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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Anmerkungen und Erläuterungen.
einen kontraktilen "Stielmuskel" aus, viele Hypotrichen durch einen "Schließ-
muskel des Zellenmundes" u. s. w. Auch besondere Empfindungs-Organelle
haben sich hier entwickelt: feine Tastborsten über der Hautdecke, Trichocysten
unter derselben; besonders differenzirte Flimmerhaare sind zu Tentacillen,
zu Geruchs- und Geschmacks-Organen umgebildet. Bei denjenigen Infusorien,
welche sich durch Kopulation von zwei schwärmenden Zellen fortpflanzen, ist
eine chemische Sinnesthätigkeit anzunehmen, welche dem Geruche höherer
Thiere ähnlich ist; und wenn die beiden kopulirenden Zellen bereits sexuelle
Differenzirung zeigen, gewinnt jener Chemotropismus einen erotischen Cha-
rakter. Man kann dann an der größeren, weiblichen Zelle oft einen besonderen
"Empfängnißfleck" unterscheiden und an der kleineren, männlichen Zelle
einen "Befruchtungskegel".
8) Hauptformen der Cönobien (S. 181). Die zahlreichen Formen
der Zellvereine, die sehr wichtig sind als Uebergangsstufen von den
Protozoen zu den Metazoen, haben bisher nicht die verdiente psycho-
logische Würdigung erfahren. Cönobien von Protophyten bilden viele
Chromaceen, Paulotomeen, Diatomeen, Desmidiaceen, Masti-
goten
und Melethallien; Zellvereine von Protozoen finden sich in
mehreren Gruppen der Rhizopoden (Polycyttaria) und der Infusorien
(sowohl Flagellaten als Ciliaten; vergl. System. Phylog. I, S. 58).
Alle diese Cönobien entstehen durch wiederholte Spaltung (meistens Thei-
lung, seltener Knospung) aus einer einfachen Mutterzelle. Je nach
der besonderen Form dieser Spaltung und nach der besonderen Anordnung
der socialen, dadurch entstandenen Zellen-Generationen kann man vier
Hauptformen
der Cönobien unterscheiden: 1. Massige Zellvereine
(Gregal-Cönobien)
; Gallertmassen von kugeliger, cylindrischer, platten-
förmiger oder unbestimmt massiger Gestalt, in denen viele gleichartige Zellen
(meist ohne bestimmte Ordnung) überall vertheilt sind (die strukturlose Gallert-
Masse, die sie vereinigt, wird von den Zellen selbst ausgeschieden). Zu dieser
Gruppe gehört die Morula. 2. Kugelige Zellvereine (Sphäral-
Cönobien
); Gallertkugeln, an deren Oberfläche die socialen Zellen in einer
einfachen Schicht neben einander liegen; die Kugel-Kolonien der Volvocinen
und Halosphären, der Katallakten und Polycyttarien. Diese Form ist be-
sonders interessant, weil ihre Zusammensetzung dieselbe ist wie bei der
Blastula der Metazoen. Wie in dem Blastoderm dieser letzteren liegen oft
die zahlreichen Zellen der Kugel-Cönobien dicht neben einander und bilden
ein ganz einfaches Epithelium (die älteste Form des Gewebes!), so bei
Magosphären und Halosphären. In anderen Fällen dagegen sind die
socialen Zellen durch Zwischenräume getrennt und hängen nur durch Plasma-
Brücken zusammen, als ob sie sich "die Hand gäben" -- so bei Volvocinen
und Polycyttarien (Sphärozoen, Collosphären u. s. w.). 3. Baum-
förmige Zellvereine
(Arboral-Cönobien); das ganze Zellenstöckchen
ist verästelt und gleicht einem Blumenstöckchen; wie die Blumen und Blätter
an den Zweigen des letzteren, so sitzen hier die socialen Zellen an den
Haeckel, Welträthsel. 29
Anmerkungen und Erläuterungen.
