Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

des Mirowitsch.
haben gesehen, wie heftig Wir bei diesem An-
blicke von Mitleid und Gefühle der Menschheit
durchdrungen worden: alle haben zuletzt auch
dieses erkannt, daß Uns, diesem unglücklich
Gebohrnen und noch unglücklicher Aufge-
wachsenen, keine andre Hülfe zu erweisen übrig
blieb, als ihn in derselben Wonung, wo wir
ihn eingeschlossen gefunden hatten, zu lassen,
und ihm alles mögliche menschliche Vergnügen
zu verschaffen.

Wirklich erteilten Wir auch sogleich Unsre
Befele darüber, obgleich hiebei seine Sinne
nicht einmal einen besseren Zustand in Ver-
gleich gegen den vorhergegangenen mehr fo-
derten. Denn er kannte weder jemanden,
noch hatte er Ueberlegungskraft genug, das
Gute von dem Bösen zu unterscheiden; so wie
er auch nicht vermögend war, sich die Zeit
durch Bücherlesen zu vertreiben, sondern seine
einzige Glückseligkeit darein setzte, sich an denen
Gedanken zu ergötzen, die der Mangel mensch-
lichen Nachdenkens in ihm hervorbrachte.

Damit indessen kein verwegener Bösewicht
sich etwa möchte gelüsten lassen, ihn aus irgend
einer Absicht zu beunruhigen, oder sich seiner
Person zu Erregung einiger Unruhen unter
dem Volke zu bedienen: so hatten Wir befo-
len, ihm eine zuverläßige Wache, nebst zwei

red-
Neuv. Rußl. II. Th. Q

des Mirowitſch.
haben geſehen, wie heftig Wir bei dieſem An-
blicke von Mitleid und Gefuͤhle der Menſchheit
durchdrungen worden: alle haben zuletzt auch
dieſes erkannt, daß Uns, dieſem ungluͤcklich
Gebohrnen und noch ungluͤcklicher Aufge-
wachſenen, keine andre Huͤlfe zu erweiſen uͤbrig
blieb, als ihn in derſelben Wonung, wo wir
ihn eingeſchloſſen gefunden hatten, zu laſſen,
und ihm alles moͤgliche menſchliche Vergnuͤgen
zu verſchaffen.

Wirklich erteilten Wir auch ſogleich Unſre
Befele daruͤber, obgleich hiebei ſeine Sinne
nicht einmal einen beſſeren Zuſtand in Ver-
gleich gegen den vorhergegangenen mehr fo-
derten. Denn er kannte weder jemanden,
noch hatte er Ueberlegungskraft genug, das
Gute von dem Boͤſen zu unterſcheiden; ſo wie
er auch nicht vermoͤgend war, ſich die Zeit
durch Buͤcherleſen zu vertreiben, ſondern ſeine
einzige Gluͤckſeligkeit darein ſetzte, ſich an denen
Gedanken zu ergoͤtzen, die der Mangel menſch-
lichen Nachdenkens in ihm hervorbrachte.

Damit indeſſen kein verwegener Boͤſewicht
ſich etwa moͤchte geluͤſten laſſen, ihn aus irgend
einer Abſicht zu beunruhigen, oder ſich ſeiner
Perſon zu Erregung einiger Unruhen unter
dem Volke zu bedienen: ſo hatten Wir befo-
len, ihm eine zuverlaͤßige Wache, nebſt zwei

