Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

feine Ton fordert, daß man nie ohne reinen Kragen, saubere Manschetten in der Gesellschaft erscheine; soll deshalb im Gegensatz dazu der einzelne zu Hause die Berechtigung haben, unsauber herumzugehen? Wer wird nicht, wenn er in Gesellschaft andrer zu Tisch geht, Sorge tragen, daß er reine Hände habe, ordentlich frisiert sei und einen anständigen Rock trage; soll er darum zu Hause anders handeln dürfen, wenn er allein ist? Soll die Hausfrau, wenn sie mit ihrer Familie allein ißt, nicht ebenso auf den wohlgedeckten, reinlichen Tisch halten, als wenn Fremde bei ihr zu Mittag speisen? Wie man sich in Gesellschaft andrer stets in einer gewissen Zucht haben soll, geistig und körperlich, so darf man sich auch nicht, wenn man allein ist, weder körperlich noch geistig gehen lassen, "weil es niemand sieht". Man darf sich selbst nie etwas erlauben, was man an andern verurteilen würde, und man muß sich selbst stets so achten, wie man andre achtet und von ihnen geachtet zu werden wünscht.

Man glaubt kaum, wie man in dieser Hinsicht erzieherisch auf sich selbst einwirken kann, und von wie großem, fast unmittelbarem Nutzen solche Erziehung oft ist. Heutzutage soll der

feine Ton fordert, daß man nie ohne reinen Kragen, saubere Manschetten in der Gesellschaft erscheine; soll deshalb im Gegensatz dazu der einzelne zu Hause die Berechtigung haben, unsauber herumzugehen? Wer wird nicht, wenn er in Gesellschaft andrer zu Tisch geht, Sorge tragen, daß er reine Hände habe, ordentlich frisiert sei und einen anständigen Rock trage; soll er darum zu Hause anders handeln dürfen, wenn er allein ist? Soll die Hausfrau, wenn sie mit ihrer Familie allein ißt, nicht ebenso auf den wohlgedeckten, reinlichen Tisch halten, als wenn Fremde bei ihr zu Mittag speisen? Wie man sich in Gesellschaft andrer stets in einer gewissen Zucht haben soll, geistig und körperlich, so darf man sich auch nicht, wenn man allein ist, weder körperlich noch geistig gehen lassen, „weil es niemand sieht“. Man darf sich selbst nie etwas erlauben, was man an andern verurteilen würde, und man muß sich selbst stets so achten, wie man andre achtet und von ihnen geachtet zu werden wünscht.

Man glaubt kaum, wie man in dieser Hinsicht erzieherisch auf sich selbst einwirken kann, und von wie großem, fast unmittelbarem Nutzen solche Erziehung oft ist. Heutzutage soll der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009" n="IX"/>
feine Ton fordert, daß man nie ohne reinen Kragen, saubere Manschetten in der Gesellschaft erscheine; soll deshalb im Gegensatz dazu der einzelne zu Hause die Berechtigung haben, unsauber herumzugehen? Wer wird nicht, wenn er in Gesellschaft andrer zu Tisch geht, Sorge tragen, daß er reine Hände habe, ordentlich frisiert sei und einen anständigen Rock trage; soll er darum zu Hause anders handeln dürfen, wenn er allein ist? Soll die Hausfrau, wenn sie mit ihrer Familie allein ißt, nicht ebenso auf den wohlgedeckten, reinlichen Tisch halten, als wenn Fremde bei ihr zu Mittag speisen? Wie man sich in Gesellschaft andrer stets in einer gewissen Zucht haben soll, geistig und körperlich, so darf man sich auch nicht, wenn man allein ist, weder körperlich noch geistig gehen lassen, &#x201E;weil es niemand sieht&#x201C;. Man darf sich selbst nie etwas erlauben, was man an andern verurteilen würde, und man muß sich selbst stets so achten, wie man andre achtet und von ihnen geachtet zu werden wünscht.</p>
        <p>Man glaubt kaum, wie man in dieser Hinsicht erzieherisch auf sich selbst einwirken kann, und von wie großem, fast unmittelbarem Nutzen solche Erziehung oft ist. Heutzutage soll der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[IX/0009] feine Ton fordert, daß man nie ohne reinen Kragen, saubere Manschetten in der Gesellschaft erscheine; soll deshalb im Gegensatz dazu der einzelne zu Hause die Berechtigung haben, unsauber herumzugehen? Wer wird nicht, wenn er in Gesellschaft andrer zu Tisch geht, Sorge tragen, daß er reine Hände habe, ordentlich frisiert sei und einen anständigen Rock trage; soll er darum zu Hause anders handeln dürfen, wenn er allein ist? Soll die Hausfrau, wenn sie mit ihrer Familie allein ißt, nicht ebenso auf den wohlgedeckten, reinlichen Tisch halten, als wenn Fremde bei ihr zu Mittag speisen? Wie man sich in Gesellschaft andrer stets in einer gewissen Zucht haben soll, geistig und körperlich, so darf man sich auch nicht, wenn man allein ist, weder körperlich noch geistig gehen lassen, „weil es niemand sieht“. Man darf sich selbst nie etwas erlauben, was man an andern verurteilen würde, und man muß sich selbst stets so achten, wie man andre achtet und von ihnen geachtet zu werden wünscht. Man glaubt kaum, wie man in dieser Hinsicht erzieherisch auf sich selbst einwirken kann, und von wie großem, fast unmittelbarem Nutzen solche Erziehung oft ist. Heutzutage soll der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-19T14:09:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-19T14:09:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-19T14:09:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/9
Zitationshilfe: Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/9>, abgerufen am 28.04.2024.