Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742."und entschliesset sich, seine Weinflasche oder seine Schöne zu ver- Einfälle 20 [Spaltenumbruch]
S. The Works of John Sheffield, Duke of buckingham, Vol. I. pag. 131. Hieher gehört auch, was Boileau in seiner Dichtkunst [Chant. II. v. 191-204] erinnert. 21 [Spaltenumbruch]
1688. 22 [Spaltenumbruch]
Die Reinigkeit der Sprache ist
wohl unstreitig eine der vornehmsten Eigenschaften der Rede überhaupt und insonderheit der gebundenen. Wie vie- le Gedichte gefallen, und wie mancher er- hält den Namen eines Dichters, blosser- dings durch grammatische Vollkommen- heiten! Richtige Ausdrücke und zierli- che Wortfügungen müssen also auch der lyrischen Poesie nicht fehlen: sie sind aber [Spaltenumbruch] Liedern, wie es mir scheint, nicht so ei- gen, als den Oden und der höheren poe- tischen Schreibart. Es ist ja erlaubt und gewöhnlich gnug, in der pöbelhaf- ten Mundart und in einem seltsamen Character, Lieder abzufassen, welche sich auf eine andre Art beliebt und unvergeß- lich machen müssen, als durch die sorg- fältigste Beobachtung der Regeln der Sprachkunst. Wer nun diese ängstli- che Sorgfalt von einem Liederdichter, der juvenum curas & libera vina besingt, so sehr als von einem andern erheischen wollte, der würde sich gewiß eben so lä- cherlich machen, als wenn er jeden scherz- haften Einfall und jeden Ausdruck eines Liedes nach den Sätzen der strengsten Sittenlehre erklären, oder nach der Er- leuchtung der Methodisten und andrer Heiligen beurtheilen, oder endlich allen Nachfolgern des Horaz, durch einen Machtspruch, auferlegen dürfte, nur für die liebe Jugend und unbärtige Leser zu schreiben. “und entſchlieſſet ſich, ſeine Weinflaſche oder ſeine Schoͤne zu ver- Einfaͤlle 20 [Spaltenumbruch]
S. The Works of John Sheffield, Duke of buckingham, Vol. I. pag. 131. Hieher gehoͤrt auch, was Boileau in ſeiner Dichtkunſt [Chant. II. v. 191-204] eriñert. 21 [Spaltenumbruch]
1688. 22 [Spaltenumbruch]
Die Reinigkeit der Sprache iſt
wohl unſtreitig eine der vornehmſten Eigenſchaften der Rede uͤberhaupt und inſonderheit der gebundenen. Wie vie- le Gedichte gefallen, und wie mancher er- haͤlt den Namen eines Dichters, bloſſer- dings durch grammatiſche Vollkommen- heiten! Richtige Ausdruͤcke und zierli- che Wortfuͤgungen muͤſſen alſo auch der lyriſchen Poeſie nicht fehlen: ſie ſind aber [Spaltenumbruch] Liedern, wie es mir ſcheint, nicht ſo ei- gen, als den Oden und der hoͤheren poe- tiſchen Schreibart. Es iſt ja erlaubt und gewoͤhnlich gnug, in der poͤbelhaf- ten Mundart und in einem ſeltſamen Character, Lieder abzufaſſen, welche ſich auf eine andre Art beliebt und unvergeß- lich machen muͤſſen, als durch die ſorg- faͤltigſte Beobachtung der Regeln der Sprachkunſt. Wer nun dieſe aͤngſtli- che Sorgfalt von einem Liederdichter, der juvenum curas & libera vina beſingt, ſo ſehr als von einem andern erheiſchen wollte, der wuͤrde ſich gewiß eben ſo laͤ- cherlich machen, als wenn er jeden ſcherz- haften Einfall und jeden Ausdruck eines Liedes nach den Saͤtzen der ſtrengſten Sittenlehre erklaͤren, oder nach der Er- leuchtung der Methodiſten und andrer