red-
Neuv. Rußl. II. Th. Q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="241"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Mirowit&#x017F;ch.</hi></fw><lb/>
haben ge&#x017F;ehen, wie heftig Wir bei die&#x017F;em An-<lb/>
blicke von Mitleid und Gefu&#x0364;hle der Men&#x017F;chheit<lb/>
durchdrungen worden: alle haben zuletzt auch<lb/>
die&#x017F;es erkannt, daß Uns, die&#x017F;em unglu&#x0364;cklich<lb/>
Gebohrnen und noch unglu&#x0364;cklicher Aufge-<lb/>
wach&#x017F;enen, keine andre Hu&#x0364;lfe zu erwei&#x017F;en u&#x0364;brig<lb/>
blieb, als ihn in der&#x017F;elben Wonung, wo wir<lb/>
ihn einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en gefunden hatten, zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und ihm alles mo&#x0364;gliche men&#x017F;chliche Vergnu&#x0364;gen<lb/>
zu ver&#x017F;chaffen.</p><lb/>
            <p>Wirklich erteilten Wir auch &#x017F;ogleich Un&#x017F;re<lb/>
Befele daru&#x0364;ber, obgleich hiebei &#x017F;eine Sinne<lb/>
nicht einmal einen be&#x017F;&#x017F;eren Zu&#x017F;tand in Ver-<lb/>
gleich gegen den vorhergegangenen mehr fo-<lb/>
derten. Denn er kannte weder jemanden,<lb/>
noch hatte er Ueberlegungskraft genug, das<lb/>
Gute von dem Bo&#x0364;&#x017F;en zu unter&#x017F;cheiden; &#x017F;o wie<lb/>
er auch nicht vermo&#x0364;gend war, &#x017F;ich die Zeit<lb/>
durch Bu&#x0364;cherle&#x017F;en zu vertreiben, &#x017F;ondern &#x017F;eine<lb/>
einzige Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit darein &#x017F;etzte, &#x017F;ich an denen<lb/>
Gedanken zu ergo&#x0364;tzen, die der Mangel men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Nachdenkens in ihm hervorbrachte.</p><lb/>
            <p>Damit inde&#x017F;&#x017F;en kein verwegener Bo&#x0364;&#x017F;ewicht<lb/>
&#x017F;ich etwa mo&#x0364;chte gelu&#x0364;&#x017F;ten la&#x017F;&#x017F;en, ihn aus irgend<lb/>
einer Ab&#x017F;icht zu beunruhigen, oder &#x017F;ich &#x017F;einer<lb/>
Per&#x017F;on zu Erregung einiger Unruhen unter<lb/>
dem Volke zu bedienen: &#x017F;o hatten Wir befo-<lb/>
len, ihm eine zuverla&#x0364;ßige Wache, neb&#x017F;t zwei<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Neuv. Rußl.</hi><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> Q</fw><fw place="bottom" type="catch">red-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0265] des Mirowitſch. haben geſehen, wie heftig Wir bei dieſem An- blicke von Mitleid und Gefuͤhle der Menſchheit durchdrungen worden: alle haben zuletzt auch dieſes erkannt, daß Uns, dieſem ungluͤcklich Gebohrnen und noch ungluͤcklicher Aufge- wachſenen, keine andre Huͤlfe zu erweiſen uͤbrig blieb, als ihn in derſelben Wonung, wo wir ihn eingeſchloſſen gefunden hatten, zu laſſen, und ihm alles moͤgliche menſchliche Vergnuͤgen zu verſchaffen. Wirklich erteilten Wir auch ſogleich Unſre Befele daruͤber, obgleich hiebei ſeine Sinne nicht einmal einen beſſeren Zuſtand in Ver- gleich gegen den vorhergegangenen mehr fo- derten. Denn er kannte weder jemanden, noch hatte er Ueberlegungskraft genug, das Gute von dem Boͤſen zu unterſcheiden; ſo wie er auch nicht vermoͤgend war, ſich die Zeit durch Buͤcherleſen zu vertreiben, ſondern ſeine einzige Gluͤckſeligkeit darein ſetzte, ſich an denen Gedanken zu ergoͤtzen, die der Mangel menſch- lichen Nachdenkens in ihm hervorbrachte. Damit indeſſen kein verwegener Boͤſewicht ſich etwa moͤchte geluͤſten laſſen, ihn aus irgend einer Abſicht zu beunruhigen, oder ſich ſeiner Perſon zu Erregung einiger Unruhen unter dem Volke zu bedienen: ſo hatten Wir befo- len, ihm eine zuverlaͤßige Wache, nebſt zwei red- Neuv. Rußl. II. Th. Q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/265
Zitationshilfe: [Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/265>, abgerufen am 22.11.2024.