einen kontraktilen „Stielmuskel“ aus, viele Hypotrichen durch einen „Schließ-
muskel des Zellenmundes“ u. ſ. w. Auch beſondere Empfindungs-Organelle
haben ſich hier entwickelt: feine Taſtborſten über der Hautdecke, Trichocyſten
unter derſelben; beſonders differenzirte Flimmerhaare ſind zu Tentacillen,
zu Geruchs- und Geſchmacks-Organen umgebildet. Bei denjenigen Infuſorien,
welche ſich durch Kopulation von zwei ſchwärmenden Zellen fortpflanzen, iſt
eine chemiſche Sinnesthätigkeit anzunehmen, welche dem Geruche höherer
Thiere ähnlich iſt; und wenn die beiden kopulirenden Zellen bereits ſexuelle
Differenzirung zeigen, gewinnt jener Chemotropismus einen erotiſchen Cha-
rakter. Man kann dann an der größeren, weiblichen Zelle oft einen beſonderen
Empfängnißfleck“ unterſcheiden und an der kleineren, männlichen Zelle
einen „Befruchtungskegel“.
8) Hauptformen der Cönobien (S. 181). Die zahlreichen Formen
der Zellvereine, die ſehr wichtig ſind als Uebergangsſtufen von den
Protozoen zu den Metazoen, haben bisher nicht die verdiente pſycho-
logiſche Würdigung erfahren. Cönobien von Protophyten bilden viele
Chromaceen, Paulotomeen, Diatomeen, Desmidiaceen, Maſti-
goten
und Melethallien; Zellvereine von Protozoen finden ſich in
mehreren Gruppen der Rhizopoden (Polycyttaria) und der Infuſorien
(ſowohl Flagellaten als Ciliaten; vergl. Syſtem. Phylog. I, S. 58).
Alle dieſe Cönobien entſtehen durch wiederholte Spaltung (meiſtens Thei-
lung, ſeltener Knospung) aus einer einfachen Mutterzelle. Je nach
der beſonderen Form dieſer Spaltung und nach der beſonderen Anordnung
der ſocialen, dadurch entſtandenen Zellen-Generationen kann man vier
Hauptformen
der Cönobien unterſcheiden: 1. Maſſige Zellvereine
(Gregal-Cönobien)
; Gallertmaſſen von kugeliger, cylindriſcher, platten-
förmiger oder unbeſtimmt maſſiger Geſtalt, in denen viele gleichartige Zellen
(meiſt ohne beſtimmte Ordnung) überall vertheilt ſind (die ſtrukturloſe Gallert-
Maſſe, die ſie vereinigt, wird von den Zellen ſelbſt ausgeſchieden). Zu dieſer
Gruppe gehört die Morula. 2. Kugelige Zellvereine (Sphäral-
Cönobien
); Gallertkugeln, an deren Oberfläche die ſocialen Zellen in einer
einfachen Schicht neben einander liegen; die Kugel-Kolonien der Volvocinen
und Haloſphären, der Katallakten und Polycyttarien. Dieſe Form iſt be-
ſonders intereſſant, weil ihre Zuſammenſetzung dieſelbe iſt wie bei der
Blaſtula der Metazoen. Wie in dem Blaſtoderm dieſer letzteren liegen oft
die zahlreichen Zellen der Kugel-Cönobien dicht neben einander und bilden
ein ganz einfaches Epithelium (die älteſte Form des Gewebes!), ſo bei
Magoſphären und Haloſphären. In anderen Fällen dagegen ſind die
ſocialen Zellen durch Zwiſchenräume getrennt und hängen nur durch Plasma-
Brücken zuſammen, als ob ſie ſich „die Hand gäben“ — ſo bei Volvocinen
und Polycyttarien (Sphärozoen, Colloſphären u. ſ. w.). 3. Baum-
förmige Zellvereine
(Arboral-Cönobien); das ganze Zellenſtöckchen
iſt veräſtelt und gleicht einem Blumenſtöckchen; wie die Blumen und Blätter
an den Zweigen des letzteren, ſo ſitzen hier die ſocialen Zellen an den
Haeckel, Welträthſel. 29
