Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Anmerkungen und Erläuterungen. inneren Keimblattes (Ektoderm); ebenso wie das einfache Epithel des äußerenKeimblattes, mit seinen unbedeutenden Anfängen histologischer Differenzirung, hinreichte, um ihre einförmigen Empfindungen und Reizbewegungen aus- zuführen. Ganz anders bei den großen, freischwimmenden Medusen; wie ich in meiner Monographie dieser schönen und hochinteressanten Thiere (1864-1882) gezeigt habe, sind durch ihre Anpassung an die eigenthümlichen pelagischen Existenz-Bedingungen ihre Sinnesorgane, Muskeln und Nerven nicht weniger vollkommen ausgebildet und gesondert als bei vielen höheren Thieren; und zur Ernährung derselben hat sich ein komplizirtes Gastro- kanal-System entwickelt. Der feinere Bau ihrer Seelen-Organe, den uns zuerst Richard Hertwig 1882 näher kennen lehrte, entspricht den ge- steigerten Ansprüchen, welche die frei schwimmende Lebensweise an diese Raubthiere stellt: Augen, Hörbläschen (-- zugleich Organe des Gleichgewichts- Gefühls --), chemische (Geruchs- und Geschmacks-) Werkzeuge sind durch die Unterscheidung und Wahrnehmung der verschiedenen Reize entstanden; die willkürlichen Bewegungen beim Schwimmen, beim Fangen der Beute, bei der Nahrungsaufnahme, beim Kampfe mit Feinden u. s. w. haben zur Sonderung von Muskelgruppen geführt; die geregelte Verknüpfung endlich von diesen motorischen und jenen sensiblen Organen hat die Entwickelung der 4-8 Strahlgehirne am Schirmrand und des sie verbindenden Nerven- ringes bewirkt. Wenn nun aber aus den befruchteten Eiern dieser Medusen sich wieder einfache Polypen entwickeln, erklärt sich dieser Rückschlag durch die Gesetze der latenten Vererbung. 10) Psychologie der Affen (S. 194). Da die Affen, und besonders die Menschen-Affen, nicht nur im Körperbau und der Entwickelungsweise den Menschen am nächsten stehen, sondern auch in allen Beziehungen des Seelenlebens, kann das vergleichende Studium der Affenseele unseren sogenannten "Psychologen vom Fach" nicht dringend genug em- pfohlen werden. Ebenso belehrend als unterhaltend ist dafür namentlich der Besuch der zoologischen Gärten, der Affen-Theater u. s. w. Aber auch der Besuch des Zirkus und des Hunde-Theaters ist nicht minder lehrreich. Die erstaunlichen Resultate, welche die moderne Thierdressur nicht nur in der Ausbildung von Hunden, Pferden und Elephanten, sondern auch in der Erziehung von wilden Raubthieren, Hufthieren, Nagethieren und anderen niederen Säugethieren erzielt hat, müssen für jeden unbefangenen Psycho- logen bei eingehendem Studium einer Quelle der wichtigsten monistischen Seelen-Erkenntniß werden. Abgesehen hiervon ist der Besuch solcher Vor- stellungen viel unterhaltender und erweitert viel mehr den anthropologischen Blick als das langweilige und theilweise geradezu verdummende Studium der metaphysischen Hirngespinnste, welche die sogenannte "reine introspektive Psychologie" in Tausenden von Büchern und Abhandlungen nieder- gelegt hat. 11) Teleologie von Kant (S. 299). Durch die erstaunlichen Fortschritte der modernen Biologie ist die teleologische Natur-Erklärung von Anmerkungen und Erläuterungen. inneren Keimblattes (Ektoderm); ebenſo wie das einfache Epithel des äußerenKeimblattes, mit ſeinen unbedeutenden Anfängen hiſtologiſcher Differenzirung, hinreichte, um ihre einförmigen Empfindungen und Reizbewegungen