Jch finde meines Orts die Nerven weder am Herzen, noch an der Membrane der Gedärme in grösserer Anzahl, als sie nach denen Muskeln hin zu laufen pflegen, und es haben die Zunge, das Auge, und das andere Fleisch, nach Proportion ihrer Masse, in der That eine grössere Menge von Nerven. Es sind zwar die Nerven des Her- zens von einer weichen Substanz (r), so daß man sie mehr für markicht halten könnte; denn das Zellgewebe, wel- ches sie hart macht, ist nur ein fremder dazu kommender Körper, der ohne Empfindung ist. Es sind aber auch diejenigen Nerven weich, die in der Mittelhand zu den zwischen den Handknochen liegenden Muskeln hinlaufen; weich sind auch die Nerven, welche über die von der Hals- ader entsprungene Schlagadern hinlaufen: man kann aber daraus keine grössere Empfindlichkeit oder Reizbar- keit beweisen, denn sie sind blos aus der Ursache weich, weil sie tief liegen, und von anderen edlen Theilen des Thieres beschüzzet werden: endlich sind auch die Nerven nicht weich, welche sich in die höchst reizbare Gedärme hinein begeben. Hingegen ist man durch die Versuche allerdings überzeuget, daß die Empfindung an dem Her- zen, wenn man es berühret, nicht sehr merklich ist (s). Es bleibt also nur das einzige noch übrig, daß das Herz aus der Ursache reizbarer seyn muß, weil die empfinden- den Nerven des Herzens, die sich nahe an der innersten Haut desselben befinden, von dem sie zu allernächst berüh- renden Blute unmittelbar gereizt werden, und folglich
dar-
(r)[Spaltenumbruch]
Die Sache ist an sich wahr, ob ich sie gleich vergessen habe an ihrem Orte zu berühren Es sind nämlich alle die Nerven weich, welche durch grosse Schlagadern herbeikommen.
(s)Octavius saviolvs Lucu- brat. S. 36. 37. harvei de gene- rat. animal. S. 157. nach dem Ver- fuche, den man an einem leben- [Spaltenumbruch]
digen Menschen angestellt hat; in- gleichen auch der berühmte Louis. Robert Whitt, der den Harvey ohnlängst anfochte, und die wahr- genommene Unempfindlichkeit dem schwammigen Fleische, welches das Herz umkleidet, zuschrieb, erinner- te sich nicht, wie empfindlich die in solchen Geschwülsten einge- schlossene Hode zu bleiben pflege.
Viertes Buch. Das Herz.
Jch finde meines Orts die Nerven weder am Herzen, noch an der Membrane der Gedaͤrme in groͤſſerer Anzahl, als ſie nach denen Muskeln hin zu laufen pflegen, und es haben die Zunge, das Auge, und das andere Fleiſch, nach Proportion ihrer Maſſe, in der That eine groͤſſere Menge von Nerven. Es ſind zwar die Nerven des Her- zens von einer weichen Subſtanz (r), ſo daß man ſie mehr fuͤr markicht halten koͤnnte; denn das Zellgewebe, wel- ches ſie hart macht, iſt nur ein fremder dazu kommender Koͤrper, der ohne Empfindung iſt. Es ſind aber auch diejenigen Nerven weich, die in der Mittelhand zu den zwiſchen den Handknochen liegenden Muskeln hinlaufen; weich ſind auch die Nerven, welche uͤber die von der Hals- ader entſprungene Schlagadern hinlaufen: man kann aber daraus keine groͤſſere Empfindlichkeit oder Reizbar- keit beweiſen, denn ſie ſind blos aus der Urſache weich, weil ſie tief liegen, und von anderen edlen Theilen des Thieres beſchuͤzzet werden: endlich ſind auch die Nerven nicht weich, welche ſich in die hoͤchſt reizbare Gedaͤrme hinein begeben. Hingegen iſt man durch die Verſuche allerdings uͤberzeuget, daß die Empfindung an dem Her- zen, wenn man es beruͤhret, nicht ſehr merklich iſt (s). Es bleibt alſo nur das einzige noch uͤbrig, daß das Herz aus der Urſache reizbarer ſeyn muß, weil die empfinden- den Nerven des Herzens, die ſich nahe an der innerſten Haut deſſelben befinden, von dem ſie zu allernaͤchſt beruͤh- renden Blute unmittelbar gereizt werden, und folglich
dar-
(r)[Spaltenumbruch]
Die Sache iſt an ſich wahr, ob ich ſie gleich vergeſſen habe an ihrem Orte zu beruͤhren Es ſind naͤmlich alle die Nerven weich, welche durch groſſe Schlagadern herbeikommen.