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[449/0465] Anmerkungen und Erläuterungen. ⁷⁾ einen kontraktilen „Stielmuskel“ aus, viele Hypotrichen durch einen „Schließ- muskel des Zellenmundes“ u. ſ. w. Auch beſondere Empfindungs-Organelle haben ſich hier entwickelt: feine Taſtborſten über der Hautdecke, Trichocyſten unter derſelben; beſonders differenzirte Flimmerhaare ſind zu Tentacillen, zu Geruchs- und Geſchmacks-Organen umgebildet. Bei denjenigen Infuſorien, welche ſich durch Kopulation von zwei ſchwärmenden Zellen fortpflanzen, iſt eine chemiſche Sinnesthätigkeit anzunehmen, welche dem Geruche höherer Thiere ähnlich iſt; und wenn die beiden kopulirenden Zellen bereits ſexuelle Differenzirung zeigen, gewinnt jener Chemotropismus einen erotiſchen Cha- rakter. Man kann dann an der größeren, weiblichen Zelle oft einen beſonderen „Empfängnißfleck“ unterſcheiden und an der kleineren, männlichen Zelle einen „Befruchtungskegel“. ⁸⁾ Hauptformen der Cönobien (S. 181). Die zahlreichen Formen der Zellvereine, die ſehr wichtig ſind als Uebergangsſtufen von den Protozoen zu den Metazoen, haben bisher nicht die verdiente pſycho- logiſche Würdigung erfahren. Cönobien von Protophyten bilden viele Chromaceen, Paulotomeen, Diatomeen, Desmidiaceen, Maſti- goten und Melethallien; Zellvereine von Protozoen finden ſich in mehreren Gruppen der Rhizopoden (Polycyttaria) und der Infuſorien (ſowohl Flagellaten als Ciliaten; vergl. Syſtem. Phylog. I, S. 58). Alle dieſe Cönobien entſtehen durch wiederholte Spaltung (meiſtens Thei- lung, ſeltener Knospung) aus einer einfachen Mutterzelle. Je nach der beſonderen Form dieſer Spaltung und nach der beſonderen Anordnung der ſocialen, dadurch entſtandenen Zellen-Generationen kann man vier Hauptformen der Cönobien unterſcheiden: 1. Maſſige Zellvereine (Gregal-Cönobien); Gallertmaſſen von kugeliger, cylindriſcher, platten- förmiger oder unbeſtimmt maſſiger Geſtalt, in denen viele gleichartige Zellen (meiſt ohne beſtimmte Ordnung) überall vertheilt ſind (die ſtrukturloſe Gallert- Maſſe, die ſie vereinigt, wird von den Zellen ſelbſt ausgeſchieden). Zu dieſer Gruppe gehört die Morula. 2. Kugelige Zellvereine (Sphäral- Cönobien); Gallertkugeln, an deren Oberfläche die ſocialen Zellen in einer einfachen Schicht neben einander liegen; die Kugel-Kolonien der Volvocinen und Haloſphären, der Katallakten und Polycyttarien. Dieſe Form iſt be- ſonders intereſſant, weil ihre Zuſammenſetzung dieſelbe iſt wie bei der Blaſtula der Metazoen. Wie in dem Blaſtoderm dieſer letzteren liegen oft die zahlreichen Zellen der Kugel-Cönobien dicht neben einander und bilden ein ganz einfaches Epithelium (die älteſte Form des Gewebes!), ſo bei Magoſphären und Haloſphären. In anderen Fällen dagegen ſind die ſocialen Zellen durch Zwiſchenräume getrennt und hängen nur durch Plasma- Brücken zuſammen, als ob ſie ſich „die Hand gäben“ — ſo bei Volvocinen und Polycyttarien (Sphärozoen, Colloſphären u. ſ. w.). 3. Baum- förmige Zellvereine (Arboral-Cönobien); das ganze Zellenſtöckchen iſt veräſtelt und gleicht einem Blumenſtöckchen; wie die Blumen und Blätter an den Zweigen des letzteren, ſo ſitzen hier die ſocialen Zellen an den Haeckel, Welträthſel. 29

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/465>, abgerufen am 21.11.2024.