Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

in Moskau.
liegende Gegend ein angenemes Ansehen hatte, und
überall einen reichen Seegen und Ueberfluß zeigte,
so daß die Gegenden, aus welchen ich kam, mit
dieser in gar keine Vergleichung kommen konnten;
2. daß in der Stadt selbst, sowol auf den Gassen
als in den Häusern, kaum eine Mannsperson ge-
gen zehen Frauensleute zu sehen war. Meine
Neugier wurde aber hierin bald befriediget, da mir
die Einwoner der Stadt alles obige, was ich von
dem vorzüglichen Nutzen der Arbeiten des weibli-
chen Geschlechts gemeldet habe, mit diesem Bei-
fügen erklärten, daß der Bauer vom Lande ge-
zwungen wäre, bei seiner Landarbeit zu blei-
ben, weil er in der Stadt nichts zu thun
fände.

Ob es gleich unstreitig wahr ist, wie auch im
Plane selbst erwähnt wird, daß Belonungen und
Strafen die allerbesten Mittel sind, die Menschen
dahin zu vermögen, daß sie bei ihren Handlungen
die Gesetze zur Richtschnur annemen: so stimme ich
denenjenigen gar nicht bei, welche dafür halten,
daß nur die Strenge der Strafen das beste Mittel
zur Besserung sei. Zum Beweise dessen kan man
sich auf die in der Erfarung gegründete Anmerkung
berufen, daß in denen Oertern, wo wenige Stra-
fen, auch ungleich wenigere Verbrecher angetroffen
werden.

Soll-
B 5

in Moſkau.
liegende Gegend ein angenemes Anſehen hatte, und
uͤberall einen reichen Seegen und Ueberfluß zeigte,
ſo daß die Gegenden, aus welchen ich kam, mit
dieſer in gar keine Vergleichung kommen konnten;
2. daß in der Stadt ſelbſt, ſowol auf den Gaſſen
als in den Haͤuſern, kaum eine Mannsperſon ge-
gen zehen Frauensleute zu ſehen war. Meine
Neugier wurde aber hierin bald befriediget, da mir
die Einwoner der Stadt alles obige, was ich von
dem vorzuͤglichen Nutzen der Arbeiten des weibli-
chen Geſchlechts gemeldet habe, mit dieſem Bei-
fuͤgen erklaͤrten, daß der Bauer vom Lande ge-
zwungen waͤre, bei ſeiner Landarbeit zu blei-
ben, weil er in der Stadt nichts zu thun
faͤnde.

Ob es gleich unſtreitig wahr iſt, wie auch im
Plane ſelbſt erwaͤhnt wird, daß Belonungen und
Strafen die allerbeſten Mittel ſind, die Menſchen
dahin zu vermoͤgen, daß ſie bei ihren Handlungen
die Geſetze zur Richtſchnur annemen: ſo ſtimme ich
denenjenigen gar nicht bei, welche dafuͤr halten,
daß nur die Strenge der Strafen das beſte Mittel
zur Beſſerung ſei. Zum Beweiſe deſſen kan man
ſich auf die in der Erfarung gegruͤndete Anmerkung
berufen, daß in denen Oertern, wo wenige Stra-
fen, auch ungleich wenigere Verbrecher angetroffen
werden.

Soll-
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0045" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in Mo&#x017F;kau.</hi></fw><lb/>
liegende Gegend ein angenemes An&#x017F;ehen hatte, und<lb/>
u&#x0364;berall einen reichen Seegen und Ueberfluß zeigte,<lb/>
&#x017F;o daß die Gegenden, aus welchen ich kam, mit<lb/>
die&#x017F;er in gar keine Vergleichung kommen konnten;<lb/>
2. daß in der Stadt &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;owol auf den Ga&#x017F;&#x017F;en<lb/>
als in den Ha&#x0364;u&#x017F;ern, kaum <hi rendition="#fr">eine</hi> Mannsper&#x017F;on ge-<lb/>
gen <hi rendition="#fr">zehen</hi> Frauensleute zu &#x017F;ehen war. Meine<lb/>
Neugier wurde aber hierin bald befriediget, da mir<lb/>
die Einwoner der Stadt alles obige, was ich von<lb/>
dem vorzu&#x0364;glichen Nutzen der Arbeiten des weibli-<lb/>
chen Ge&#x017F;chlechts gemeldet habe, mit die&#x017F;em Bei-<lb/>
fu&#x0364;gen erkla&#x0364;rten, daß <hi rendition="#fr">der Bauer vom Lande ge-<lb/>
zwungen wa&#x0364;re, bei &#x017F;einer Landarbeit zu blei-<lb/>
ben, weil er in der Stadt nichts zu thun<lb/>
fa&#x0364;nde.</hi></p><lb/>
            <p>Ob es gleich un&#x017F;treitig wahr i&#x017F;t, wie auch im<lb/>
Plane &#x017F;elb&#x017F;t erwa&#x0364;hnt wird, daß Belonungen und<lb/>
Strafen die allerbe&#x017F;ten Mittel &#x017F;ind, die Men&#x017F;chen<lb/>
dahin zu vermo&#x0364;gen, daß &#x017F;ie bei ihren Handlungen<lb/>
die Ge&#x017F;etze zur Richt&#x017F;chnur annemen: &#x017F;o &#x017F;timme ich<lb/>
denenjenigen gar nicht bei, welche dafu&#x0364;r halten,<lb/>
daß nur die Strenge der Strafen das be&#x017F;te Mittel<lb/>
zur Be&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;ei. Zum Bewei&#x017F;e de&#x017F;&#x017F;en kan man<lb/>
&#x017F;ich auf die in der Erfarung gegru&#x0364;ndete Anmerkung<lb/>
berufen, daß in denen Oertern, wo wenige Stra-<lb/>
fen, auch ungleich wenigere Verbrecher angetroffen<lb/>
werden.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">B 5</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Soll-</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0045] in Moſkau. liegende Gegend ein angenemes Anſehen hatte, und uͤberall einen reichen Seegen und Ueberfluß zeigte, ſo daß die Gegenden, aus welchen ich kam, mit dieſer in gar keine Vergleichung kommen konnten; 2. daß in der Stadt ſelbſt, ſowol auf den Gaſſen als in den Haͤuſern, kaum eine Mannsperſon ge- gen zehen Frauensleute zu ſehen war. Meine Neugier wurde aber hierin bald befriediget, da mir die Einwoner der Stadt alles obige, was ich von dem vorzuͤglichen Nutzen der Arbeiten des weibli- chen Geſchlechts gemeldet habe, mit dieſem Bei- fuͤgen erklaͤrten, daß der Bauer vom Lande ge- zwungen waͤre, bei ſeiner Landarbeit zu blei- ben, weil er in der Stadt nichts zu thun faͤnde. Ob es gleich unſtreitig wahr iſt, wie auch im Plane ſelbſt erwaͤhnt wird, daß Belonungen und Strafen die allerbeſten Mittel ſind, die Menſchen dahin zu vermoͤgen, daß ſie bei ihren Handlungen die Geſetze zur Richtſchnur annemen: ſo ſtimme ich denenjenigen gar nicht bei, welche dafuͤr halten, daß nur die Strenge der Strafen das beſte Mittel zur Beſſerung ſei. Zum Beweiſe deſſen kan man ſich auf die in der Erfarung gegruͤndete Anmerkung berufen, daß in denen Oertern, wo wenige Stra- fen, auch ungleich wenigere Verbrecher angetroffen werden. Soll- B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/45
Zitationshilfe: [Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/45>, abgerufen am 29.04.2024.