(s)Octavius saviolvs Lucu- brat. S. 36. 37. harvei de gene- rat. animal. S. 157. nach dem Ver- fuche, den man an einem leben- [Spaltenumbruch]
digen Menſchen angeſtellt hat; in- gleichen auch der beruͤhmte Louis. Robert Whitt, der den Harvey ohnlaͤngſt anfochte, und die wahr- genommene Unempfindlichkeit dem ſchwammigen Fleiſche, welches das Herz umkleidet, zuſchrieb, erinner- te ſich nicht, wie empfindlich die in ſolchen Geſchwuͤlſten einge- ſchloſſene Hode zu bleiben pflege.
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Viertes Buch. Das Herz.
Jch finde meines Orts die Nerven weder am Herzen,
noch an der Membrane der Gedaͤrme in groͤſſerer Anzahl,
als ſie nach denen Muskeln hin zu laufen pflegen, und
es haben die Zunge, das Auge, und das andere Fleiſch,
nach Proportion ihrer Maſſe, in der That eine groͤſſere
Menge von Nerven. Es ſind zwar die Nerven des Her-
zens von einer weichen Subſtanz (r), ſo daß man ſie mehr
fuͤr markicht halten koͤnnte; denn das Zellgewebe, wel-
ches ſie hart macht, iſt nur ein fremder dazu kommender
Koͤrper, der ohne Empfindung iſt. Es ſind aber auch
diejenigen Nerven weich, die in der Mittelhand zu den
zwiſchen den Handknochen liegenden Muskeln hinlaufen;
weich ſind auch die Nerven, welche uͤber die von der Hals-
ader entſprungene Schlagadern hinlaufen: man kann
aber daraus keine groͤſſere Empfindlichkeit oder Reizbar-
keit beweiſen, denn ſie ſind blos aus der Urſache weich,
weil ſie tief liegen, und von anderen edlen Theilen des
Thieres beſchuͤzzet werden: endlich ſind auch die Nerven
nicht weich, welche ſich in die hoͤchſt reizbare Gedaͤrme
hinein begeben. Hingegen iſt man durch die Verſuche
allerdings uͤberzeuget, daß die Empfindung an dem Her-
zen, wenn man es beruͤhret, nicht ſehr merklich iſt (s).
Es bleibt alſo nur das einzige noch uͤbrig, daß das Herz
aus der Urſache reizbarer ſeyn muß, weil die empfinden-
den Nerven des Herzens, die ſich nahe an der innerſten
Haut deſſelben befinden, von dem ſie zu allernaͤchſt beruͤh-
renden Blute unmittelbar gereizt werden, und folglich
dar-
(r)
Die Sache iſt an ſich wahr,
ob ich ſie gleich vergeſſen habe an
ihrem Orte zu beruͤhren Es ſind
naͤmlich alle die Nerven weich,
welche durch groſſe Schlagadern
herbeikommen.
(s) Octavius saviolvs Lucu-
brat. S. 36. 37. harvei de gene-
rat. animal. S. 157. nach dem Ver-
fuche, den man an einem leben-
digen Menſchen angeſtellt hat; in-
gleichen auch der beruͤhmte Louis.
Robert Whitt, der den Harvey
ohnlaͤngſt anfochte, und die wahr-
genommene Unempfindlichkeit dem
ſchwammigen Fleiſche, welches das
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te ſich nicht, wie empfindlich die
in ſolchen Geſchwuͤlſten einge-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 936. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/992>, abgerufen am 22.11.2024.
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