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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Anmerkungen und Erläuterungen.
thätigkeit hinzu. Zuletzt erst fragte man sich: wo, wie, von wem ist er
geboren? wie lange hat er gelebt? u. a. Sobald einmal das Beispiel
einer solchen Dichtung (wie die später "Nach Markus", dann "Evangelium
nach Markus" genannte) gegeben war, ergoß sich eine Flut ähnlicher
Dichtungen, zum Theil geschmackloser Zerrbilder, zum Theil in den Grenzen
einer Art Möglichkeit gehaltener Lebensbilder. Jede Gegend, ja jede be-
deutendere Gemeinde hatte ihr Evangelium, und oft nannte sich dieses nach
einem bekannt gewordenen Namen: unter solchem fremden Namen zu
schreiben, galt für durchaus erlaubt.
"Diese "Evangelien"-Dichtungen versetzen ihren Helden in die erste
Hälfte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Aber weder jüdische
Schriftsteller (wie Philo und Josephus) noch römische und griechische (wie
Tacitus, Sueton, Plinius, Dio Cassius) dieser und der nächstfolgenden
Zeit kennen einen solchen "Jesus von Nazaret" oder die aus seinem
Leben erzählten Vorfälle; ja nicht einmal eine Stadt Nazaret ist bekannt."
13) Christus und Buddha (S. 376). Dem ausgezeichneten Werke von
S. E. Verus: "Vergleichende Uebersicht der vier Evangelien" (Einzig vor-
handene Quelle für ein Leben Jesu, Leipzig 1897) entnehme ich folgende
Mittheilung: "Professor Rudolf Seydel hat in mehreren fleißigen Ar-
beiten, die auch von namhaften theologischen Gelehrten, wie Professor
Pfleiderer, anerkannt werden, die "Evangelien-Dichtungen" mit
den verschiedenen, nachweislich vor unserer Zeitrechnung entstandenen,
indischen und chinesischen Lebensbeschreibungen Buddhas verglichen und
Folgendes als zweifellos festgestellt: Die Grundlage des Lebens der
beiden "Religionsstifter" bildet ein belehrendes und heilendes Wander-
leben, meist in Begleitung von Schülern, bisweilen unterbrochen von Ruhe-
pausen (Gastmäler, Wüsteneinsamkeit); daneben Predigten auf Bergen und
Aufenthalt in der Hauptstadt nach feierlichem Einzuge. Aber auch in
vielen Einzelheiten und ihrer Reihenfolge zeigt sich eine überraschende Ueber-
einstimmung.
"Buddha ist ein fleischgewordener Gott, als Mensch königlicher Ab-
kunft. Er wird auf übernatürliche Weise gezeugt und geboren, seine Geburt
auf wunderbare Weise vorher verkündet. Götter und Könige huldigen dem
Neugeborenen und bringen ihm Geschenke dar. Ein alter Brahmane er-
kennt in ihm sofort den Erlöser von allen Uebeln. Friede und Freude zieht
auf Erden ein. Der junge Buddha wird verfolgt und wunderbar gerettet,
feierlich im Tempel dargestellt, als zwölfjähriger Knabe von den Eltern
mit Sorgen gesucht und mitten unter Priestern wiedergefunden. Er ist
frühreif, übertrifft seine Lehrer und nimmt zu an Alter und Weisheit. Er
fastet und wird versucht. Er nimmt ein Weihebad im heiligen Flusse.