aus- zuführen. Ganz anders bei den großen, freiſchwimmenden Meduſen; wie ich in meiner Monographie dieſer ſchönen und hochintereſſanten Thiere (1864-1882) gezeigt habe, ſind durch ihre Anpaſſung an die eigenthümlichen pelagiſchen Exiſtenz-Bedingungen ihre Sinnesorgane, Muskeln und Nerven nicht weniger vollkommen ausgebildet und geſondert als bei vielen höheren Thieren; und zur Ernährung derſelben hat ſich ein komplizirtes Gaſtro- kanal-Syſtem entwickelt. Der feinere Bau ihrer Seelen-Organe, den uns zuerſt Richard Hertwig 1882 näher kennen lehrte, entſpricht den ge- ſteigerten Anſprüchen, welche die frei ſchwimmende Lebensweiſe an dieſe Raubthiere ſtellt: Augen, Hörbläschen (— zugleich Organe des Gleichgewichts- Gefühls —), chemiſche (Geruchs- und Geſchmacks-) Werkzeuge ſind durch die Unterſcheidung und Wahrnehmung der verſchiedenen Reize entſtanden; die willkürlichen Bewegungen beim Schwimmen, beim Fangen der Beute, bei der Nahrungsaufnahme, beim Kampfe mit Feinden u. ſ. w. haben zur Sonderung von Muskelgruppen geführt; die geregelte Verknüpfung endlich von dieſen motoriſchen und jenen ſenſiblen Organen hat die Entwickelung der 4-8 Strahlgehirne am Schirmrand und des ſie verbindenden Nerven- ringes bewirkt. Wenn nun aber aus den befruchteten Eiern dieſer Meduſen ſich wieder einfache Polypen entwickeln, erklärt ſich dieſer Rückſchlag durch die Geſetze der latenten Vererbung. 10) Pſychologie der Affen (S. 194). Da die Affen, und beſonders die Menſchen-Affen, nicht nur im Körperbau und der Entwickelungsweiſe den Menſchen am nächſten ſtehen, ſondern auch in allen Beziehungen des Seelenlebens, kann das vergleichende Studium der Affenſeele unſeren ſogenannten „Pſychologen vom Fach“ nicht dringend genug em- pfohlen werden. Ebenſo belehrend als unterhaltend iſt dafür namentlich der Beſuch der zoologiſchen Gärten, der Affen-Theater u. ſ. w. Aber auch der Beſuch des Zirkus und des Hunde-Theaters iſt nicht minder lehrreich. Die erſtaunlichen Reſultate, welche die moderne Thierdreſſur nicht nur in der Ausbildung von Hunden, Pferden und Elephanten, ſondern auch in der Erziehung von wilden Raubthieren, Hufthieren, Nagethieren und anderen niederen Säugethieren erzielt hat, müſſen für jeden unbefangenen Pſycho- logen bei eingehendem Studium einer Quelle der wichtigſten moniſtiſchen Seelen-Erkenntniß werden. Abgeſehen hiervon iſt der Beſuch ſolcher Vor- ſtellungen viel unterhaltender und erweitert viel mehr den anthropologiſchen Blick als das langweilige und theilweiſe geradezu verdummende Studium der metaphyſiſchen Hirngeſpinnſte, welche die ſogenannte „reine introſpektive Pſychologie“ in Tauſenden von Büchern und Abhandlungen nieder- gelegt hat. 11) Teleologie von Kant (S. 299). Durch die erſtaunlichen Fortſchritte der modernen Biologie iſt die teleologiſche Natur-Erklärung von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <note xml:id="end02_9" prev="#end9" place="end" n="9)"><pb facs="#f0469" n="453"/><fw place="top" type="header">Anmerkungen und Erläuterungen.</fw><lb/> inneren Keimblattes (Ektoderm); ebenſo wie das einfache Epithel des äußeren<lb/> Keimblattes, mit ſeinen unbedeutenden Anfängen hiſtologiſcher Differenzirung,<lb/> hinreichte, um ihre einförmigen Empfindungen und Reizbewegungen aus-<lb/> zuführen. 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Anmerkungen und Erläuterungen.
