Körpers einfliesse. Man hat aber schon vor langer Zeit geargwohnet, und es vermuthen es nicht nur berümte Männer aus der Schule des Galens, sondern auch einige Neuere, daß nicht alle Theile des Gehirns, in der Aufnahme der Empfindungen, und in der Kraft, Bewegungen hervorzubringen, einerlei Vermögen besi- tzen müssen, und daß nicht eben das ganze Gehirn zu einem freien Geschäfte der Sinne erfordert werde [Spaltenumbruch]a. Sie merkten nämlich an, daß, wenn gleich ein grosser Theil des Gehirns zerstört worden, dennoch nicht nur das Leben noch fortdaure, sondern auch die Empfindung, das Gedächtniß, die Beständigkeit der Seele und die Gewalt des Willens über die Muskeln, ihre alte Ver- richtungen noch fortsetzen.
Man hatte dem Gehirn durch die Augenhöle eine Wunde beigebracht; dennoch blieben die thierischen Ge- schäfte noch ganzer zehn Tage im unverletzten Zustande b. Man fand ein halb Pfund Eiter in den Gehirnkammern, von einem Geschwüre des Gehirns, und dem ohnerach- tet waren doch die Sinnen und die willkürliche Bewe- gungen unverletzt c. Bei einer Schußwunde im Ge- hirne hatte doch der Kranke eine vollkommene Beurthei- lungskraft c*. Eine Gehirnwunde und ein ungeheures Geschwür blieb ganzer fünf und zwanzig Tage ohne Zu- fälle [Spaltenumbruch]d. Es hat ein Eitergeschwür im Gehirne die dünne Gehirnhaut und die Markrinde bis zum kügligen Mar- ke herab, zernagt, ohne daß der Kranke davon Schmer- zen empfunden, oder einen Schaden an den Sinnen er- litten e. Es fand sich im Gehirn ein grosses Geschwür ohne Fieber, oder Eckel vor Speisen e*. Ein Nadel-
stich
aLa Peyronie mem. 1741 p. 202.
bDiemerbroeck p. 378.
cLa Peyronie eben da. Planque bibl. T. III. p. 77.
c*Petit p. 19.
dLa Peyronie mem. de l'Acad. 1741 p. 212.
eRidley obs. p. 212.
e*Bonnet anat. pract. c. 8.
L l 2
VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.
Koͤrpers einflieſſe. Man hat aber ſchon vor langer Zeit geargwohnet, und es vermuthen es nicht nur beruͤmte Maͤnner aus der Schule des Galens, ſondern auch einige Neuere, daß nicht alle Theile des Gehirns, in der Aufnahme der Empfindungen, und in der Kraft, Bewegungen hervorzubringen, einerlei Vermoͤgen beſi- tzen muͤſſen, und daß nicht eben das ganze Gehirn zu einem freien Geſchaͤfte der Sinne erfordert werde [Spaltenumbruch]a. Sie merkten naͤmlich an, daß, wenn gleich ein groſſer Theil des Gehirns zerſtoͤrt worden, dennoch nicht nur das Leben noch fortdaure, ſondern auch die Empfindung, das Gedaͤchtniß, die Beſtaͤndigkeit der Seele und die Gewalt des Willens uͤber die Muskeln, ihre alte Ver- richtungen noch fortſetzen.
Man hatte dem Gehirn durch die Augenhoͤle eine Wunde beigebracht; dennoch blieben die thieriſchen Ge- ſchaͤfte noch ganzer zehn Tage im unverletzten Zuſtande b. Man fand ein halb Pfund Eiter in den Gehirnkammern, von einem Geſchwuͤre des Gehirns, und dem ohnerach- tet waren doch die Sinnen und die willkuͤrliche Bewe- gungen unverletzt c. Bei einer Schußwunde im Ge- hirne hatte doch der Kranke eine vollkommene Beurthei- lungskraft c*. Eine Gehirnwunde und ein ungeheures Geſchwuͤr blieb ganzer fuͤnf und zwanzig Tage ohne Zu- faͤlle [Spaltenumbruch]d. Es hat ein Eitergeſchwuͤr im Gehirne die duͤnne Gehirnhaut und die Markrinde bis zum kuͤgligen Mar- ke herab, zernagt, ohne daß der Kranke davon Schmer- zen empfunden, oder einen Schaden an den Sinnen er- litten e. Es fand ſich im Gehirn ein groſſes Geſchwuͤr ohne Fieber, oder Eckel vor Speiſen e*. Ein Nadel-
ſtich
aLa Peyronie mem. 1741 p. 202.
bDiemerbroeck p. 378.
cLa Peyronie eben da. Planque bibl. T. III. p. 77.
c*Petit p. 19.
dLa Peyronie mem. de l’Acad. 1741 p. 212.
eRidley obſ. p. 212.
e*Bonnet anat. pract. c. 8.
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[531/0567]
VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.
Koͤrpers einflieſſe. Man hat aber ſchon vor langer Zeit
geargwohnet, und es vermuthen es nicht nur beruͤmte
Maͤnner aus der Schule des Galens, ſondern auch
einige Neuere, daß nicht alle Theile des Gehirns, in
der Aufnahme der Empfindungen, und in der Kraft,
Bewegungen hervorzubringen, einerlei Vermoͤgen beſi-
tzen muͤſſen, und daß nicht eben das ganze Gehirn zu
einem freien Geſchaͤfte der Sinne erfordert werde
a.
Sie merkten naͤmlich an, daß, wenn gleich ein groſſer
Theil des Gehirns zerſtoͤrt worden, dennoch nicht nur
das Leben noch fortdaure, ſondern auch die Empfindung,
das Gedaͤchtniß, die Beſtaͤndigkeit der Seele und die
Gewalt des Willens uͤber die Muskeln, ihre alte Ver-
richtungen noch fortſetzen.
Man hatte dem Gehirn durch die Augenhoͤle eine
Wunde beigebracht; dennoch blieben die thieriſchen Ge-
ſchaͤfte noch ganzer zehn Tage im unverletzten Zuſtande b.
Man fand ein halb Pfund Eiter in den Gehirnkammern,
von einem Geſchwuͤre des Gehirns, und dem ohnerach-
tet waren doch die Sinnen und die willkuͤrliche Bewe-
gungen unverletzt c. Bei einer Schußwunde im Ge-
hirne hatte doch der Kranke eine vollkommene Beurthei-
lungskraft c*. Eine Gehirnwunde und ein ungeheures
Geſchwuͤr blieb ganzer fuͤnf und zwanzig Tage ohne Zu-
faͤlle
d. Es hat ein Eitergeſchwuͤr im Gehirne die duͤnne
Gehirnhaut und die Markrinde bis zum kuͤgligen Mar-
ke herab, zernagt, ohne daß der Kranke davon Schmer-
zen empfunden, oder einen Schaden an den Sinnen er-
litten e. Es fand ſich im Gehirn ein groſſes Geſchwuͤr
ohne Fieber, oder Eckel vor Speiſen e*. Ein Nadel-
ſtich
a La Peyronie mem. 1741 p. 202.
b Diemerbroeck p. 378.
c La Peyronie eben da. Planque
bibl. T. III. p. 77.
c* Petit p. 19.
d La Peyronie mem. de l’Acad.
1741 p. 212.
e Ridley obſ. p. 212.
e* Bonnet anat. pract. c. 8.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/567>, abgerufen am 24.11.2024.
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