eigenen Körper allgemeine Begriffe macht, und sich die- selben ohne Vernunftschlüsse vorstellet; theils auch von der mit einer Ueberlegung verbundenen Handlung, ver- möge deren sich die äussern Gegenstände mit einem Be- wustseyn ihrer Empfindung in der Seele vorstellen (a).
Die neuern Stahlianer gehen in so fern von den vorigen Patronen dieser Secte ab, daß sie der Seele kei- ne besondere Absicht, und eine eigene Weisheit in Anse- hung der Beherrschung ihres Körpers, zugestehen, aber doch dem Verstande die Empfindung desjenigen, was beschwerlich ist, und die eben daraus entstehende Zusam- menziehung der bewegenden Fasern zuschreiben, als in welcher höchst-einfachen Handlung, ihrer Meinung nach, das ganze Leben bestehet. Es verdient vor andern Ro- bert Whytt hier angeführet zu werden (b), welcher in wenig Stükken von uns abgehet, ausgenommen daß er die Reizbarkeit mit der Empfindung verbindet, und die- se Kraft nicht von einiger Eigenschaft des Körpers, son- dern von der Seele herleitet, welche sich von einer em- pfundenen Ungemächlichkeit, vermittelst der Zusammen- ziehung der Faser, zu befreien sucht.
Jch bin dieser Theorie des Stahls, welche ich zum öftern ganz genau überlegt habe, nicht aus dem Grunde entgegen, weil ich in meiner Jugend in Börhaavens Schule eine derselben entgegen stehende Hipothese gefas- set habe. Denn ich habe durch sehr viele Beispiele ge- zeigt, daß mich die Zärtlichkeit für meinen Lehrer, be- sonders seit den dreißig Jahren, die ich bereits ausser Lei- den zugebracht, niemals zurükhalte, so oft mich die Stimme der Wahrheit und der Natur anderswohin ruft. Hier aber erlauben es meine Versuche nicht, daß ich mich für die Stahlische Meinung erklären sollte.
Und
(a)[Spaltenumbruch]StahlTheor. medic. S. 266. JunckerConspect. Physiolog. S. 126. u. f.
(b)[Spaltenumbruch]
Jn beiden Werken on vital motions, & physiological essay.
Viertes Buch. Das Herz.
eigenen Koͤrper allgemeine Begriffe macht, und ſich die- ſelben ohne Vernunftſchluͤſſe vorſtellet; theils auch von der mit einer Ueberlegung verbundenen Handlung, ver- moͤge deren ſich die aͤuſſern Gegenſtaͤnde mit einem Be- wuſtſeyn ihrer Empfindung in der Seele vorſtellen (a).
Die neuern Stahlianer gehen in ſo fern von den vorigen Patronen dieſer Secte ab, daß ſie der Seele kei- ne beſondere Abſicht, und eine eigene Weisheit in Anſe- hung der Beherrſchung ihres Koͤrpers, zugeſtehen, aber doch dem Verſtande die Empfindung desjenigen, was beſchwerlich iſt, und die eben daraus entſtehende Zuſam- menziehung der bewegenden Faſern zuſchreiben, als in welcher hoͤchſt-einfachen Handlung, ihrer Meinung nach, das ganze Leben beſtehet. Es verdient vor andern Ro- bert Whytt hier angefuͤhret zu werden (b), welcher in wenig Stuͤkken von uns abgehet, ausgenommen daß er die Reizbarkeit mit der Empfindung verbindet, und die- ſe Kraft nicht von einiger Eigenſchaft des Koͤrpers, ſon- dern von der Seele herleitet, welche ſich von einer em- pfundenen Ungemaͤchlichkeit, vermittelſt der Zuſammen- ziehung der Faſer, zu befreien ſucht.
Jch bin dieſer Theorie des Stahls, welche ich zum oͤftern ganz genau uͤberlegt habe, nicht aus dem Grunde entgegen, weil ich in meiner Jugend in Boͤrhaavens Schule eine derſelben entgegen ſtehende Hipotheſe gefaſ- ſet habe. Denn ich habe durch ſehr viele Beiſpiele ge- zeigt, daß mich die Zaͤrtlichkeit fuͤr meinen Lehrer, be- ſonders ſeit den dreißig Jahren, die ich bereits auſſer Lei- den zugebracht, niemals zuruͤkhalte, ſo oft mich die Stimme der Wahrheit und der Natur anderswohin ruft. Hier aber erlauben es meine Verſuche nicht, daß ich mich fuͤr die Stahliſche Meinung erklaͤren ſollte.
Und
(a)[Spaltenumbruch]StahlTheor. medic. S. 266. JunckerConſpect. Phyſiolog. S. 126. u. f.
(b)[Spaltenumbruch]
Jn beiden Werken on vital motions, & phyſiological eſſay.
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[922/0978]
Viertes Buch. Das Herz.
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der mit einer Ueberlegung verbundenen Handlung, ver-
moͤge deren ſich die aͤuſſern Gegenſtaͤnde mit einem Be-
wuſtſeyn ihrer Empfindung in der Seele vorſtellen (a).
Die neuern Stahlianer gehen in ſo fern von den
vorigen Patronen dieſer Secte ab, daß ſie der Seele kei-
ne beſondere Abſicht, und eine eigene Weisheit in Anſe-
hung der Beherrſchung ihres Koͤrpers, zugeſtehen, aber
doch dem Verſtande die Empfindung desjenigen, was
beſchwerlich iſt, und die eben daraus entſtehende Zuſam-
menziehung der bewegenden Faſern zuſchreiben, als in
welcher hoͤchſt-einfachen Handlung, ihrer Meinung nach,
das ganze Leben beſtehet. Es verdient vor andern Ro-
bert Whytt hier angefuͤhret zu werden (b), welcher in
wenig Stuͤkken von uns abgehet, ausgenommen daß er
die Reizbarkeit mit der Empfindung verbindet, und die-
ſe Kraft nicht von einiger Eigenſchaft des Koͤrpers, ſon-
dern von der Seele herleitet, welche ſich von einer em-
pfundenen Ungemaͤchlichkeit, vermittelſt der Zuſammen-
ziehung der Faſer, zu befreien ſucht.
Jch bin dieſer Theorie des Stahls, welche ich zum
oͤftern ganz genau uͤberlegt habe, nicht aus dem Grunde
entgegen, weil ich in meiner Jugend in Boͤrhaavens
Schule eine derſelben entgegen ſtehende Hipotheſe gefaſ-
ſet habe. Denn ich habe durch ſehr viele Beiſpiele ge-
zeigt, daß mich die Zaͤrtlichkeit fuͤr meinen Lehrer, be-
ſonders ſeit den dreißig Jahren, die ich bereits auſſer Lei-
den zugebracht, niemals zuruͤkhalte, ſo oft mich die
Stimme der Wahrheit und der Natur anderswohin
ruft. Hier aber erlauben es meine Verſuche nicht, daß
ich mich fuͤr die Stahliſche Meinung erklaͤren ſollte.
Und
(a)
Stahl Theor. medic. S. 266.
Juncker Conſpect. Phyſiolog. S.
126. u. f.
(b)
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 922. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/978>, abgerufen am 22.11.2024.
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