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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Siebendes Buch. Die Ursachen
eine noch grössere Schwierigkeit. Es mus nämlich die
Menge des Ferments, welche in der Niere einer zarten
Frucht Plazz hat, nunmehr hinlänglich für ganze Pfunde
Blut seyn, um daraus alle Tage Harn machen zu kön-
nen; folglich mus dieses Ferment eine so hartnäkkige
Wirksamkeit besizzen, daß die Quantität des Ferments,
welche in der That kleiner, als ein Sandkörnchen ist,
in einem funfzigjärigen Manne, unter 22,000,000
Pfunde Bluts gemischt werden, und doch von einer so
ungeheuren Menge fremden Saftes weder überwältigt,
noch verdünnt, oder zernichtet werden kann. Denn
wenn man den Nieren den eilften Theil von dem ganzen
Blute, welches aus dem Herzen kömmt, gibt, und von
den zwo Nierenschlagadern so viel Blut aufnehmen läs-
set, als eine von den beiden Schlüsseladern raubt, oder
als der beiden Halsschlagadern, oder eine der Bekken-
adern, oder die Pulsadern Unterbauches, die Bauch-
schlagader, oder die des Gekröses wegnimmt, so wird
wenigstens die Niere mit jedem Pulsschlage vier Skru-
pel Blut, und folglich in einer Stunde 19200 Skru-
pel, oder funfzig Pfunde, in einem Tage 1200 Pfunde,
in funfzig Jaren 21,900,000 Pfunde.

Nun erhellt aus allen Beispielen von Fermenten,
daß die Kräfte eines dergleichen Körpers nie unendlich
seyn können, sondern daß allerdings ein gewisses Ver-
hältnis des Ferments zu derjenigen Masse erfordert
werde, welche man alteriren zu lassen entschlossen ist.
Es erhellet ferner hieraus, daß sich nicht alle Salze
nach der Weise des Ferments verhalten und die beige-
mischten Körper in ihr Wesen verwandeln; daß diese
Kraft merenteils dem Gewächsreiche eigen sey; daß alle
Eigenschaften derjenigen Säfte, welche vom Blute ge-
schieden werden, von der Art sind, daß sie durch keine
Art von Gärung erhalten werden können, indem sie alle

mit

Siebendes Buch. Die Urſachen
eine noch groͤſſere Schwierigkeit. Es mus naͤmlich die
Menge des Ferments, welche in der Niere einer zarten
Frucht Plazz hat, nunmehr hinlaͤnglich fuͤr ganze Pfunde
Blut ſeyn, um daraus alle Tage Harn machen zu koͤn-
nen; folglich mus dieſes Ferment eine ſo hartnaͤkkige
Wirkſamkeit beſizzen, daß die Quantitaͤt des Ferments,
welche in der That kleiner, als ein Sandkoͤrnchen iſt,
in einem funfzigjaͤrigen Manne, unter 22,000,000
Pfunde Bluts gemiſcht werden, und doch von einer ſo
ungeheuren Menge fremden Saftes weder uͤberwaͤltigt,
noch verduͤnnt, oder zernichtet werden kann. Denn
wenn man den Nieren den eilften Theil von dem ganzen
Blute, welches aus dem Herzen koͤmmt, gibt, und von
den zwo Nierenſchlagadern ſo viel Blut aufnehmen laͤſ-
ſet, als eine von den beiden Schluͤſſeladern raubt, oder
als der beiden Halsſchlagadern, oder eine der Bekken-
adern, oder die Pulsadern Unterbauches, die Bauch-
ſchlagader, oder die des Gekroͤſes wegnimmt, ſo wird
wenigſtens die Niere mit jedem Pulsſchlage vier Skru-
pel Blut, und folglich in einer Stunde 19200 Skru-
pel, oder funfzig Pfunde, in einem Tage 1200 Pfunde,
in funfzig Jaren 21,900,000 Pfunde.

Nun erhellt aus allen Beiſpielen von Fermenten,
daß die Kraͤfte eines dergleichen Koͤrpers nie unendlich
ſeyn koͤnnen, ſondern daß allerdings ein gewiſſes Ver-
haͤltnis des Ferments zu derjenigen Maſſe erfordert
werde, welche man alteriren zu laſſen entſchloſſen iſt.
Es erhellet ferner hieraus, daß ſich nicht alle Salze
nach der Weiſe des Ferments verhalten und die beige-
miſchten Koͤrper in ihr Weſen verwandeln; daß dieſe
Kraft merenteils dem Gewaͤchsreiche eigen ſey; daß alle
Eigenſchaften derjenigen Saͤfte, welche vom Blute ge-
ſchieden werden, von der Art ſind, daß ſie durch keine
Art von Gaͤrung erhalten werden koͤnnen, indem ſie alle

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[766/0786] Siebendes Buch. Die Urſachen eine noch groͤſſere Schwierigkeit. Es mus naͤmlich die Menge des Ferments, welche in der Niere einer zarten Frucht Plazz hat, nunmehr hinlaͤnglich fuͤr ganze Pfunde Blut ſeyn, um daraus alle Tage Harn machen zu koͤn- nen; folglich mus dieſes Ferment eine ſo hartnaͤkkige Wirkſamkeit beſizzen, daß die Quantitaͤt des Ferments, welche in der That kleiner, als ein Sandkoͤrnchen iſt, in einem funfzigjaͤrigen Manne, unter 22,000,000 Pfunde Bluts gemiſcht werden, und doch von einer ſo ungeheuren Menge fremden Saftes weder uͤberwaͤltigt, noch verduͤnnt, oder zernichtet werden kann. Denn wenn man den Nieren den eilften Theil von dem ganzen Blute, welches aus dem Herzen koͤmmt, gibt, und von den zwo Nierenſchlagadern ſo viel Blut aufnehmen laͤſ- ſet, als eine von den beiden Schluͤſſeladern raubt, oder als der beiden Halsſchlagadern, oder eine der Bekken- adern, oder die Pulsadern Unterbauches, die Bauch- ſchlagader, oder die des Gekroͤſes wegnimmt, ſo wird wenigſtens die Niere mit jedem Pulsſchlage vier Skru- pel Blut, und folglich in einer Stunde 19200 Skru- pel, oder funfzig Pfunde, in einem Tage 1200 Pfunde, in funfzig Jaren 21,900,000 Pfunde. Nun erhellt aus allen Beiſpielen von Fermenten, daß die Kraͤfte eines dergleichen Koͤrpers nie unendlich ſeyn koͤnnen, ſondern daß allerdings ein gewiſſes Ver- haͤltnis des Ferments zu derjenigen Maſſe erfordert werde, welche man alteriren zu laſſen entſchloſſen iſt. Es erhellet ferner hieraus, daß ſich nicht alle Salze nach der Weiſe des Ferments verhalten und die beige- miſchten Koͤrper in ihr Weſen verwandeln; daß dieſe Kraft merenteils dem Gewaͤchsreiche eigen ſey; daß alle Eigenſchaften derjenigen Saͤfte, welche vom Blute ge- ſchieden werden, von der Art ſind, daß ſie durch keine Art von Gaͤrung erhalten werden koͤnnen, indem ſie alle mit

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/786>, abgerufen am 21.11.2024.