Folglich, weiß ich nicht mit diesen Geschichten zu vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht; denn es war derienige unempfindlich, in dessen kleinen Gehirne die Pariser ein Eitergeschwür fanden; ein an- derer empfand die Folgen von der Entzündung de Ge- hirnhäute [Spaltenumbruch]e, viele haben über sehr heftige Kopfschmer- zen geklagt f. Der letztgedachte Künstler verfiel in eine Schwäche und Dummheit, und ich habe allezeit an den Gliedern der Thiere Krämpfe bemerkt, deren klei- nes Gehirn ich verwundet hatte [Spaltenumbruch]g.
Jn den Versuchen des berümten Lorry verfiel man nach der Erschütterung des kleinen Gehirns in einen Schlaf h, und wir glauben dieses leicht, indem solches von dem grossen Gehirne ebenfalls wahr ist. Wir ha- ben von den Krämpfen, welche die dem Willen unter worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.
Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne hervorkömmt i, so ist solches der fünfte zur Empfindung und willkürlichen Bewegung bestimmte Nerve.
Wenn man demnach alles zusammen nimmt, so scheint das kleine Gehirn von dem grossen in so fern wenig unterschieden zu sein, und es bringen schwere Wunden an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden ertragen werden. Eben so ersiehet man daraus, daß das grosse Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, sowohl die empfindende, als bewegende Kräfte versende, und daß hingegen das kleine Gehirn solche Kräfte unter die, dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach sei- ner Art austheile.
§. 37.
ePatinus, Brisseau Acad. de chir.
fp. 312. 350.
gMem. des sav. etran. T. III. p. 358. 359. 360.
hKaauw n. 328.
ip. 209.
M m 4
VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.
Folglich, weiß ich nicht mit dieſen Geſchichten zu vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht; denn es war derienige unempfindlich, in deſſen kleinen Gehirne die Pariſer ein Eitergeſchwuͤr fanden; ein an- derer empfand die Folgen von der Entzuͤndung de Ge- hirnhaͤute [Spaltenumbruch]e, viele haben uͤber ſehr heftige Kopfſchmer- zen geklagt f. Der letztgedachte Kuͤnſtler verfiel in eine Schwaͤche und Dummheit, und ich habe allezeit an den Gliedern der Thiere Kraͤmpfe bemerkt, deren klei- nes Gehirn ich verwundet hatte [Spaltenumbruch]g.
Jn den Verſuchen des beruͤmten Lorry verfiel man nach der Erſchuͤtterung des kleinen Gehirns in einen Schlaf h, und wir glauben dieſes leicht, indem ſolches von dem groſſen Gehirne ebenfalls wahr iſt. Wir ha- ben von den Kraͤmpfen, welche die dem Willen unter worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.
Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne hervorkoͤmmt i, ſo iſt ſolches der fuͤnfte zur Empfindung und willkuͤrlichen Bewegung beſtimmte Nerve.
Wenn man demnach alles zuſammen nimmt, ſo ſcheint das kleine Gehirn von dem groſſen in ſo fern wenig unterſchieden zu ſein, und es bringen ſchwere Wunden an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden ertragen werden. Eben ſo erſiehet man daraus, daß das groſſe Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, ſowohl die empfindende, als bewegende Kraͤfte verſende, und daß hingegen das kleine Gehirn ſolche Kraͤfte unter die, dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach ſei- ner Art austheile.
§. 37.
ePatinus, Briſſeau Acad. de chir.
fp. 312. 350.
gMem. des ſav. etran. T. III. p. 358. 359. 360.
hKaauw n. 328.
ip. 209.
