So unbeständig und veränderlich aber der Begriff von den Verhältnissen der Stammöfnung zu den Mün- dungen der Aeste ist, so wird indessen doch jederzeit gezei- get, daß das Schlagadersistem ein verkehrter Kegel sey, dessen Spizze im Herzen stekkt, und wozu man die Grund- fläche in den kleinsten Schlagadern des ganzen Körpers annehmen muß (d), und hieraus entstehet ein grosser Be- trag für die Summe aller Aeste gegen den Stamm ge- rechnet. Denn wenn man auch eine ganz leidliche Rechnung macht, und von der Aorte bis zum kleinsten Schlag- äderchen im ganzen Körper zwanzig Zertheilungen sezzet, so wird man dennoch finden, daß das Verhältnis aller Aeste zur Aorte zum nächsten wie die zwanzigste Potenz der Zal 3, zur zwanzigsten Potenz der Zal 2 seyn werde, welches ein starkes Verhältnis, und viel grösser ist, als 20 zu 1, das der vorgedachte berühmte Mann (e) ange- nommen hat; ingleichen auch das andere Verhältnis übertrift, nach welchen eben derselbe die vierzig ersten Aeste der Aorte um ein Achttheil grösser annimt, als den Aortenstamm (f). Man kann auch die Einwendung mehrgemeldeten berühmten Mannes gegen die Cowperi- schen Untersuchungen, worauf sich doch der Keilische Calculus gründet, nicht schlechterdings annehmen. Denn er behauptet dagegen, es wären die Aeste zu sehr erweitert worden, weil sie an sich schwächer wären (g). Man hat aber in der That schon oben (h) gezeiget, daß die Aeste mehr Stärke haben, als ihre Stämme. Und das alles muß seine Bestimmung aus der Zergliederungs- lehre erhalten, und man darf keineswegs von der Zurükk- haltung oder langsamern Bewegung des Blutes, von der man sonst glaubet, daß sie fürnemlich in denen kleinsten
Gefäs-
(d)[Spaltenumbruch]pitcarne de motu, quo cibi u. s. w. n. 8. u. w. walther de sangu. acceler. er retard. Prop. I.
(e)De Inflammatione. S. 218.
(f)[Spaltenumbruch]De Pulsu. S. 12.
(g) S. 29.
(h) Jn diefem Werke. N. 14.
Zweites Buch. Gefaͤſſe.
So unbeſtaͤndig und veraͤnderlich aber der Begriff von den Verhaͤltniſſen der Stammoͤfnung zu den Muͤn- dungen der Aeſte iſt, ſo wird indeſſen doch jederzeit gezei- get, daß das Schlagaderſiſtem ein verkehrter Kegel ſey, deſſen Spizze im Herzen ſtekkt, und wozu man die Grund- flaͤche in den kleinſten Schlagadern des ganzen Koͤrpers annehmen muß (d), und hieraus entſtehet ein groſſer Be- trag fuͤr die Summe aller Aeſte gegen den Stamm ge- rechnet. Denn wenn man auch eine ganz leidliche Rechnung macht, und von der Aorte bis zum kleinſten Schlag- aͤderchen im ganzen Koͤrper zwanzig Zertheilungen ſezzet, ſo wird man dennoch finden, daß das Verhaͤltnis aller Aeſte zur Aorte zum naͤchſten wie die zwanzigſte Potenz der Zal 3, zur zwanzigſten Potenz der Zal 2 ſeyn werde, welches ein ſtarkes Verhaͤltnis, und viel groͤſſer iſt, als 20 zu 1, das der vorgedachte beruͤhmte Mann (e) ange- nommen hat; ingleichen auch das andere Verhaͤltnis uͤbertrift, nach welchen eben derſelbe die vierzig erſten Aeſte der Aorte um ein Achttheil groͤſſer annimt, als den Aortenſtamm (f). Man kann auch die Einwendung mehrgemeldeten beruͤhmten Mannes gegen die Cowperi- ſchen Unterſuchungen, worauf ſich doch der Keiliſche Calculus gruͤndet, nicht ſchlechterdings annehmen. Denn er behauptet dagegen, es waͤren die Aeſte zu ſehr erweitert worden, weil ſie an ſich ſchwaͤcher waͤren (g). Man hat aber in der That ſchon oben (h) gezeiget, daß die Aeſte mehr Staͤrke haben, als ihre Staͤmme. Und das alles muß ſeine Beſtimmung aus der Zergliederungs- lehre erhalten, und man darf keineswegs von der Zuruͤkk- haltung oder langſamern Bewegung des Blutes, von der man ſonſt glaubet, daß ſie fuͤrnemlich in denen kleinſten
Gefaͤſ-
(d)[Spaltenumbruch]pitcarne de motu, quo cibi u. ſ. w. n. 8. u. w. walther de ſangu. acceler. er retard. Prop. I.
(e)De Inflammatione. S. 218.
(f)[Spaltenumbruch]De Pulſu. S. 12.
(g) S. 29.
(h) Jn diefem Werke. N. 14.
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Zweites Buch. Gefaͤſſe.
So unbeſtaͤndig und veraͤnderlich aber der Begriff
von den Verhaͤltniſſen der Stammoͤfnung zu den Muͤn-
dungen der Aeſte iſt, ſo wird indeſſen doch jederzeit gezei-
get, daß das Schlagaderſiſtem ein verkehrter Kegel ſey,
deſſen Spizze im Herzen ſtekkt, und wozu man die Grund-
flaͤche in den kleinſten Schlagadern des ganzen Koͤrpers
annehmen muß (d), und hieraus entſtehet ein groſſer Be-
trag fuͤr die Summe aller Aeſte gegen den Stamm ge-
rechnet. Denn wenn man auch eine ganz leidliche Rechnung
macht, und von der Aorte bis zum kleinſten Schlag-
aͤderchen im ganzen Koͤrper zwanzig Zertheilungen ſezzet,
ſo wird man dennoch finden, daß das Verhaͤltnis aller
Aeſte zur Aorte zum naͤchſten wie die zwanzigſte Potenz
der Zal 3, zur zwanzigſten Potenz der Zal 2 ſeyn werde,
welches ein ſtarkes Verhaͤltnis, und viel groͤſſer iſt, als
20 zu 1, das der vorgedachte beruͤhmte Mann (e) ange-
nommen hat; ingleichen auch das andere Verhaͤltnis
uͤbertrift, nach welchen eben derſelbe die vierzig erſten
Aeſte der Aorte um ein Achttheil groͤſſer annimt, als den
Aortenſtamm (f). Man kann auch die Einwendung
mehrgemeldeten beruͤhmten Mannes gegen die Cowperi-
ſchen Unterſuchungen, worauf ſich doch der Keiliſche
Calculus gruͤndet, nicht ſchlechterdings annehmen.
Denn er behauptet dagegen, es waͤren die Aeſte zu ſehr
erweitert worden, weil ſie an ſich ſchwaͤcher waͤren (g).
Man hat aber in der That ſchon oben (h) gezeiget, daß
die Aeſte mehr Staͤrke haben, als ihre Staͤmme. Und
das alles muß ſeine Beſtimmung aus der Zergliederungs-
lehre erhalten, und man darf keineswegs von der Zuruͤkk-
haltung oder langſamern Bewegung des Blutes, von der
man ſonſt glaubet, daß ſie fuͤrnemlich in denen kleinſten
Gefaͤſ-
(d)
pitcarne de motu, quo
cibi u. ſ. w. n. 8. u. w. walther
de ſangu. acceler. er retard. Prop. I.
(e) De Inflammatione. S. 218.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/208>, abgerufen am 21.11.2024.
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