Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Anmerkungen und Erläuterungen. Taschen oder Ernährungs-Kanälen, die vom Central-Magen (dem Urdarm)abgehen. In der Wand desselben etwickeln sich 4 oder 8 selbstständige Ge- schlechtsdrüsen oder Gonaden, während solche den Polypen noch fehlen; hier entstehen in einfachster Weise einzelne Geschlechtszellen zwischen den gewöhn- lichen indifferenten Zellen der permanenten Keimblätter. Der Unterschied im Körperbau und im Seelenleben dieser beiden Thierklassen ist demnach sehr bedeutend, wohl größer als der entsprechende Unterschied zwischen einem Menschen und einem Fisch oder zwischen einer Ameise und einem Regen- wurm. Groß war daher die Ueberraschung der Zoologen, als 1841 der ausgezeichnete norwegische Naturforscher Sars (ursprünglich protestantischer Landpfarrer, später monistischer Zoologe) die Entdeckung machte, daß beide Thierformen einem und demselben Zeugungskreise angehören. Aus den befruchteten Eiern der Medusen entstehen einfache Polypen, und diese erzeugen wieder Medusen durch Knospung auf ungeschlechtlichem Wege. Steenstrup in Kopenhagen hatte ähnliche Beobachtungen früher schon an Eingeweide-Würmern gemacht und vereinigte nun 1842 alle diese Erschei- nungen unter dem Begriffe des Generations-Wechsels (Metagenesis). Später fand man, daß dieselbe merkwürdige Erscheinung sowohl bei niederen Thieren als Pflanzen (Moosen, Farnen) sehr verbreitet ist. Gewöhnlich wechseln zwei sehr verschiedene Generationen in der Weise mit einander ab, daß die eine geschlechtsreif wird, Eier und Spermen bildet, während die andere ungeschlechtlich bleibt und sich durch Sprossung oder Knospenbildung vermehrt. Für die phylogenetische Psychologie ist nun gerade dieser Generationswechsel der Polypen und Medusen von hervorragen- dem Interesse, weil hier die beiden regelmäßig alternirenden Vertreter einer und derselben Thier-Art nicht allein in der Körperbildung, sondern auch in der Seelenthätigkeit so weit von einander entfernt erscheinen. Wir können hier die Entstehung der höheren Nerven-Seele aus der niederen Gewebe-Seele durch unmittelbare Beobachtung -- gewissermaßen "in statu nascendi" -- verfolgen; und, was besonders wichtig ist, wir können sie durch Nachweis ihrer bewirkenden Ursachen erklären. Ursprung der Nervenseele. Die erste Entstehung des Nerven- systems, der Muskeln und Sinnesorgane, ihr Ursprung aus der einfachen Zellenschicht der Hautdecke (aus dem Ektoderm-Epitel) läßt sich zwar auch beim Menschen und den höheren Thieren ontogenetisch unmittelbar beobachten; aber die phylogenetische Erklärung dieser merkwürdigen Thatsachen läßt sich hier nur indirekt erschließen. Dagegen finden wir die direkte Erklärung derselben in dem eben besprochenen "Generationswechsel" der Polypen und Medusen. Die bewirkende Ursache dieser Metagenesis liegt in der ganz verschiedenen Lebensweise beider Thierformen. Die älteren, auf dem Boden des Meeres gleich Pflanzen festsitzenden Polypen bedurften für ihre einfachen Ansprüche an's Leben weder höherer Sinnesorgane noch gesonderter Muskeln und Nerven; für die Ernährung ihres kleinen bläschenförmigen Körpers genügte die einfache Zellenschicht des Anmerkungen und Erläuterungen. Taſchen oder Ernährungs-Kanälen, die vom Central-Magen (dem Urdarm)abgehen. In der Wand desſelben etwickeln ſich 4 oder 8 ſelbſtſtändige Ge- ſchlechtsdrüſen oder Gonaden, während ſolche den Polypen noch fehlen; hier entſtehen in einfachſter Weiſe einzelne Geſchlechtszellen