M m 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0587"n="551"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">VII.</hi> Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.</hi></fw><lb/><p>Folglich, weiß ich nicht mit dieſen Geſchichten zu<lb/>
vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den<lb/>
Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht;<lb/>
denn es war derienige unempfindlich, in deſſen kleinen<lb/>
Gehirne die Pariſer ein Eitergeſchwuͤr fanden; ein an-<lb/>
derer empfand die Folgen von der Entzuͤndung de Ge-<lb/>
hirnhaͤute <cb/><noteplace="foot"n="e"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Patinus, Briſſeau</hi> Acad. de<lb/>
chir.</hi></note>, viele haben uͤber ſehr heftige Kopfſchmer-<lb/>
zen geklagt <noteplace="foot"n="f"><hirendition="#aq">p.</hi> 312. 350.</note>. Der letztgedachte Kuͤnſtler verfiel in<lb/>
eine Schwaͤche und Dummheit, und ich habe allezeit an<lb/>
den Gliedern der Thiere Kraͤmpfe bemerkt, deren klei-<lb/>
nes Gehirn ich verwundet hatte <cb/><noteplace="foot"n="g"><hirendition="#aq">Mem. des ſav. etran. T. III.<lb/>
p.</hi> 358. 359. 360.</note>.</p><lb/><p>Jn den Verſuchen des beruͤmten <hirendition="#fr">Lorry</hi> verfiel man<lb/>
nach der Erſchuͤtterung des kleinen Gehirns in einen<lb/>
Schlaf <noteplace="foot"n="h"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Kaauw</hi> n.</hi> 328.</note>, und wir glauben dieſes leicht, indem ſolches<lb/>
von dem groſſen Gehirne ebenfalls wahr iſt. Wir ha-<lb/>
ben von den Kraͤmpfen, welche die dem Willen unter<lb/>
worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.</p><lb/><p>Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne<lb/>
hervorkoͤmmt <noteplace="foot"n="i"><hirendition="#aq">p.</hi> 209.</note>, ſo iſt ſolches der fuͤnfte zur Empfindung<lb/>
und willkuͤrlichen Bewegung beſtimmte Nerve.</p><lb/><p>Wenn man demnach alles zuſammen nimmt, ſo<lb/>ſcheint das kleine Gehirn von dem groſſen in ſo fern wenig<lb/>
unterſchieden zu ſein, und es bringen ſchwere Wunden<lb/>
an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden<lb/>
ertragen werden. Eben ſo erſiehet man daraus, daß<lb/>
das groſſe Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, ſowohl<lb/>
die empfindende, als bewegende Kraͤfte verſende, und<lb/>
daß hingegen das kleine Gehirn ſolche Kraͤfte unter die,<lb/>
dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach ſei-<lb/>
ner Art austheile.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">M m 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">§. 37.</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[551/0587]
VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.
Folglich, weiß ich nicht mit dieſen Geſchichten zu
vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den
Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht;
denn es war derienige unempfindlich, in deſſen kleinen
Gehirne die Pariſer ein Eitergeſchwuͤr fanden; ein an-
derer empfand die Folgen von der Entzuͤndung de Ge-
hirnhaͤute
e, viele haben uͤber ſehr heftige Kopfſchmer-
zen geklagt f. Der letztgedachte Kuͤnſtler verfiel in
eine Schwaͤche und Dummheit, und ich habe allezeit an
den Gliedern der Thiere Kraͤmpfe bemerkt, deren klei-
nes Gehirn ich verwundet hatte
g.
Jn den Verſuchen des beruͤmten Lorry verfiel man
nach der Erſchuͤtterung des kleinen Gehirns in einen
Schlaf h, und wir glauben dieſes leicht, indem ſolches
von dem groſſen Gehirne ebenfalls wahr iſt. Wir ha-
ben von den Kraͤmpfen, welche die dem Willen unter
worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.
Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne
hervorkoͤmmt i, ſo iſt ſolches der fuͤnfte zur Empfindung
und willkuͤrlichen Bewegung beſtimmte Nerve.
Wenn man demnach alles zuſammen nimmt, ſo
ſcheint das kleine Gehirn von dem groſſen in ſo fern wenig
unterſchieden zu ſein, und es bringen ſchwere Wunden
an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden
ertragen werden. Eben ſo erſiehet man daraus, daß
das groſſe Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, ſowohl
die empfindende, als bewegende Kraͤfte verſende, und
daß hingegen das kleine Gehirn ſolche Kraͤfte unter die,
dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach ſei-
ner Art austheile.
§. 37.
e Patinus, Briſſeau Acad. de
chir.
f p. 312. 350.
g Mem. des ſav. etran. T. III.
p. 358. 359. 360.
h Kaauw n. 328.
i p. 209.
M m 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/587>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.