Heiligen beurtheilen, oder endlich allen Nachfolgern des Horaz, durch einen Machtſpruch, auferlegen duͤrfte, nur fuͤr die liebe Jugend und unbaͤrtige Leſer zu ſchreiben. <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0014"/> “und entſchlieſſet ſich, ſeine Weinflaſche oder ſeine Schoͤne zu ver-<lb/> “ewigen. <note place="foot" n="20"><cb/><cit><quote><lg rendition="#aq #i" type="poem"><l>Firſt then of <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">songs,</hi></hi> which now ſo</l><lb/><l><hi rendition="#et">much abound,</hi></l><lb/><l>Without bis Song no Fop is to be found;</l><lb/><l>Amoſt offenſive Weapon, which he draws</l><lb/><l>On all be meets without <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">apollo’s</hi></hi></l><lb/><l><hi rendition="#et">Laws.</hi></l><lb/><l>Tho’ nothing ſeems more eaſy, yet no</l><lb/><l><hi rendition="#et">Part</hi></l><lb/><l>Of Poetry requires a nicer Art. &c.</l></lg></quote></cit><lb/> S. <hi rendition="#aq">The Works of John Sheffield, Duke<lb/> of <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">buckingham,</hi></hi> Vol. I. pag.</hi> 131.<lb/> Hieher gehoͤrt auch, was <hi rendition="#aq">Boileau</hi> in ſeiner<lb/> Dichtkunſt [<hi rendition="#aq">Chant. II. v.</hi> 191-204] eriñert.</note> Mit welcher Menge laͤppiſcher Werke ſind wir, um<lb/> “nicht weiter zuruͤck zu gehen, nur ſeit der groſſen Staatsver-<lb/> “aͤnderung <note place="foot" n="21"><cb/> 1688.</note> beſchweret worden! Ohne Zweifel iſt die Urſache<lb/> “groſſentheils dieſe, daß man von den Eigenſchaften ſolcher kleinen<lb/> “Gedichte keinen rechten Begriff hat. Es iſt wahr, ſie erfordern<lb/> “eben keine Hoheit der Gedanken, noch eine beſondre Faͤhigkeit,<lb/> “noch eine Kenntniß, die ſehr weit gehet. Hingegen erheiſchen<lb/> “ſie eine genaue Kunſtrichtigkeit, die groͤſſte Zaͤrtlichkeit des Ge-<lb/> “ſchmacks, eine vollkommne Reinigkeit in der Schreibart, <note place="foot" n="22"><cb/> Die Reinigkeit der Sprache iſt<lb/> wohl unſtreitig eine der vornehmſten<lb/> Eigenſchaften der Rede uͤberhaupt und<lb/> inſonderheit der gebundenen. Wie vie-<lb/> le Gedichte gefallen, und wie mancher er-<lb/> haͤlt den Namen eines Dichters, bloſſer-<lb/> dings durch grammatiſche Vollkommen-<lb/> heiten! Richtige Ausdruͤcke und zierli-<lb/> che Wortfuͤgungen muͤſſen alſo auch der<lb/> lyriſchen Poeſie nicht fehlen: ſie ſind aber<lb/><cb/> Liedern, wie es mir ſcheint, nicht ſo ei-<lb/> gen, als den Oden und der hoͤheren poe-<lb/> tiſchen Schreibart. Es iſt ja erlaubt<lb/> und gewoͤhnlich gnug, in der poͤbelhaf-<lb/> ten Mundart und in einem ſeltſamen<lb/> Character, Lieder abzufaſſen, welche ſich<lb/> auf eine andre Art beliebt und unvergeß-<lb/> lich machen muͤſſen, als durch die ſorg-<lb/> faͤltigſte Beobachtung der Regeln der<lb/> Sprachkunſt. Wer nun dieſe aͤngſtli-<lb/> che Sorgfalt von einem Liederdichter, der<lb/><hi rendition="#aq">juvenum curas & libera vina</hi> beſingt, ſo<lb/> ſehr als von einem andern erheiſchen<lb/> wollte, der wuͤrde ſich gewiß eben ſo laͤ-<lb/> cherlich machen, als wenn er jeden ſcherz-<lb/> haften Einfall und jeden Ausdruck eines<lb/> Liedes nach den Saͤtzen der ſtrengſten<lb/> Sittenlehre erklaͤren, oder nach der Er-<lb/> leuchtung der Methodiſten und andrer<lb/> Heiligen beurtheilen, oder endlich allen<lb/> Nachfolgern des Horaz, durch einen<lb/> Machtſpruch, auferlegen duͤrfte, nur<lb/> fuͤr die liebe Jugend und unbaͤrtige Leſer<lb/> zu ſchreiben.