zwiſchen den gewöhn- lichen indifferenten Zellen der permanenten Keimblätter. Der Unterſchied im Körperbau und im Seelenleben dieſer beiden Thierklaſſen iſt demnach ſehr bedeutend, wohl größer als der entſprechende Unterſchied zwiſchen einem Menſchen und einem Fiſch oder zwiſchen einer Ameiſe und einem Regen- wurm. Groß war daher die Ueberraſchung der Zoologen, als 1841 der ausgezeichnete norwegiſche Naturforſcher Sars (urſprünglich proteſtantiſcher Landpfarrer, ſpäter moniſtiſcher Zoologe) die Entdeckung machte, daß beide Thierformen einem und demſelben Zeugungskreiſe angehören. Aus den befruchteten Eiern der Meduſen entſtehen einfache Polypen, und dieſe erzeugen wieder Meduſen durch Knoſpung auf ungeſchlechtlichem Wege. Steenſtrup in Kopenhagen hatte ähnliche Beobachtungen früher ſchon an Eingeweide-Würmern gemacht und vereinigte nun 1842 alle dieſe Erſchei- nungen unter dem Begriffe des Generations-Wechſels (Metageneſiſ). Später fand man, daß dieſelbe merkwürdige Erſcheinung ſowohl bei niederen Thieren als Pflanzen (Mooſen, Farnen) ſehr verbreitet iſt. Gewöhnlich wechſeln zwei ſehr verſchiedene Generationen in der Weiſe mit einander ab, daß die eine geſchlechtsreif wird, Eier und Spermen bildet, während die andere ungeſchlechtlich bleibt und ſich durch Sproſſung oder Knoſpenbildung vermehrt. Für die phylogenetiſche Pſychologie iſt nun gerade dieſer Generationswechſel der Polypen und Meduſen von hervorragen- dem Intereſſe, weil hier die beiden regelmäßig alternirenden Vertreter einer und derſelben Thier-Art nicht allein in der Körperbildung, ſondern auch in der Seelenthätigkeit ſo weit von einander entfernt erſcheinen. Wir können hier die Entſtehung der höheren Nerven-Seele aus der niederen Gewebe-Seele durch unmittelbare Beobachtung — gewiſſermaßen „in ſtatu naſcendi“ — verfolgen; und, was beſonders wichtig iſt, wir können ſie durch Nachweis ihrer bewirkenden Urſachen erklären. Urſprung der Nervenſeele. Die erſte Entſtehung des Nerven- ſyſtems, der Muskeln und Sinnesorgane, ihr Urſprung aus der einfachen Zellenſchicht der Hautdecke (aus dem Ektoderm-Epitel) läßt ſich zwar auch beim Menſchen und den höheren Thieren ontogenetiſch unmittelbar beobachten; aber die phylogenetiſche Erklärung dieſer merkwürdigen Thatſachen läßt ſich hier nur indirekt erſchließen. Dagegen finden wir die direkte Erklärung derſelben in dem eben beſprochenen „Generationswechſel“ der Polypen und Meduſen. Die bewirkende Urſache dieſer Metageneſis liegt in der ganz verſchiedenen Lebensweiſe beider Thierformen. Die älteren, auf dem Boden des Meeres gleich Pflanzen feſtſitzenden Polypen bedurften für ihre einfachen Anſprüche an's Leben weder höherer Sinnesorgane noch geſonderter Muskeln und Nerven; für die Ernährung ihres kleinen bläschenförmigen Körpers genügte die einfache Zellenſchicht des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <note xml:id="end02_9" prev="#end9" place="end" n="9)"><pb facs="#f0468" n="452"/><fw place="top" type="header">Anmerkungen und Erläuterungen.</fw><lb/> Taſchen oder Ernährungs-Kanälen, die vom Central-Magen (dem Urdarm)<lb/> abgehen. In der Wand desſelben etwickeln ſich 4 oder 8 ſelbſtſtändige Ge-<lb/> ſchlechtsdrüſen oder Gonaden, während ſolche den Polypen noch fehlen; hier<lb/> entſtehen in einfachſter Weiſe einzelne Geſchlechtszellen zwiſchen den gewöhn-<lb/> lichen indifferenten Zellen der permanenten Keimblätter. 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Anmerkungen und Erläuterungen.