⁹⁾
inneren Keimblattes (Ektoderm); ebenſo wie das einfache Epithel des äußeren
Keimblattes, mit ſeinen unbedeutenden Anfängen hiſtologiſcher Differenzirung,
hinreichte, um ihre einförmigen Empfindungen und Reizbewegungen aus-
zuführen. Ganz anders bei den großen, freiſchwimmenden Meduſen; wie
ich in meiner Monographie dieſer ſchönen und hochintereſſanten Thiere
(1864-1882) gezeigt habe, ſind durch ihre Anpaſſung an die eigenthümlichen
pelagiſchen Exiſtenz-Bedingungen ihre Sinnesorgane, Muskeln und Nerven
nicht weniger vollkommen ausgebildet und geſondert als bei vielen höheren
Thieren; und zur Ernährung derſelben hat ſich ein komplizirtes Gaſtro-
kanal-Syſtem entwickelt. Der feinere Bau ihrer Seelen-Organe, den uns
zuerſt Richard Hertwig 1882 näher kennen lehrte, entſpricht den ge-
ſteigerten Anſprüchen, welche die frei ſchwimmende Lebensweiſe an dieſe
Raubthiere ſtellt: Augen, Hörbläschen (— zugleich Organe des Gleichgewichts-
Gefühls —), chemiſche (Geruchs- und Geſchmacks-) Werkzeuge ſind durch
die Unterſcheidung und Wahrnehmung der verſchiedenen Reize entſtanden;
die willkürlichen Bewegungen beim Schwimmen, beim Fangen der Beute,
bei der Nahrungsaufnahme, beim Kampfe mit Feinden u. ſ. w. haben zur
Sonderung von Muskelgruppen geführt; die geregelte Verknüpfung endlich
von dieſen motoriſchen und jenen ſenſiblen Organen hat die Entwickelung
der 4-8 Strahlgehirne am Schirmrand und des ſie verbindenden Nerven-
ringes bewirkt. Wenn nun aber aus den befruchteten Eiern dieſer Meduſen
ſich wieder einfache Polypen entwickeln, erklärt ſich dieſer Rückſchlag durch
die Geſetze der latenten Vererbung.
¹⁰⁾ Pſychologie der Affen (S. 194). Da die Affen, und beſonders die
Menſchen-Affen, nicht nur im Körperbau und der Entwickelungsweiſe den
Menſchen am nächſten ſtehen, ſondern auch in allen Beziehungen des
Seelenlebens, kann das vergleichende Studium der Affenſeele
unſeren ſogenannten „Pſychologen vom Fach“ nicht dringend genug em-
pfohlen werden. Ebenſo belehrend als unterhaltend iſt dafür namentlich
der Beſuch der zoologiſchen Gärten, der Affen-Theater u. ſ. w. Aber auch
der Beſuch des Zirkus und des Hunde-Theaters iſt nicht minder lehrreich.
Die erſtaunlichen Reſultate, welche die moderne Thierdreſſur nicht nur
in der Ausbildung von Hunden, Pferden und Elephanten, ſondern auch in
der Erziehung von wilden Raubthieren, Hufthieren, Nagethieren und anderen
niederen Säugethieren erzielt hat, müſſen für jeden unbefangenen Pſycho-
logen bei eingehendem Studium einer Quelle der wichtigſten moniſtiſchen
Seelen-Erkenntniß werden. Abgeſehen hiervon iſt der Beſuch ſolcher Vor-
ſtellungen viel unterhaltender und erweitert viel mehr den anthropologiſchen
Blick als das langweilige und theilweiſe geradezu verdummende Studium
der metaphyſiſchen Hirngeſpinnſte, welche die ſogenannte „reine introſpektive
Pſychologie“ in Tauſenden von Büchern und Abhandlungen nieder-
gelegt hat.
¹¹⁾ Teleologie von Kant (S. 299). Durch die erſtaunlichen Fortſchritte
der modernen Biologie iſt die teleologiſche Natur-Erklärung von
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