erläuterungen. ¹⁾ Kosmologiſche Perſpektive (S. 17). Der geringe Spielraum, welchen unſer menſchliches Vorſtellungs-Vermögen uns bei Beurtheilung großer Dimenſionen in Raum und Zeit geſtattet, iſt ebenſo eine reiche Fehlerquelle von anthropiſtiſchen Illuſionen wie ein mächtiges Hinderniß der geläuterten moniſtiſchen Weltanſchauung. Um ſich der unendlichen Aus- dehnung des Raumes bewußt zu werden, muß man einerſeits bedenken, daß die kleinſten ſichtbaren Organismen (Bakterien) rieſengroß ſind gegen- über den unſichtbaren Atomen und Molekeln, welche weit jenſeits der Sicht- barkeit auch bei Anwendung der ſtärkſten Mikroſkope liegen; andererſeits muß man die unbegrenzten Dimenſionen des Weltraumes erwägen, in welchem unſer Sonnen-Syſtem nur den Werth eines einzelnen Fixſternes hat und unſere Erde nur einen winzigen Planeten der mächtigen Sonne darſtellt. — In entſprechender Weiſe werden wir uns der unendlichen Ausdehnung der Zeit bewußt, wenn wir uns einerſeits an die phyſikaliſchen und phyſio- logiſchen Bewegungen erinnern, die innerhalb einer Sekunde ſich abſpielen, und andererſeits an die ungeheure Länge der Zeiträume, welche die Ent- wickelung der Weltkörper in Anſpruch nimmt. Selbſt der verhältnißmäßig kurze Zeitraum der „organiſchen Erdgeſchichte“ (innerhalb deren das organiſche Leben auf unſerem Erdball ſich entwickelt hat) umfaßt nach neueren Berechnungen weit über hundert Millionen Jahre, d. h. mehr als 100000 Jahrtauſende! Allerdings laſſen die geologiſchen und paläontologiſchen Thatſachen, auf welche ſich dieſe Berechnungen gründen, nur ſehr unſichere und ſchwankende Zahlen-Angaben zu. Während wohl die meiſten ſachkundigen Autoritäten gegenwärtig für die Länge der organiſchen Erdgeſchichte 100-200 Millionen Jahre als wahrſcheinlichſte Mittelzahl annehmen, beläuft ſich dieſelbe nach anderen Schätzungen nur auf 25-50 Millionen; nach einer genauen geo- logiſchen Berechnung der neueſten Zeit auf mindeſtens vierzehnhundert Jahrmillionen. (Vergl. meinen Cambridge-Vortrag über den Urſprung des Menſchen, 1898, S. 51: „Wenn wir aber auch ganz außer Stande ſind,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. [441]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/457>, abgerufen am 21.11.2024.