⁹⁾
Taſchen oder Ernährungs-Kanälen, die vom Central-Magen (dem Urdarm)
abgehen. In der Wand desſelben etwickeln ſich 4 oder 8 ſelbſtſtändige Ge-
ſchlechtsdrüſen oder Gonaden, während ſolche den Polypen noch fehlen; hier
entſtehen in einfachſter Weiſe einzelne Geſchlechtszellen zwiſchen den gewöhn-
lichen indifferenten Zellen der permanenten Keimblätter. Der Unterſchied
im Körperbau und im Seelenleben dieſer beiden Thierklaſſen iſt demnach
ſehr bedeutend, wohl größer als der entſprechende Unterſchied zwiſchen einem
Menſchen und einem Fiſch oder zwiſchen einer Ameiſe und einem Regen-
wurm. Groß war daher die Ueberraſchung der Zoologen, als 1841 der
ausgezeichnete norwegiſche Naturforſcher Sars (urſprünglich proteſtantiſcher
Landpfarrer, ſpäter moniſtiſcher Zoologe) die Entdeckung machte, daß beide
Thierformen einem und demſelben Zeugungskreiſe angehören. Aus den
befruchteten Eiern der Meduſen entſtehen einfache Polypen, und dieſe
erzeugen wieder Meduſen durch Knoſpung auf ungeſchlechtlichem Wege.
Steenſtrup in Kopenhagen hatte ähnliche Beobachtungen früher ſchon an
Eingeweide-Würmern gemacht und vereinigte nun 1842 alle dieſe Erſchei-
nungen unter dem Begriffe des Generations-Wechſels (Metageneſiſ).
Später fand man, daß dieſelbe merkwürdige Erſcheinung ſowohl bei niederen
Thieren als Pflanzen (Mooſen, Farnen) ſehr verbreitet iſt. Gewöhnlich
wechſeln zwei ſehr verſchiedene Generationen in der Weiſe mit einander ab,
daß die eine geſchlechtsreif wird, Eier und Spermen bildet, während die
andere ungeſchlechtlich bleibt und ſich durch Sproſſung oder Knoſpenbildung
vermehrt.
Für die phylogenetiſche Pſychologie iſt nun gerade dieſer
Generationswechſel der Polypen und Meduſen von hervorragen-
dem Intereſſe, weil hier die beiden regelmäßig alternirenden Vertreter einer
und derſelben Thier-Art nicht allein in der Körperbildung, ſondern auch
in der Seelenthätigkeit ſo weit von einander entfernt erſcheinen. Wir können
hier die Entſtehung der höheren Nerven-Seele aus der niederen Gewebe-Seele
durch unmittelbare Beobachtung — gewiſſermaßen „in ſtatu naſcendi“ —
verfolgen; und, was beſonders wichtig iſt, wir können ſie durch Nachweis
ihrer bewirkenden Urſachen erklären.
Urſprung der Nervenſeele. Die erſte Entſtehung des Nerven-
ſyſtems, der Muskeln und Sinnesorgane, ihr Urſprung aus der einfachen
Zellenſchicht der Hautdecke (aus dem Ektoderm-Epitel) läßt ſich zwar auch
beim Menſchen und den höheren Thieren ontogenetiſch unmittelbar
beobachten; aber die phylogenetiſche Erklärung dieſer merkwürdigen
Thatſachen läßt ſich hier nur indirekt erſchließen. Dagegen finden wir die
direkte Erklärung derſelben in dem eben beſprochenen „Generationswechſel“
der Polypen und Meduſen. Die bewirkende Urſache dieſer Metageneſis
liegt in der ganz verſchiedenen Lebensweiſe beider Thierformen.
Die älteren, auf dem Boden des Meeres gleich Pflanzen feſtſitzenden
Polypen bedurften für ihre einfachen Anſprüche an's Leben weder höherer
Sinnesorgane noch geſonderter Muskeln und Nerven; für die Ernährung
ihres kleinen bläschenförmigen Körpers genügte die einfache Zellenſchicht des
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