</note> ein<lb/> “Sylbenmaaß, das vor allen andern leicht, angenehm und flieſſend<lb/> “iſt, einen ungezwungenen zierlichen Schwung des Witzes und der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Einfaͤlle</fw><lb/></p> </body> </text> </TEI> [0014]
“und entſchlieſſet ſich, ſeine Weinflaſche oder ſeine Schoͤne zu ver-
“ewigen. 20 Mit welcher Menge laͤppiſcher Werke ſind wir, um
“nicht weiter zuruͤck zu gehen, nur ſeit der groſſen Staatsver-
“aͤnderung 21 beſchweret worden! Ohne Zweifel iſt die Urſache
“groſſentheils dieſe, daß man von den Eigenſchaften ſolcher kleinen
“Gedichte keinen rechten Begriff hat. Es iſt wahr, ſie erfordern
“eben keine Hoheit der Gedanken, noch eine beſondre Faͤhigkeit,
“noch eine Kenntniß, die ſehr weit gehet. Hingegen erheiſchen
“ſie eine genaue Kunſtrichtigkeit, die groͤſſte Zaͤrtlichkeit des Ge-
“ſchmacks, eine vollkommne Reinigkeit in der Schreibart, 22 ein
“Sylbenmaaß, das vor allen andern leicht, angenehm und flieſſend
“iſt, einen ungezwungenen zierlichen Schwung des Witzes und der
Einfaͤlle
20
Firſt then of songs, which now ſo
much abound,
Without bis Song no Fop is to be found;
Amoſt offenſive Weapon, which he draws
On all be meets without apollo’s
Laws.
Tho’ nothing ſeems more eaſy, yet no
Part
Of Poetry requires a nicer Art. &c.
S. The Works of John Sheffield, Duke
of buckingham, Vol. I. pag. 131.
Hieher gehoͤrt auch, was Boileau in ſeiner
Dichtkunſt [Chant. II. v. 191-204] eriñert.
21
1688.
22
Die Reinigkeit der Sprache iſt
wohl unſtreitig eine der vornehmſten
Eigenſchaften der Rede uͤberhaupt und
inſonderheit der gebundenen. Wie vie-
le Gedichte gefallen, und wie mancher er-
haͤlt den Namen eines Dichters, bloſſer-
dings durch grammatiſche Vollkommen-
heiten! Richtige Ausdruͤcke und zierli-
che Wortfuͤgungen muͤſſen alſo auch der
lyriſchen Poeſie nicht fehlen: ſie ſind aber
Liedern, wie es mir ſcheint, nicht ſo ei-
gen, als den Oden und der hoͤheren poe-
tiſchen Schreibart. Es iſt ja erlaubt
und gewoͤhnlich gnug, in der poͤbelhaf-
ten Mundart und in einem ſeltſamen
Character, Lieder abzufaſſen, welche ſich
auf eine andre Art beliebt und unvergeß-
lich machen muͤſſen, als durch die ſorg-
faͤltigſte Beobachtung der Regeln der
Sprachkunſt. Wer nun dieſe aͤngſtli-
che Sorgfalt von einem Liederdichter, der
juvenum curas & libera vina beſingt, ſo
ſehr als von einem andern erheiſchen
wollte, der wuͤrde ſich gewiß eben ſo laͤ-
cherlich machen, als wenn er jeden ſcherz-
haften Einfall und jeden Ausdruck eines
Liedes nach den Saͤtzen der ſtrengſten
Sittenlehre erklaͤren, oder nach der Er-
leuchtung der Methodiſten und andrer
Heiligen beurtheilen, oder endlich allen
Nachfolgern des Horaz, durch einen
Machtſpruch, auferlegen duͤrfte, nur
fuͤr die liebe Jugend und unbaͤrtige Leſer
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