Einzelne Schüler eines weisen Brahmanen gehen zu ihm über. Berufungs-
wort ist "Folge mir". Einen Schüler weiht er nach indischem Brauch
unter einem Feigenbaum. Unter den Zwölfen sind drei Musterschüler und
einer ein ungerathener. Die früheren Namen der Schüler werden ge-
Anmerkungen und Erläuterungen.
thätigkeit hinzu. Zuletzt erſt fragte man ſich: wo, wie, von wem iſt er
geboren? wie lange hat er gelebt? u. a. Sobald einmal das Beiſpiel
einer ſolchen Dichtung (wie die ſpäter „Nach Markus“, dann „Evangelium
nach Markus“ genannte) gegeben war, ergoß ſich eine Flut ähnlicher
Dichtungen, zum Theil geſchmackloſer Zerrbilder, zum Theil in den Grenzen
einer Art Möglichkeit gehaltener Lebensbilder. Jede Gegend, ja jede be-
deutendere Gemeinde hatte ihr Evangelium, und oft nannte ſich dieſes nach
einem bekannt gewordenen Namen: unter ſolchem fremden Namen zu
ſchreiben, galt für durchaus erlaubt.
„Dieſe „Evangelien“-Dichtungen verſetzen ihren Helden in die erſte
Hälfte des erſten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung. Aber weder jüdiſche
Schriftſteller (wie Philo und Joſephus) noch römiſche und griechiſche (wie
Tacitus, Sueton, Plinius, Dio Caſſius) dieſer und der nächſtfolgenden
Zeit kennen einen ſolchen „Jeſus von Nazaret“ oder die aus ſeinem
Leben erzählten Vorfälle; ja nicht einmal eine Stadt Nazaret iſt bekannt.“
13) Chriſtus und Buddha (S. 376). Dem ausgezeichneten Werke von
S. E. Verus: „Vergleichende Ueberſicht der vier Evangelien“ (Einzig vor-
handene Quelle für ein Leben Jeſu, Leipzig 1897) entnehme ich folgende
Mittheilung: „Profeſſor Rudolf Seydel hat in mehreren fleißigen Ar-
beiten, die auch von namhaften theologiſchen Gelehrten, wie Profeſſor
Pfleiderer, anerkannt werden, die „Evangelien-Dichtungen“ mit
den verſchiedenen, nachweislich vor unſerer Zeitrechnung entſtandenen,
indiſchen und chineſiſchen Lebensbeſchreibungen Buddhas verglichen und
Folgendes als zweifellos feſtgeſtellt: Die Grundlage des Lebens der
beiden „Religionsſtifter“ bildet ein belehrendes und heilendes Wander-
leben, meiſt in Begleitung von Schülern, bisweilen unterbrochen von Ruhe-
pauſen (Gaſtmäler, Wüſteneinſamkeit); daneben Predigten auf Bergen und
Aufenthalt in der Hauptſtadt nach feierlichem Einzuge. Aber auch in
vielen Einzelheiten und ihrer Reihenfolge zeigt ſich eine überraſchende Ueber-
einſtimmung.
Buddha iſt ein fleiſchgewordener Gott, als Menſch königlicher Ab-
kunft. Er wird auf übernatürliche Weiſe gezeugt und geboren, ſeine Geburt
auf wunderbare Weiſe vorher verkündet. Götter und Könige huldigen dem
Neugeborenen und bringen ihm Geſchenke dar. Ein alter Brahmane er-
kennt in ihm ſofort den Erlöſer von allen Uebeln. Friede und Freude zieht
auf Erden ein. Der junge Buddha wird verfolgt und wunderbar gerettet,
feierlich im Tempel dargeſtellt, als zwölfjähriger Knabe von den Eltern
mit Sorgen geſucht und mitten unter Prieſtern wiedergefunden. Er iſt
frühreif, übertrifft ſeine Lehrer und nimmt zu an Alter und Weisheit. Er
faſtet und wird verſucht. Er nimmt ein Weihebad im heiligen Fluſſe.
Einzelne Schüler eines weiſen Brahmanen gehen zu ihm über. Berufungs-
wort iſt „Folge mir“. Einen Schüler weiht er nach indiſchem Brauch
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[457/0473] Anmerkungen und Erläuterungen. ¹²⁾ thätigkeit hinzu. Zuletzt erſt fragte man ſich: wo, wie, von wem iſt er geboren? wie lange hat er gelebt? u. a. Sobald einmal das Beiſpiel einer ſolchen Dichtung (wie die ſpäter „Nach Markus“, dann „Evangelium nach Markus“ genannte) gegeben war, ergoß ſich eine Flut ähnlicher Dichtungen, zum Theil geſchmackloſer Zerrbilder, zum Theil in den Grenzen einer Art Möglichkeit gehaltener Lebensbilder. Jede Gegend, ja jede be- deutendere Gemeinde hatte ihr Evangelium, und oft nannte ſich dieſes nach einem bekannt gewordenen Namen: unter ſolchem fremden Namen zu ſchreiben, galt für durchaus erlaubt. „Dieſe „Evangelien“-Dichtungen verſetzen ihren Helden in die erſte Hälfte des erſten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung. Aber weder jüdiſche Schriftſteller (wie Philo und Joſephus) noch römiſche und griechiſche (wie Tacitus, Sueton, Plinius, Dio Caſſius) dieſer und der nächſtfolgenden Zeit kennen einen ſolchen „Jeſus von Nazaret“ oder die aus ſeinem Leben erzählten Vorfälle; ja nicht einmal eine Stadt Nazaret iſt bekannt.“ ¹³⁾ Chriſtus und Buddha (S. 376). Dem ausgezeichneten Werke von S. E. Verus: „Vergleichende Ueberſicht der vier Evangelien“ (Einzig vor- handene Quelle für ein Leben Jeſu, Leipzig 1897) entnehme ich folgende Mittheilung: „Profeſſor Rudolf Seydel hat in mehreren fleißigen Ar- beiten, die auch von namhaften theologiſchen Gelehrten, wie Profeſſor Pfleiderer, anerkannt werden, die „Evangelien-Dichtungen“ mit den verſchiedenen, nachweislich vor unſerer Zeitrechnung entſtandenen, indiſchen und chineſiſchen Lebensbeſchreibungen Buddhas verglichen und Folgendes als zweifellos feſtgeſtellt: Die Grundlage des Lebens der beiden „Religionsſtifter“ bildet ein belehrendes und heilendes Wander- leben, meiſt in Begleitung von Schülern, bisweilen unterbrochen von Ruhe- pauſen (Gaſtmäler, Wüſteneinſamkeit); daneben Predigten auf Bergen und Aufenthalt in der Hauptſtadt nach feierlichem Einzuge. Aber auch in vielen Einzelheiten und ihrer Reihenfolge zeigt ſich eine überraſchende Ueber- einſtimmung. „Buddha iſt ein fleiſchgewordener Gott, als Menſch königlicher Ab- kunft. Er wird auf übernatürliche Weiſe gezeugt und geboren, ſeine Geburt auf wunderbare Weiſe vorher verkündet. Götter und Könige huldigen dem Neugeborenen und bringen ihm Geſchenke dar. Ein alter Brahmane er- kennt in ihm ſofort den Erlöſer von allen Uebeln. Friede und Freude zieht auf Erden ein. Der junge Buddha wird verfolgt und wunderbar gerettet, feierlich im Tempel dargeſtellt, als zwölfjähriger Knabe von den Eltern mit Sorgen geſucht und mitten unter Prieſtern wiedergefunden. Er iſt frühreif, übertrifft ſeine Lehrer und nimmt zu an Alter und Weisheit. Er faſtet und wird verſucht. Er nimmt ein Weihebad im heiligen Fluſſe. Einzelne Schüler eines weiſen Brahmanen gehen zu ihm über. Berufungs- wort iſt „Folge mir“. Einen Schüler weiht er nach indiſchem Brauch unter einem Feigenbaum. Unter den Zwölfen ſind drei Muſterſchüler und einer ein ungerathener. Die früheren Namen der Schüler werden ge-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/473>, abgerufen am 21.11.2024.